Der Vampir faßte nach dem Griff des großen Schwertes, das er mit Ledergurten auf seinen Rücken gebunden hatte. Dann murmelte er einige Worte der Macht und wies ruckartig mit ausgestreckter Hand in Richtung des Ofens.
Funken stoben aus dem Tiegel, und ein dicker, blaugrauer Rauch quoll in die Dachkammer.
»Hesinde hilf!« entfuhr es dem erschreckten Alten. »Was, im Namen der Götter, geht hier vor?«
Zerwas schwang sich vom Dach. Klirrend zerbrach das Giebelfenster, und mit einem Satz landete der Vampir mitten in der Kammer.
»Bei Praios ...«, keuchte der Alchimist, als er die furchteinflößende Gestalt im Rauch erkannte. Hastig wandte er sich zur Tür, doch schon hatte ihn Zerwas gepackt und preßte ihm die Kehle zu.
»Du hast mich gerufen, Wurm!« Der Vampir spürte wie Promos erbebte, als er in dessen Gedanken eindrang. »Und du hast keinen Zirkel geschlagen, dich zu schützen ...«
»Verzeiht ... Mir war nicht bewußt, daß ich Euch störe. Schon hundertmal habe ich diese Tinktur ins Feuer geschoben, und nie ist mir solch ein Fehler unterlaufen. Bitte vergebt mir!« stammelte der alte Alchimist. »Treib keinen Scherz mit mir, Mann!« Zerwas drückte noch ein wenig fester zu, lockerte den Griff aber sofort wieder. Schließlich brauchte er den Alchimisten noch.
»Du wirst von nun an mein Sklave sein.« Promos erzitterte, als Zerwas ihm diesen Gedanken schickte. »Vorbei sind die Zeiten, wo du im Morgengrauen Tau von den Wiesen sammeltest und den Geheimnissen des Orichalcum und des Grünen Löwen nachgespürt hast. Du wirst mir das Feuer, das im Wasser brennt, schenken, dann darfst du weiterleben.«
Der Alchimist erblaßte. »Das hylailsche Feuer?« wisperte er leise. »Ja, das will ich von dir!« Zerwas weidete sich an den Schreckensphantasien des alten Mannes. »Du wirst es den Orks schenken. Das soll die Strafe dafür sein, daß du mich gerufen hast.«
»Aber ...« Doch dann brach der Alte wieder ab. Sein Körper versteifte sich. »Nein!« sagte er mit lauter fester Stimme. »Töte mich, aber diesen Dienst werde ich dir nicht erweisen.«
Zerwas entblößte seine Fangzähne. »Nicht du wirst sterben. Wenn du dich verweigerst, wird deine Tochter dafür büßen.« Tief wühlte der Vampir in den Gedanken des Alchimisten. »Denk nicht daran, dich zu entleiben, denn auch dann wird deine Tochter büßen!«
Zerwas ließ den alten Mann los, der benommen gegen den Tisch taumelte. »Warum ...«
»Hader nicht mit deinem Schicksal, Promos. Dafür ist es nun zu spät. Ich bin hier, weil du Alchimist bist. Man hat mir gesagt, du seiest ein Meister deines Faches. Von dem Tag an, an dem du beschlossen hast zu werden, was du bist, war es dein Schicksal, mich einst zu treffen. Füge dich, und vielleicht schenke ich dir dafür, was du schon so lange suchst!«
»Befiehl, und ich werde gehorchen ...«
Zerwas konnte spüren, wie der innere Widerstand des Mannes zerbrach. Er begann, sich in das scheinbar Unvermeidliche zu ergeben.
»Ich werde in dieser Nacht deine Tochter mit mir nehmen ...«
»Nein!« Mit schrillem Schrei fiel ihm Promos ins Wort. »Verschone sie. Sie ist unschuldig!«
»Du würdest mir doch nicht treu dienen, wenn du sie hier in Sicherheit wüßtest!« höhnte Zerwas. »Nein, Promos, die Bedingungen für unseren Handel stelle ich! Noch in dieser Nacht schaffe ich dein Kind nach Khezzara an den Hof des Ashim Riak Assai. Dort wird sie den Schwarzpelzen als Sklavin dienen, bis du dein Werk getan hast. Erst dann sollst du sie Wiedersehen. Und wehe ihr, du versuchst mich zu narren. Ich brauche dir wohl nicht zu schildern, was mit der Kleinen passiert, wenn sie nicht mehr unter meinem Schutze steht.«
»Nein ...«, stöhnte der alte Mann.
Zerwas riß einen kleinen Tuchbeutel von dem ledernen Brustgurt, der sein Schwert hielt. »Hier hast du Gold für deine Reise! Mach dich morgen früh auf den Weg nach Neetha. Dort werde ich dich in drei Nächten holen.« »Aber wo soll ich dort hin? Wie wollt Ihr mich finden?«
»So wie ich dich auch schon heute gefunden habe«, höhnte Zerwas. »Es gibt keinen Platz auf Dere, wo ich dich nicht finden würde, alter Mann.« Natürlich war das blanker Unsinn, doch Promos sollte glauben, er wäre allmächtig. Das war es Zerwas wert, ihn im Zweifelsfall ein paar Stunden in Neetha zu suchen. Viele Orte gab es dort schließlich nicht, wo ein reisender Alchimist absteigen konnte.
»Folge mir nicht, wenn ich nun zu deiner Tochter gehe! Es wäre schlecht für dein Seelenheil, wenn du mitansehen würdest, was ich mit ihr tun muß, damit sie die Reise nach Khezzara gut übersteht!«
»Bitte verschont mein Kind«, jammerte der Alte. »Ich werde tun, was immer Ihr verlangt. Aber laßt sie in Frieden.«
»Erzürne mich nicht.« Der Vampir hatte einen drohenden Schritt auf den Alchimisten zu gemacht. Der alte Mann hob schützend seine Arme.
»Bitte ...«
Zerwas war es leid, sich das Gejammer anzuhören. Mit einem kraftvollen Sprung setzte er durch das zerbrochene Fenster, entfaltete seine Flügel und flog in weitem Bogen zur Rückseite des Hauses. Auch hier gab es ein großes Giebelfenster.
Vorsichtig landete der Vampir auf dem Sims und drückte das zweiflügelige Fenster auf. Dann lauschte er. Der Atem des Mädchens ging ruhig. Vom Lärm im Zimmer ihres Vaters war sie nicht gestört worden.
Gleich einer Aureola aus Gold bettete ihr Haar das von der Sonne bronzen getönte Gesicht.
Zerwas lief das Wasser im Munde zusammen. Konnte ein Verdurstender mehr leiden als er? Was für ein vollkommenes Ende wäre es, das Possenspiel, das er in dieser Nacht betrieben hatte, mit einem Festmahl zu beenden. Wer konnte ihn schon daran hindern? Doch was war, wenn der Alte Lebenszeichen von seiner Tochter verlangte, bevor er die Arbeit bei den Schwarzpelzen aufnahm? Wie sollte er die tausend kleinen Geheimnisse erahnen, die Vater und Tochter miteinander teilten und nach denen Promos fragen mochte?
Nein! Er würde dieses Festmahl verschieben müssen, sondern nur ein wenig von der blonden Schönheit naschen. So viel von ihrem Blute kosten, daß er sicher sein konnte, daß sie den Tag und die nächste Nacht nicht erwachen würde. Es war besser für sie, während des langen Fluges zu dem Versteck, das zu ihrem Kerker werden würde, nicht bei Bewußtsein zu sein.
Eine Höhle tief unter Greifenfurt, die ihm schon so oft als Unterschlupf gedient hatte, war ideal, um das Mädchen aufzunehmen. Sie den Orks zu überlassen, daran hatte Zerwas nicht einen Augenblick gedacht. Zu gut wußte er, was dort mit ihr geschehen würde. Sie sollte ihre Unschuld behalten, auch wenn die Einsamkeit in dem finsteren Versteck vielleicht ihren Verstand verschlingen würde.
Zerwas schmunzelte. Sie vor den Orks zu bewahren war keineswegs eine moralische, sondern in erster Linie eine kulinarische Entscheidung. Das Blut von Jungfrauen hatte einen ganz eigenen, schwer zu beschreibenden Geschmack. Ganz so, als würde das unschuldige Verlangen nach der Erfüllung erster Liebe, in dem kostbaren Lebenssaft eingefangen, der jede Faser des fiebernden Leibes durchpulste.
Leise schlich der Vampir an das Bett und beugte sich über das schlafende Mädchen.
14
Dem dumpfen Schlag folgte ein leichtes Zittern, ganz so, als wäre die Burgmauer für einen Augenblick lebendig geworden. Marcian schaute besorgt zu der Bastion am Fluß, die gegenüber der Garnison auf dem anderen Ufer der Breite lag. Eine Woche lang dauerte nun schon der Beschuß, und von den fast drei Schritt dicken Mauern des mächtigen Turms waren nicht mehr als Ruinen geblieben. Über die Hälfte der Verteidiger war bereits tot, und von denen, die noch lebten, hatte jeder Wunden davongetragen.
Das Drama mitansehen zu müssen war eine Tortur. Als hätten sich die Orks verschworen, zu Marcians Henkern zu werden, wo er Gnade walten lassen wollte. Noch in derselben Nacht, in der er den Rebellen die Wacht im Turm auferlegt hatte, waren alle Geschütze der Schwarzpelze auf die andere Seite des Flusses verlegt worden. Beinahe ununterbrochen hämmerten die steinernen Geschosse gegen die Mauern. Manchmal reichte ein Fehlschuß auch bis über den Fluß und traf die Garnison.