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Die Frau bückte die Bannerträgerin völlig entgeistert an. »Machst du Witze? Ordbert hat in der ganzen Zeit, die ich zusammen mit ihm auf Wache stand, nicht einmal einen Schwarzrock getroffen. Er mag ja ein guter Reiter gewesen sein, ein guter Bogenschütze war er nicht. — Natürlich kommen wir ohne ihn aus. Es fehlt nur jemand zum Reden.« Die Frau deutete zum anderen Ende der zerstörten Turmkammer. »Elena schießt zwar bedeutend besser als Ordbert, dafür redet sie nicht mehr als ein Fisch. — Was macht eigentlich unser Kleiner?« »Schläft«, murmelte Rialla einsilbig. »Hat ja Nerven wie ein alter Söldner.« Die Bannerträgerin schwieg. Seit sie von der Stadt abgeschnitten worden waren, hatte sie sich damit abgefunden, in diesem Turm zu sterben. Jetzt lebte sie nur noch für den Augenblick.

Da sie sterben würde, hatte Rialla keine schmachvolle Zukunft mehr zu befürchten. Sie war von adeligem Stand und bekleidete den zweithöchsten Offiziersrang in ihrem Regiment. Aber mit der Rebellion gegen Marcian hatte sie gegen alle Traditionen verstoßen. Sie hatte sogar ihre Waffe gegen den Inquisitor gezogen. Damit war auf Generationen der Name ihrer Familie entehrt.

Gedankenverloren blickte sie zu den Erdwällen der Orks hinüber. Zwanzig oder mehr Geschütze hatten die Schwarzröcke dort aufgefahren. Dazwischen versammelten sich Krieger. Ganz offensichtlich stand ein Sturmangriff bevor. Sie mußte handeln.

»Alle auf die Posten!« Rialla schrie so laut, daß es jeder in der Bastion hören konnte. Zählte sie die Leichtverwundeten mit, hatte sie noch ein knappes Dutzend Kämpfer. Weiter unten waren Schritte auf der Steintreppe zu hören. Die Kämpfer gingen in Stellung.

Gut, dann mochte jetzt der letzte Akt des Dramas beginnen. Die Kürassiere, die mit ihr nach hier verbannt worden waren, würden bleiben, weil es Ehrensache war, auch einen verlorenen Posten nicht aufzugeben. Bei den Bürgern standen die Dinge anders. Hätten sie Sinn in einer Flucht gesehen, dann wäre sicher schon längst keiner von ihnen mehr hier. Rialla war sich vollkommen sicher, daß Gernot Brohm und seine Gefährten nur deshalb blieben, weil sie genau wußten, daß eine Flucht den sofortigen Tod in einem Hagel von Pfeilen bedeutete, wohingegen diejenigen, die in der Ruine ausharrten, vielleicht noch ein paar Stunden oder sogar einen ganzen Tag leben würden. Vielleicht kam ja doch noch im allerletzten Moment die Rettung?

Mittlerweile hatten sich ungefähr hundert Orks hinter den Erdwällen bereitgemacht. Rialla konnte sogar den verräterischen Zwerg erkennen, der auf der anderen Seite das Kommando führte. Wenn sie den Kerl mit zu Boron nehmen könnte, dann hätte ihr Tod in dieser verfluchten Bastion wenigstens einen Sinn gehabt.

Jetzt hob der Zwerg den Arm. Seine Streitaxt blitzte silbrig in der Morgensonne, und während die Orks in einer dunklen Welle über die Erdschanze hinwegstürmten, feuerten alle zwanzig Geschütze gleichzeitig auf den Turm.

Rialla warf sich flach auf den Boden.

Krachend schlugen die Felsbrocken auf die Mauer. Steinsplitter erfüllten die Luft. Von unten konnte sie einen Mann aufschreien hören.

Wo der Kleine jetzt wohl steckte? Verrückt! Wahrscheinlich würde sie in diesem Chaos aus Staub und einstürzenden Mauerstücken nicht einmal mehr die nächste Stunde überleben.

Vorsichtig blickte die Bannerträgerin über die Trümmer, hinter denen sie in Deckung lag. Die Schwarzpelze hatten schon den halben Weg zur Schanze geschafft. Einige von ihnen trugen lange Leitern. Die fünf Schritt, die sie an Höhenvorteil hatten, würden ihnen so auch nicht mehr viel nutzen. Die Bresche in der Mauer reichte zwar nur bis über das Zwischengeschoß, doch war sie breit genug, daß man dort drei oder vier Leitern nebeneinander anlegen konnte.

Es wurde Zeit, daß sie sich ein Stockwerk weiter nach unten zurückzog. Dort, wo der Angriff zu erwarten war, zählte sie jetzt mehr. Sie drehte sich zu Olda um.

»Sobald die Orks heran sind, werft Felsbrocken auf sie herab.«

Die Kriegerin nickte ihr stumm zu, und Rialla kroch vorsichtig zur Wendeltreppe zurück. Knapp einen Schritt neben ihr zerbarst ein Katapultgeschoß an der Wand. Scharfkantige Gesteinssplitter zischten durch die Luft. Obwohl die Bannerträgerin sofort den Schild hochriß, trafen sie einige Splitter ins Gesicht. Blut tropfte von ihrer rechten Augenbraue.

»Vorsicht!« brüllte die Schwarzhaarige. »Du wirst doch nicht vor mir zu Boron gehen wollen?«

Statt einer Antwort lachte Rialla. Jetzt war ohnehin alles gleichgültig. Den Tod fürchtete sie nicht.

Die Orks hatten eine zweite Salve abgeschossen. Mit ohrenbetäubendem Lärm schlugen die Felsbrocken so dicht nacheinander ein, daß man die einzelnen Aufschläge nicht mehr unterscheiden konnte.

Unter den Lärm splitternder Steine mischte sich ein tiefes, bedrohliches Knirschen, das die Bannerträgerin nur zu gut kannte.

Panisch hastete sie die Treppe hinab. So wollte sie nicht sterben! Unten angekommen, blickte sie zur Decke. Die Risse dort wurden langsam größer. Der vordere Teil begann sich abwärts zu senken.

Rialla machte einen Hechtsprung nach vorne und schlug hart zwischen den Trümmern auf. Im Reflex riß sie ihren Schild hoch über den Kopf. Männer und Frauen schrien durcheinander.

»Alles ganz nach vorne zur Bresche!« Rialla versuchte mit lauter Stimme, den Tumult zu übertönen, achtete aber nicht mehr darauf, ob ihrem Befehl Folge geleistet wurde, sondern versuchte halb kriechend, halb rutschend unter der überhängenden Decke wegzukommen.

Dann schlugen mit infernalischem Getöse Felsbrocken hinter ihr auf. Eine Woge von Staub hüllte sie ein, füllte ihr Augen, Mund und Nase, während sie hustend weiterkroch.

Langsam verzog sich der aufgewirbelte Staub. Gleichzeitig hörte sie, wie die Leitern an die Mauern gelehnt wurden.

»Alles auf die Beine!« Rialla reagierte nicht mehr bewußt. Ein Leben lang war sie zum Töten und Kommandieren ausgebildet worden, so daß sie jetzt, ohne nachzudenken, die richtigen Entscheidungen treffen konnte. Hinter ihr taumelten einige staubbedeckte Gestalten auf die Bresche zu, während Rialla schon am Mauerrand stand und den Fuß auf die erste Leiter gesetzt hatte, um sie zurückzustoßen.

»Alle Kürassiere und Offiziere zu mir, die anderen verteilen sich an der Mauer und werfen Steine herab.« Die Kriegerin rief die Befehle, ohne sich auch nur umzudrehen.

Nun war ohnehin alles bedeutungslos geworden. Entweder es gab noch genug Krieger, um die Bresche zu verteidigen oder nicht. Die Bannerträgerin zog das Schwert. Rechts und links neben ihr standen noch zwei Leitern an den Mauern. Schon kletterten die ersten Orks hinauf. Es war zu spät, diese Leitern noch umzustoßen. Sie ragten nur wenige Hand breit über den Rand der Mauer, so daß man sie ohne Hebel nicht mehr umstürzen konnte, sobald die Orks begonnen hatten, hochzuklettern.

Flüchtig erkannte die Kriegerin, daß sich doch noch zwei Kämpen eingefunden hatten, um mit ihr die Bresche zu verteidigen. So gut wie ohne Deckung standen sie zwischen den Trümmern der Turmmauer.

Die Schilde zum Schutz hoch über die Köpfe erhoben, kamen die ersten Schwarzpelze die Sturmleitern hinauf. Der Moment, in dem sie von der Leiter in die Bresche klettern mußten, war für die Angreifer am gefährlichsten. Die Kriegerin machte einen Schritt zurück. Pfeile zischten an ihr vorbei oder bohrten sich zitternd in ihren Schild. Bogenschützen versuchten, sie durch massiven Beschuß von der Mauer zu vertreiben.

Sie durfte nicht an die Pfeile denken. Konnte es Rondras Wille sein, daß sie einen so ehrlosen Tod fand?

Der erste Ork versuchte, von der Leiter auf die Mauer zu klettern. Rialla warf sich, den Schild vor die Brust verschränkt, nach vorne. Ihr Gegner riß ebenfalls den Schild hoch, so daß sie krachend aufeinanderprallten. Noch immer hatte der Ork nicht sein Gleichgewicht auf der breiten Mauerkante gefunden.

Rialla bedrängte ihn weiter, setzte ihren Fuß hinter seine Ferse und holte gleichzeitig mit ihrem Schwert aus, um seitlich am Schild des Gegners vorbeizuschlagen und den Schwarzpelz in seiner ungedeckten Flanke zu treffen.