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Zornig hieb der Inquisitor mit der Faust auf die Zinne. Es gab fast nichts, was sie für die Männer und Frauen im Turm noch tun konnten. Ihnen blieb nur, zu den Göttern zu beten, daß sie dem Kampf ein schnelles Ende bereiteten. Doch mochte der Widerstand der Rebellen noch eine Weile dauern. Erst heute morgen hatten sie um einen Pfeilschaft gewickelt eine Botschaft geschickt, in der Rialla versicherte, sie würden bis zum letzten Atemzug fechten, und solange auch nur einer von ihnen noch sein Schwert heben könnte, würde kein Schwarzpelz seinen Fuß auf die Mauern setzen.

»Was denkt Ihr, Kommandant?«

Marcian drehte sich zu dem Jungen neben ihm um. Der kleine Blondschopf diente ihm seit einigen Wochen als Bote. Marrad war der Sohn Darrags des Schmieds. Auch wenn er erst sieben Sommer alt war, so stand er, zumindest was den Mut anging, seinem Vater in nichts nach. Oder war es der Leichtsinn der Jugend, der den Kleinen die Gefahr mißachten ließ? Tagsüber wich er fast nie von Marcians Seite. Marrad war mit ihm in den Lazaretten gewesen, und obwohl hier die Gefahr bestand, durch ein verirrtes Geschoß getroffen zu werden, war er mitgekommen und lugte über die Zinnen.

Der Inquisitor ging in die Hocke, packte Marrad bei den Schultern und blickte ihn ernst an.

»Merk dir gut, was du da drüben siehst. Dort sterben Helden, über die einst die Barden singen werden. Ich denke, daß wir alle uns ein Beispiel an den Rebellen nehmen sollten. Den Fehler, den sie einmal gemacht haben, hat längst jeder einzelne mit Blut bezahlt. Ich wünschte, ich könnte ihnen das noch sagen, doch ist es unwahrscheinlich, daß sie eine Nachricht um einen Pfeil gewickelt je finden würden. Wer sich bei dem Trommelfeuer der Orks dort drüben auch nur für einen Moment auf den Zinnen blicken läßt, hat sein Leben verwirkt.«

Zweimal hatten sie versucht, des Nachts neue Truppen und Vorräte über den Fluß zur Bastion zu bringen. Doch die Orks bemerkten die Kähne zu früh und versenkten sie, noch bevor die Boote die kleine Anlegestelle an der Rückseite des Turmes erreichen konnten. Es hieß, sinnlos Vorräte und Krieger zu opfern, würde man nach diesen Erfahrungen noch einen Versuch wagen.

Die Westseite des Turmes lag schon in Trümmern. Marcian war überzeugt, daß die Orks bald zum Sturm ansetzen würden. Der Inquisitor wandte sich von der Szene ab, schritt über das Dach des Palastes und stieg durch eine Bodenluke in das Innere des großen Wohngebäudes.

Hatte mit diesem Angriff der Untergang der Stadt begonnen? Was würde die Orks davon abhalten, als nächstes ihre sämtlichen Geschütze vor dem Andergaster Tor aufzubauen und es in Trümmer zu schießen?

Er durfte diesen Gedanken nicht nachhängen! Die Bastion wurde zerstört und bestürmt, weil sie isoliert von der Stadt lag und die Greifenfurter den Truppen auf der anderen Seite des Flusses keine Hilfe bringen können. Die Stadt würde wesentlich mehr Widerstand leisten können, überlegte der Inquisitor, während er die Treppen herabstieg, um in den Rittersaal zu gelangen.

Aber jeder dritte seiner Krieger lag krank in seinem Quartier. Die Gilbe grassierte noch immer in der Stadt. Auf halbe Ration gesetzt und ohne Pfeilkräuter starben viele an dem Fieber. Lancoprians magische Kräfte hatten zuletzt nicht einmal gereicht, ihn selber vor dem gefährlichen Fieber zu schützen. Bis vor ein paar Tagen hatte er den Kranken kraft seiner Magie noch Erleichterung verschaffen können und sicherlich so manchem das Leben gerettet. Die Gilbe war zwar eine ernste Krankheit, doch nichts, woran man hätte sterben müssen, wäre nur wenigstens ausreichend zu essen vorhanden. Marcian konnte es sich leider nicht leisten, volle Rationen auszugeben.

Der Inquisitor blickte die Treppe hinauf. Marrad war verschwunden. Auch sein Vater, der Schmied, lag über einer Woche mit dem Fieber danieder. Darrag hatte den Tod seiner Frau nie verwunden; er war immer schweigsamer geworden, und der Inquisitor hatte den Eindruck, als sei Darrags Wille zum Leben erloschen. Erst heute morgen hatte er ihn im Lazarett der Garnison noch besucht. Doch der Schmied lag nicht mehr in seinem Bett. Auf Befehl von Gordonius war er ins Sterbezimmer gebracht worden. Darrag war kaum noch wiederzuerkennen gewesen. Die Krankheit hatte seinen kräftigen Körper ausgezehrt. Die Wangen waren eingefallen, und am Morgen hatten seine blassen Lippen begonnen, sich gelblich zu verfärben.

Tod und Vernichtung überall! Wenigstens schien die seltsame Krankheit derer, die Gordonius in den Peraine-Tempel hatte schaffen lassen, gebannt zu sein. Bei fast allen waren die schrecklichen Eiterbeulen wieder abgeheilt, daher hatte der Therbunit sie nach Hause gehen lassen. Es schien, als hätte die Göttin selbst eingegriffen, so schnell waren die scheußlichen Wunden wieder verschwunden. So erzählte man zumindest in der Stadt. Der Inquisitor lächelte bitter. Wie schnell der Pöbel seine Meinung änderte. Noch vor einer Woche hatten sie den Tempel anstecken wollen, und jetzt redete alles vom Wunder der Göttin.

Marcian war vor der hohen Flügeltür zum Rittersaal angelangt. Eine Weile zögerte er einzutreten. Dann ging er weiter. Sollten sie dort ohne ihn beraten. Er wollte allein sein!

Die Sonne war versunken, und ein steifer Wind aus Nordwest trieb unermüdlich kleine Wellen in das Hafenbecken, wo sie sich an den Kaianlagen und Bootsrümpfen brachen. Kalt war es an diesem Abend, das Wasser war eisig.

Marrad zögerte immer noch. Sollte er es tun? Der Kommandant hatte immer wieder gesagt, wieviel ihm daran lag, daß die Rebellen erfuhren, daß er ihnen vergeben hatte. Zu oft hatte er das gesagt! Marrad war sich sicher, daß Marcian wollte, was er nun tat.

Vorsichtig streckte er den Fuß ins Wasser und fuhr schaudernd wieder zurück. Seine Kleider hatte er schon zu einem Bündel geschnürt und im Rumpf eines Bootes versteckt.

Er war klein genug, um zwischen den dicken Stäben des Gatters, das die Hafeneinfahrt versperrte, hindurchzuschlüpfen. Einem ausgewachsenen Mann war dieser Weg versperrt.

So gesehen, war Marrad also der einzige, der für diese Aufgabe in Frage kam. Sein Herz klopfte schneller. Was zögerte er noch? War er nicht der Bote Marcians? Der Junge faßte allen Mut zusammen. Dann sprang er kopfüber vom Kai.

Das Eintauchen ins eisige Wasser war wie ein Schock. Einen Moment dachte Marrad, er sei gelähmt und die Flußgeister hätten ihm alle Kraft genommen. Er stellte sich vor, wie er langsam auf den Grund des Hafenbeckens sinken würde, um dort zu sterben. Doch dann dachte er wieder an seine Aufgabe, und das gab ihm Kraft.

So gut ihn seine dünnen Arme trugen, schwamm er quer durch den Hafen auf das große Gitter zu. Schon jetzt spürte er, wie sehr die Kälte an seinen Kräften zehrte. Er war nicht so stark und ausdauernd wie die anderen Jungen in seinem Alter, und er wußte, daß sich sein Vater seinetwegen schämte. Der Sohn des Schmiedes ein Schwächling! Aber er würde jetzt allen beweisen, was in ihm steckte.

Allein Marcian wußte, was er wert war. Der Kommandant hatte ihm einen roten Umhang machen lassen und ihn zu seinem persönlichen Boten ernannt. Mit Stolz dachte der Junge an den Nachmittag, an dem Marcian mit seiner Frau die Straße heruntergekommen war und ihm zugeschaut hatte, wie er sich heldenhaft einer Übermacht erwehrte. Ja, der Kommandant wußte, was in ihm steckte. Er wußte es besser als sein eigener Vater! Marrad mußte schlucken, als er daran dachte, wie sein Vater zitternd vor Fieber in dem schmutzigen Krankenbett im Sterbezimmer lag. Darrag hatte ihn nicht gesehen, obwohl er den ganzen Nachmittag bis kurz vor Sonnenuntergang bei ihm geblieben war. Statt dessen murmelte er immer wieder den Namen ihrer Mutter.

Aber sie war tot! Warum dachte er nicht an die Lebenden? Warum nicht an ihn und seine Schwester?

Marrad hatte das Gitter erreicht und klammerte sich an die mächtigen Stäbe, um für einen Augenblick zu verschnaufen. Wieder dachte er, daß er es in dieser Nacht allen zeigen würde! Keiner hatte es geschafft, bis zur Bastion am anderen Flußufer durchzukommen, seit die Orks den Turm beschossen. Aber er konnte es! Er würde ein Held sein, wie Marcian oder wie Zerwas, der von seinem todesmutigen Ausfall gegen die Orks nicht mehr zurückgekommen war.