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Orry nickte. »Ja, vor zwei Monaten.«

»Na so was«, sagte George und grinste wieder, »ich auch.« Dann streckte der junge Mann Orry die Hand entgegen. »Ich heiße George Hazard und komme aus Pennsylvania. Aus einer kleinen Stadt, von der Sie sicher noch nie etwas gehört haben: Lehigh Station.«

»Orry Main. Aus Saint George, South Carolina.«

Sie blickten einander an, als sie sich die Hände schüttelten. Orry hatte den Eindruck, daß dieser kampflustige Yankee sein Freund werden würde.

Einige Schritte weiter weg schimpfte Georges Vater mit dem Beamten, der während der Auseinandersetzung tatenlos zugesehen hatte. Der Beamte wies lauthals darauf hin, daß er für diesen Pier nicht zuständig sei, das sei öffentlicher Grund und Boden. Der älteste Hazard rief: »Ich habe mir Ihren Namen notiert, und ich versichere Ihnen, daß es eine Untersuchung des Falles geben wird.«

Finsteren Blickes gesellte er sich wieder zu seiner Familie. Seine Frau besänftigte ihn, indem sie einige Worte murmelte und ihn sanft tätschelte. George räusperte sich und stellte mit gesitteter Miene die Familienmitglieder vor. William Hazard war ein ernster, beeindruckender Mann, mit scharfen, klaren Gesichtszügen. Abgesehen von den Eltern und den beiden älteren Söhnen gab es noch eine Tochter, Virgilia – die älteste der Kinder, wie Orry vermutete – und einen etwa sechs- oder siebenjährigen Jungen. Seine Mutter nannte ihn William, für die anderen hieß er Billy. Der Junge fummelte an seinem hohen Kragen herum, der dauernd seine Ohrläppchen streifte. Alle Männer, auch Orry, trugen einen ähnlichen Kragen. Billy starrte seinen Bruder mit unverhohlener Bewunderung an.

»Da Stanley der älteste ist, wird er die Eisenwerke übernehmen«, erklärte George, als er und Orry den Koffer auf den Dampfer schleppten. »Es war von jeher klar, daß er nie etwas anderes tun würde.«

»Eisen, haben Sie gesagt?«

»Ja, das produziert unsere Familie bereits seit sechs Generationen. Früher hieß die Firma ›Hazard Werke‹, aber mein Vater hat den Namen in ›Hazard Eisen‹ umgewandelt.«

»Mein älterer Bruder wäre fasziniert. Er interessiert sich für alles Wissenschaftliche oder Technische.«

»Sind Sie auch der Zweitälteste?« fragte Georges Vater, der mit der restlichen Familie an Bord gekommen war.

»Ja, Sir. Mein Bruder Cooper hat den Ruf an die Akademie abgelehnt, so gehe ich an seiner Stelle.« Weiter sagte er nichts. Es hatte keinen Sinn, über Familienstreitigkeiten zu reden und Fremden mitzuteilen, daß Cooper, den Orry bewunderte, seinen Vater dauernd mit seiner selbständigen Art ärgerte und enttäuschte.

»Dann sind Sie also der Glückliche«, bemerkte Hazard senior und stützte sich auf seinen Stock. »Man sagt, daß die Akademie eine Zufluchtsstätte für Aristokraten ist, aber das ist falsch. In Wirklichkeit vermittelt die Akademie die beste wissenschaftliche Ausbildung in ganz Amerika.« Er betonte jeden Satz, indem er lange Pausen einschaltete. Der Mann spricht wie ein Staatsmann, dachte Orry.

Die Schwester von George trat vor; eine ernste junge Frau von etwa zwanzig Jahren. Ihr eher kantiges Gesicht wies einige unschöne Pockennarben auf. Sie war nicht gerade schlank und etwas zu drall für das taillierte, mit Puffärmeln versehene bestickte Batistkleid. Sie trug Handschuhe und eine mit Blumen verzierte Tasche. Miss Virgilia Hazard sagte: »Darf ich Sie bitten, Ihren Vornamen zu wiederholen, Mr. Main?«

Er konnte verstehen, wieso sie nicht verheiratet war. »Orry«, sagte er und buchstabierte. Er erklärte, daß seine Vorfahren zu den ersten Siedlern in South Carolina gehört hatten, und daß er der dritte seines Geschlechtes war, der diesen Namen trug. Es war eine Verballhornung von Horry, ein bei den Hugenotten üblicher Name, wobei das H am Anfang stumm war. Die dunklen Augen von Virgilia blickten herausfordernd. »Darf ich erfahren, welchen Geschäften Ihre Familie nachgeht?« Er fühlte sich sofort in die Defensive gedrängt und wußte, worauf sie aus war.

»Wir sind Besitzer einer Reisplantage, Ma’am. Sie ist recht groß und ertragreich.« Es wurde ihm bewußt, daß seine Beschreibung überflüssig und großspurig war: Er fühlte sich offensichtlich angegriffen.

»Ich nehme an, daß Sie in diesem Fall auch Sklaven haben?«

Sein Gesicht war jetzt sehr ernst. »Ja, Ma’am, mehr als hundertfünfzig. Ohne Sklaven könnten wir keinen Reis anbauen.«

»Solange der Süden Sklaverei betreibt, Mr. Main, wird er unterentwickelt bleiben.«

Die Mutter berührte ihre Tochter am Arm. »Virgilia, dies ist weder der Ort noch die Zeit für eine derartige Diskussion. Deine Bemerkung war unhöflich und unchristlich. Du kennst diesen jungen Mann kaum.«

Sie blinzelte, offenbar die einzige Form von Entschuldigung, die Orry erhalten würde.

»Besucher von Bord, Besucher von Bord bitte!« Ein schriller Glockenton ertönte. George wirbelte herum, umarmte Billy, seine Mutter und seinen Vater. Er schüttelte dem langweiligen Stanley die Hand und verabschiedete sich nur knapp von Virgilia.

Bald darauf wurde der Anker gelichtet. Die Familie winkte vom Pier aus und verschwand schließlich aus der Sicht, als das Schiff stromaufwärts fuhr. Die beiden Reisenden sahen einander an, und es wurde ihnen klar, daß sie jetzt ganz auf sich gestellt waren.

Der siebzehnjährige George Hazard glaubte, sich bei dem jungen Mann aus dem Süden für das Verhalten seiner Schwester entschuldigen zu mü ssen. Er verstand seine Schwester nicht, nahm jedoch an, daß sie es der Welt übelnahm, daß sie nicht als Mann – mit dessen Rechten und Chancen – geboren worden war. Ihre Wut machte sie zum sozialen Außenseiter; sie war zu direkt, um einen Verehrer zu finden.

Auch verstand der junge Pennsylvanier die Ansichten seiner Schwester nicht. Er hatte sich nie die geringsten Gedanken über Sklaverei gemacht. Sie war eine Tatsache, obwohl viele sie abschaffen wollten. Auf keinen Fall würde er deswegen diesen jungen Burschen verurteilen.

Das Schaufelrad des Dampfers ließ das sonnenbeschienene Wasser aufschäumen. Die Hafenanlagen und die Gebäude von New York verschwanden aus dem Blickfeld. George sah Orry verstohlen an. Einerseits erinnerte er ihn an Stanley. Denke, bevor du handelst. Und doch gab es einen wesentlichen Unterschied: Orry hatte ein echtes, natürliches Lächeln. Stanleys Lächeln hingegen war geziert und gezwungen.

George räusperte sich. »Meine Schwester war frech zu Ihnen.« Er bemerkte, wie Orrys Schultern sich spannten, doch schien ihn der Klang seiner Worte zu beruhigen. »Ist sie für die Abschaffung der Sklaverei?« fragte Orry.

»Ich glaube nicht. Auf jeden Fall ist sie keine aktive Gegnerin, obwohl ich ihr das zutrauen würde. Ich hoffe, Sie nehmen ihre Bemerkung nicht persönlich. Virgilia wäre wohl mit jedem aus Ihrer Gegend unverschämt. Wahrscheinlich sind Sie der erste Südstaatler, dem sie begegnet ist. Es gibt nicht viele in Pennsylvania, und ich kann nicht behaupten, selbst mal einen getroffen zu haben.«

»In der Akademie werden Sie reichlich Gelegenheit dazu haben.«

»Schön. Ich möchte gerne wissen, wie sie wirklich sind. Sehen Sie, ich hab’ so meine Vorstellungen.«

»Und wie sind diese Vorstellungen?«

»Leute aus dem Süden essen Schweinefleisch und Kohl, kämpfen mit dem Messer und mißhandeln die Nigger.«

Obwohl sich Orry durch diese Beschreibung verletzt fühlte, merkte er doch, daß sie humorvoll gemeint war. »Das alles trifft zwar für einige Südstaatler zu, aber beileibe nicht für alle. So entstehen Mißverständnisse, nehme ich an.« Er dachte kurz nach. »Aber ich habe mir auch ein Bild von den Yankees gemacht.«

George grinste. »Das dachte ich mir. Wie sieht es aus?«

»Ein Yankee möchte am liebsten laufend etwas Neues erfinden und ist darauf aus, seinen Nachbarn vor Gericht auszustechen. Er ist vorlaut, versucht jedem seine Taschenmesser oder Blechwaren anzudrehen, und am allerliebsten schröpft er andere Leute.«