Bolitho sagte ruhig:»Dafür danke ich Gott. Wenn er schon sterben mußte, bin ich froh, daß es ohne Gewalt abging.»
Tyrell sah ihn trübe an.»Das stimmt. «Er drehte sich mit plötzlichem Ärger zu dem Feuerwerker um.»Mr. Yule! Schaffen Sie diese Gaffer von der Reling weg, oder ich finde eine harte Arbeit für sie!»
Er war ungewöhnlich verstört, und Bolitho fragte sich, ob er sein eigenes Schicksal mit dem des ertrunkenen Seemannes verglich. Er sagte:»Machen Sie einen Eintrag ins Logbuch, Mr. Tyrell.»
«Sir?«Tyrell sah ihn grimmig an.»Als Deserteur?»
Bolitho sah an ihm vorbei auf die Seeleute, die wieder zum Geschützdeck gingen.
«Wir wissen nicht sicher, daß er desertieren wollte. Tragen Sie ihn als tot ein. «Er ging zum Niedergang.»Seine Verwandten müssen schon genug ertragen ohne die zusätzliche Schande.»
Tyrell sah ihn weggehen, sein Atem wurde langsam wieder normal. Es würde Lockhart nichts nützen. Er war außerhalb jeder Reichweite. Aber Bolithos Befehl würde gewährleisten, daß sein Name nicht befleckt war, sein Verlust würde eingetragen werden bei denen, die in der Schlacht gefallen waren, in Kämpfen, an denen er selbst auch ohne Klage teilgenommen hatte. Es war nur ein kleiner Unterschied. Aber trotzdem wußte er, daß nur Bolitho daran gedacht hätte.
Als Bolitho aus seiner Gig kletterte, war er erstaunt, eine hübsch bemalte Kutsche vorzufinden, die an der Pier auf ihn wartete. Ein livrierter Neger nahm seinen Dreispitz ab und verbeugte sich tief.
«Guten Abend, Sir. «Er öffnete die Kutschentüre mit einer einladenden Bewegung, während Stockdale und die Mannschaft der Gig in schweigender Bewunderung zusahen.
Bolitho hielt inne.»Warte nicht, Stockdale. Ich werde mit einem Mietboot zum Schiff zurückkommen.»
Er war in gehobener Stimmung und sich sehr wohl der beobachtenden Leute auf der Straße oberhalb der Pier bewußt, eines neidischen Blickes von einem vorübergehenden Major der Seesoldaten. Stockdale faßte an seinen Hut.»Wenn Sie es sagen, Sir. Ich könnte mit Ihnen kommen…»
«Nein. Ich werde euch morgen voll brauchen. «Er kam sich plötzlich rücksichtslos vor und zog eine Münze aus der Tasche.»Hier, kauf etwas Grog für die Mannschaft der Gig. Aber nicht zuviel — aus Gründen der Sicherheit!»
Er kletterte in die Kutsche und sank in die blauen Kissen zurück, als die Pferde mit einem Ruck zu ziehen begannen.
Mit dem Hut auf den Knien sah er die vorüberhuschenden Häuser und Menschen an, Stockdale und das Schiff waren für den Augenblick vergessen. Einmal, als der Kutscher in die Zügel griff, um einen schweren Wagen vorbeizulassen, hörte er das weit entfernte Geräusch von Kanonendonner. Trotzdem war es schwierig, das ferne Geschützfeuer mit den hellerleuchteten Häusern, den Liedfetzen aus den Tavernen in Verbindung zu bringen. Vielleicht probierte eine Abteilung der Armee ihre Geschütze aus. Aber viel wahrscheinlicher war ein nervöses Duell zwischen zwei Vorposten.
Es dauerte nicht lange, bis sie das Haus erreichten, und als Bolitho aus der Kutsche stieg, bemerkte er, daß auch andere Gäste ankamen. Er schalt sich wieder einen Narren, weil er sich vorgestellt hatte, daß er heute abend allein empfangen würde.
Diener glitten aus dem Schatten, und wie durch Zauberei waren sein Hut und sein Bootsmantel verschwunden.
Ein Dienstmann öffnete einige Türen und kündigte an:»Kapitän Richard Bolitho vom Schiff Seiner Majestät Sparrow.»
Was für ein Unterschied zum Empfang, dachte er. Als er in den schönen hohen Raum eintrat, war er sich des mit einem Hauch von Luxus und Intimität gemischten Komforts bewußt, der vorher gefehlt hatte.
Am Ende des Raumes ließ General Sir James Blundell ihn schweigend herankommen und sagte dann rauh:»Ein unerwarteter Gast, Bolitho. «Seine schweren Züge entspannten sich etwas.»Meine Nichte sagte mir, daß Sie kommen würden. «Er streckte die Hand aus.»Sie sind hier willkommen.»
Der General hatte sich sehr wenig verändert. Vielleicht war er etwas schwerer geworden, aber sonst der Alte. In einer Hand hielt er ein Brandyglas, und Bolitho erinnerte sich an seinen Aufenthalt an Bord der Sparrow, an seine offensichtliche Verachtung für die Männer, die ihn in Sicherheit gebracht hatten.
Etwas von ihrem ersten Zusammentreffen mußte unter seinen Freunden bekannt geworden sein, denn erst nach Blundells Begrüßung wurde der Raum wieder lebendig, füllte sich mit Gelächter und Unterhaltung. Es schien, als ob sie alle abgewartet hätten, wie Blundell reagieren würde. Bolithos eigene Gefühle waren natürlich unwichtig. Man konnte ihm jederzeit bedeuten, wieder zu gehen.
Bolitho fühlte Susannahs Hand auf seinem Arm, und als er sich umdrehte, sah er sie zu sich aufblicken und lächeln. Mit einem Nicken zu ihrem Onkel führte sie ihn auf die andere Seite des Raumes, die Gäste wichen vor ihr zurück wie vor einer königlichen Hoheit.
Sie sagte:»Ich habe Sie heute an Bord gesehen. Danke, daß Sie gekommen sind. «Sie klopfte ihm auf die Ärmelaufschläge.»Ich finde, Sie waren eben wunderbar. Mein Onkel kann sehr schwierig sein.»
Er erwiderte ihr Lächeln.»Ich kann das verstehen. Er hat schließlich meinetwegen viel Beute verloren.»
Sie runzelte die Nase.»Ich bin sicher, daß er sich durch eine Rückversicherung wieder gesundgestoßen hat. «Sie winkte einem Diener.»Etwas Wein vor dem Essen?»
«Danke. «Er sah einige Offiziere, meist von der Armee, ihn angestrengt beobachten. Neid, Ärger, Neugier, alles lag in ihren Blicken.
Sie sagte:»Sir James ist jetzt Generaladjutant. Ich kam mit ihm hierher. «Sie blickte in sein Gesicht, als er an dem Wein nippte.»Ich bin froh, daß ich gekommen bin. Ganz England trauert wegen des Krieges.»
Bolitho riß seine Gedanken von dem los, was sie über ihren Onkel gesagt hatte. Schon Christie hatte verletzend über den Gouverneur und seinen Assistenten gesprochen. Wenn Blundell in die Stadtverwaltung eingriff, dann gab es wenig Hoffnung auf Besserung.
Als das Mädchen sich umdrehte, um einen weißhaarigen Herrn und seine Dame zu begrüßen, verschlang er es mit den Augen, als ob er es zum letztenmal sähe: Die gekrümmte Linie ihres Nackens, als sie sich vor den Gästen verbeugte, die Art, wie ihr Haar über die entblößten Schultern zu fließen schien. Es war sehr schönes Haar, goldbraun wie der Flügel einer jungen Drossel.
Er lächelte unsicher, als sie zu ihm aufblickte.
«Wirklich, Kapitän! Sie bringen ein Mädchen in Verlegenheit, so wie sie schauen!«Sie lachte.»Ich nehme an, ihr Seeleute seid so lange von der Zivilisation weg, daß ihr euch nicht beherrschen könnt. «Sie nahm seinen Arm.»Quälen Sie sich nicht. Man muß das nicht so ernst nehmen. Ich muß Sie wirklich lehren zu akzeptieren, was vorhanden ist, und sich an dem zu freuen, was Ihnen zusteht.»
«Verzeihung. Sie haben wahrscheinlich recht, was mich betrifft. «Er blickte auf den Marmorfußboden und grinste.»Auf See stehe ich sicher. Hier habe ich das Gefühl, als ob das Deck sich bewegt.»
Sie trat zurück und sah ihn forschend an.»Nun, ich werde sehen, was sich da tun läßt. «Sie fächelte ihr Gesicht mit einem schmalen Fächer.»Jedermann spricht über Sie, wie Sie diesem schrecklichen Kriegsgericht in die Augen sahen und Narren aus ihnen gemacht haben.»
«Ganz so war es nicht.»
Sie ignorierte ihn.»Natürlich wird davon nichts erwähnt. Einige haben wahrscheinlich Angst, daß Sie sich in einen blutdürstigen Seewolf verwandeln!«Sie lachte fröhlich.»Andere sehen in Ihrem Erfolg etwas von ihrem eigenen Mißerfolg.»
Ein Dienstmann flüsterte mit dem General, und sie fügte schnell hinzu:»Ich muß Sie nun zum Abendessen sich selbst überlassen. Ich bin heute Gastgeberin.»
Er sagte:»Oh, ich dachte…«Um seine Verwirrung zu verbergen, fragte er:»Ist Lady Blundell nicht auch hier?»
«Sie blieb in England. Die Gewohnheiten meines Onkels sind die eines Soldaten. Ich glaube, sie ist zufrieden, wenn sie nichts damit zu tun hat. «Wieder ergriff sie seinen Arm.»Schauen Sie nicht so traurig. Ich werde Sie später wiedersehen. Wir müssen über Ihre Zukunft sprechen. Ich kenne Leute, die Ihnen helfen können, Sie dahin bringen, wo Sie zu stehen verdienen, anstatt…«Sie sprach nicht zu Ende.