Doch als der Erste Leutnant absprang und auf dem Schanzkleid der Brigantine aufkam, zeigte sich die Natur dieser Decksladung. Hände zerrten die Persenning weg und deckten einen stämmigen Zwölfpfünder auf, der in der Mitte des Decks geriggt war und mit Taljen und Ringbolzen bewegt werden konnte.
Das Krachen der Explosion ertönte gleichzeitig mit dem Zischen der Kartätschen, als diese mit mörderischer Gewalt entlang der Reling der Sparrow einschlugen. Menschen und Glieder flogen blutig durcheinander, und in der rollenden Wolke braunen Rauches sah Bolitho, daß einige von ihnen bis auf die gegenüberliegende Seite des Decks geschleudert wurden.
Dann folgte das Geschrei, und er sah, wie vom Vorschiff und Hauptluk der Brigantine ungefähr fünfzig Mann zum Angriff übergingen.
Er griff nach seinem Säbel, mußte aber feststellen, daß er ihn in der Kajüte vergessen hatte. Überall schrien und kreischten Männer durcheinander, und über allem ertönte das wachsende Geräusch von Stahl auf Stahl, das Krachen des Musketenfeuers.
Ein Seemann fiel tot aus den Wanten und warf Tyrell gegen die Reling. Dessen Bein knickte unter ihm ein, und sein Gesicht verzog sich vor Schmerzen.
Bolitho schrie:»Übernehmen Sie, Mr. Buckle!»
Er schnappte sich das Entermesser aus dem Gürtel des toten Seemannes und rannte zur Reling. Seine Augen tränten vor Rauch, und er fühlte einige Kugeln dicht an sich vorüberpfeifen, eine davon durchtrennte die Wanten wie ein unsichtbares Messer.
Die Brigantine hatte gegen die Kanonen der Sparrow keine Chance. Wenn sie aber so wie jetzt mit Enterhaken aneinandergekettet waren, konnte sich der Kampf leicht gegen sie wenden. Er hatte das schon selbst gemacht und kannte die Risiken.
Entschlossen sprang er in die Hauptwanten und sah dann mit Erstaunen, daß Graves noch immer unter ihm auf dem Geschützdeck stand. Er schrie seine Männer an, schien aber außerstande, ihnen zu folgen. Von Bethune war nichts zu sehen, und Bolitho stellte fest, daß Heyward nach vorne gerannt war, um eine Rotte Enterer abzufangen, die versuchten, über den Bugspriet an Bord zu klettern.
Er rutschte aus, fiel fast zwischen die Schiffsrümpfe, dann war er mit einem Sprung auf dem Deck der Brigantine. Eine Pistole explodierte neben seinem Gesicht, blendete ihn fast, aber er holte mit dem schweren Entermesser aus, fühlte einen kurzen Aufprall und hörte jemanden schreien.
«Zum Achterdeck!«Er bahnte sich seinen Weg durch einige seiner Männer und sah Bethune, der eine Muskete wie eine Keule schwang, sein Haar wehte im Wind, als er versuchte, seine Entermannschaft zu sammeln.»Nehmt das Achterdeck, Leute!»
Jemand brach in einen heiseren Hochruf aus, und mit frischem Mut stürzten die Seeleute nach achtern.
Durch die kämpfenden, ineinander verstrickten Figuren sah Bolitho am Ruder einen Steuermannsmaat ganz alleine stehen, während andere in verschiedenen Stellungen tot um ihn herumlagen, ein Zeichen, daß jemand an Bord der Sparrow einige Scharfschützen in die Rahen gesandt hatte.
Dann, ganz plötzlich, standen sie sich Angesicht zu Angesicht gegenüber. Bolitho, dessen Hemd fast bis zur Taille zerrissen war, dessen Haare ihm über der Stirne festklebten, mit ausgestrecktem Entermesser.
Der andere Kapitän stand fast bewegungslos, hielt seinen Degen schräg vor sich. Aus der Nähe wirkte sein Gesicht fast noch schrecklicher, aber es bestand kein Zweifel an seiner Beweglichkeit, als er plötzlich einen Ausfall nach vorn machte.
Die Klingen trafen mit scharfem Klang aufeinander. Funken flogen, als sie sich ineinandergruben, bis die beiden Griffe sich verkeilten und jeder der beiden Kämpfer das Gewicht des gegnerischen Armes prüfte.
Bolitho sah in das starre Auge, fühlte den heißen Atem, die zitternde Spannung in seiner Schulter, als er Bolitho mit einem Fluch gegen das Ruder zurückwarf, mit zwei scheinbar leichten Bewegungen seinen Degen zurückzog und wieder zuschlug. Schlag, Parade, Deckung. Das Entermesser kam ihm wie ein Bleigewicht vor, und jede Bewegung wurde zur Qual. Bolitho sah, wie sich der Mund des anderen Mannes zu einem grimmigen Grinsen verzog. Er wußte, daß er gewinnen würde.
Jenseits der Reling ging der Kampf wie vorher weiter, aber über den Lärm hörte er Tyrell vom Achterdeck schreien:»Helft dem Kapitän! Um Gottes willen, helft ihm!»
Als sie sich wie Katzen im Urwald umkreisten, sah Bolitho Stockdale, der versuchte, sich zu ihm durchzuschlagen. Aber er mußte mit mindestens drei Männern kämpfen, und sein Brüllen war das eines in die Enge getriebenen Stieres.
Bolitho hob sein Entermesser bis in Taillenhöhe des anderen. Er konnte es nicht höher heben, seine Muskeln schienen zu reißen. Wenn er nur die Hand wechseln könnte! Aber er würde sterben, wenn er es versuchte.
Der Degen zuckte vor, die Spitze drang durch seinen Ärmel und ritzte seine Haut wie rotglühendes Eisen. Er fühlte das Blut seinen Arm herunterrinnen, sah das einzige Auge des Mannes durch einen Nebel von Schmerzen.
Der Kapitän der Brigantine schrie:»Jetzt, Kapitän! Ihre Stunde hat geschlagen! Da!»
Er bewegte sich so schnell, daß Bolitho die Klinge kaum kommen sah. Sie traf das Entermesser nur wenige Zentimeter vor dem Griff, riß es ihm aus der Hand wie ein Spielzeug, das man einem Kind wegnimmt, und warf es in hohem Bogen über die Reling.
Es gab einen lauten Knall, Bolitho fühlte, wie eine Kugel über seine Schulter flog, die Hitze war so groß, daß sie sicherlich nur eine Daumenbreite entfernt gewesen war. Sie traf den anderen Mann in den Hals, wirbelte ihn herum, gerade als er seinen Degen zum letzten Stoß zückte. Einige Augenblicke lang zuckte er noch, dann krümmte er sich zusammen und lag still in seinem Blut.
Bolitho sah, wie Dalkeith ein Bein über das Schanzkleid schwang und zu ihm heraufkletterte, eine rauchende Pistole in der Hand.
Auf beiden Schiffen herrschte völlige Stille, und die Mannschaft der Brigantine stand oder lag, der Gnade ihrer Angreifer ausgeliefert.
Bolitho sagte:»Danke. Das war knapp.»
Dalkeith schien nicht zu hören. Er sagte gebrochen:»Sie haben Majendie getötet. Wie einen Hund erschossen, als er versuchte, einen Verwundeten zu retten.»
Bolitho spürte die Finger des Arztes auf seinem Arm, als er das Hemd zu einer groben Bandage zerriß.
Er wandte sich um, die beiden Schiffe zu betrachten.
Einige seiner Männer riefen heiser hurra, als er zum Schanzkleid hinüberging, aber die meisten waren zu ausgepumpt, um sich überhaupt zu bewegen.
Ärger, Ekel, sowie ein Gefühl des Verlustes überfluteten ihn, als er durch seine keuchenden Leute ging. Wenn man daran dachte, daß Männer gestorben waren, nur weil jemand Reichtümer für andere erlangen wollte, die für jeden Vorwurf unerreichbar waren.
«Aber diesmal nicht!«Er sprach laut, ohne es zu merken.»Für den heutigen Tag wird jemand bitter bezahlen müssen!»
Eines Mannes Schaden…
Konteradmiral Sir Evelyn Christie erhob sich hinter seinem Tisch, der mit Dokumenten beladen war, und beugte sich vor, um ihm die Hand zu reichen.
«Willkommen. «Er wies auf einen Stuhl.»Freut mich, Sie wiederzusehen.»
Bolitho setzte sich und beobachtete den Admiral, als dieser zur Heckgalerie hinüberging. Es war drückend heiß, und obwohl eine stete Brise über Sandy Hook strich, war die Luft in der Prunkkajüte des Flaggschiffs stickig.
Christie setzte abrupt hinzu:»Es tut mir leid, daß Sie so lange warten mußten. Aber die hohe Politik ist nichts für einen jungen Kapitän. «Er lächelte.»Ihr Mut ist über jeden Zweifel erhaben, doch hier in New York würde man Sie am liebsten lebendig fressen!»
Bolitho versuchte, sich zu entspannen. Drei Tage, nachdem er Anker geworfen hatte, war er praktisch auf seinem Schiff arretiert worden. Nachdem er seinen Bericht an das Flaggschiff gegeben und seine Verwundeten zur weiteren Pflege an Land hatte bringen lassen, ließ man kaum Zweifel an seiner eigenen Lage. Es war kein eigentlicher Befehl ausgegeben worden, aber der Wachoffizier hatte ihm mitgeteilt, daß seine Anwesenheit an Bord im Interesse aller wünschenswert sei, bis der Admiral sich geäußert hätte.