Viele Kadetten nahmen Mahans Ideen auf, doch wenige vertraten sie auf so fanatische Art und Weise wie Bent. Dies zeigte sich sehr eindrücklich, als sie zu ihrem Unglück Bent ein zweites Mal als Zuchtmeister erhielten. Mahan lehrte, daß die großen Generäle wie Friedrich und Napoleon nie bloß um ein Stück Land kämpften, sondern daß es ihnen um ein sehr viel wichtigeres Ziel ging – nämlich darum, den Widerstand des Feinds zu brechen. Während des Drills hielt Bent einen seltsamen, kurzen Vortrag, in dem er sich auf die Lehren Mahans bezog und dann betonte, daß es Pflicht der Senioren sei, die militärische Disziplin zu fördern, indem sie jeglichen Widerstand der Junioren brechen würden.
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er fortfuhr, doch seine dunklen, kleinen Augen blieben kalt. Jackson war auch in jener Gruppe und wurde an diesem Tag zur besonderen Zielscheibe von Bent. Er nannte den Mann aus Virginia Dummkopf, und zwar nicht nur einmal, sondern gleich ein halbes dutzendmal.
Als sie wieder in der Kaserne waren, erklärte Jackson, daß Bent seiner Meinung nach etwas ›gereizt‹ sei. »Und ein Christ ist er schon gar nicht«, fügte er in seinem üblichen Eifer hinzu.
George zuckte die Achseln. »Wenn man dich Elkanah getauft hätte, wärst du vielleicht auch verrückt.«
»Ich weiß nicht viel über die Armee«, sagte Orry, »aber ich weiß, daß Bent nicht geeignet ist, andere Leute zu führen, und er wird es auch niemals sein.«
»Aber er gehört zu denen, die sich durchsetzen«, bemerkte George. »Besonders wenn er diese Beziehungen wirklich hat, mit denen er überall herumprahlt.«
Es war Tradition, daß die Schulabsolventen bei ihrer letzten Parade ihre Hüte in die Luft warfen, sie dann mit dem Fuß im Tal herumkickten und auf ihren Bajonetten aufspießten. Das war die ganze Entlassungsfeier von West Point. Die Absolventen verließen die Akademie bald nach der Zeremonie; meistens hatten sie ihre Uniformen und ihr Bettzeug den zurückbleibenden Freunden verkauft oder vermacht. Die Klassen rückten dann jeweils um eine weitere auf, und die unter General Winfield Scott einberufene Aufsichtsbehörde zur Prüfung der tauglichen Absolventen wandte nun ihre volle Aufmerksamkeit den Junioren zu.
General Scott war ehedem der Soldat der Nation gewesen; er hatte ein pompöses Auftreten und war dickwanstig, aber ein großer Held. Er ließ sich mit seinen Töchtern im Hotel nieder und führte den Vorsitz bei den Eintrittsprüfungen, obwohl er meistens mittendrin einschlief. Das taten übrigens die meisten der Aufsichtsbeamten. Die Professoren leiteten die Prüfungen. Man konnte sie an ihrer Kleidung erkennen – sie trugen nicht die üblichen Uniformen, sondern dunkelblaue Mäntel und Hosen im Militärschnitt.
Die neuen Kadetten waren nach dem Zufallsprinzip in kleine Gruppen eingeteilt worden; die gesamte Tätigkeit der Akademie war in Gruppenarbeiten aufgeteilt. Die Prüfungen wurden im üblichen Unterrichtsstil abgehalten. Die Studenten in West Point wurden nicht mit Vorlesungen berieselt, die sie dann später vor ihrem Ausbilder wiederkäuen mußten. Gemäß einem festen Plan mußten jeden Tag einige Gruppenmitglieder einen Vortrag halten. Zu diesem Zweck wurde jeweils eine Wandtafel benutzt.
Während der Prüfung mußten George, Orry und die andern vor eine Wandtafel treten und ihr erworbenes Wissen in den verlangten Fächern beweisen. George hatte nicht gebüffelt, aber die Prüfungen schienen ihn keineswegs zu beunruhigen, wie seine entspannte Haltung bezeugte. Er bestand ohne Schwierigkeiten. Als Orry an der Reihe war, fand er das Prüfungszimmer heißer als einen Stollen; drei Offiziere schienen gelangweilt – Scott schnarchte –, und die Arbeit an der Wandtafel brachte ihn in große Verlegenheit. Er wurde zusammen mit Jackson geprüft. Es war völlig klar, wer von beiden mehr schwitzen oder mehr Kreide auf der Kleidung haben würde. Lohnte sich eine solche Folter für das fürstliche Kadettengehalt von vierzehn Dollar pro Monat? Orry mußte sich selbst dauernd daran erinnern, daß der Kampf an der Wandtafel der Preis für ein Soldatenleben war.
Er hatte Glück. Zwanzig junge Männer bestanden nicht und wurden nach Hause geschickt. Der Rest wurde mit einer Uniform eingekleidet. Nach diesen ersten, schier endlosen Wochen waren sie nun offiziell Junioren. Und die Tatsache, daß er nun ein Abzeichen auf dem Ärmel seines Schwalbenschwanzes trug, war für Orry das Ereignis seines Lebens.
3
Das gesetzlich vorgeschriebene zweimonatige Sommercamp begann am 1. Juli. Mit Ausnahme der neuen zweitletzten Klasse, die zu Hause auf Urlaub war, schlug das gesamte Kadettenkorps im Tal Zelte auf. Orry wurde in die Geheimnisse des Wachestehens eingeführt und lernte, wie man mit Senioren umging, die in der Dunkelheit herumschnüffelten, um festzustellen, ob sie die neue Wache ablenken konnten.
Bent war jetzt Unteroffizier. Er schrieb dreimal wegen verschiedener Vergehen einen Bericht über Orry. Orry war der Meinung, daß zwei der Anschuldigungen aus der Luft gegriffen waren, die dritte stark übertrieben. George drängte ihn, für letztere eine schriftliche Entschuldigung an den Kadettenkommandanten, Hauptmann Thomas, zu schreiben. Sollte die Entschuldigung überzeugend genug ausfallen, so würden die Fehlerpunkte annulliert werden. Doch Orry hatte gehört, daß Hauptmann Thomas ein eifriger Verfechter der Grammatik und ein Liebhaber von gewählter und treffender Ausdrucksweise war; oft behielt er einen Kadetten eine Stunde lang zurück, und dann korrigierten sie die schriftliche Entschuldigung gemeinsam. Es hörte sich für ihn zu sehr nach der berüchtigten Wandtafel an; also ließ er den Bericht gelten und steckte seine Fehlerpunkte ein.
George schien die bevorzugte Zielscheibe von Bent zu sein. Als die Junioren das Camp in Ordnung brachten, schikanierte der Dickwanst George bis zur Erschöpfung, indem er ihn zwang, Kieselsteine aufzulesen und Grashalme zu glätten, die seiner Meinung nach krumm waren. Zum Vergnügen Bents konnte George sein Temperament nur schwer zügeln und kassierte mit rasanter Geschwindigkeit Fehlerpunkte.
Trotz der engen Zelte, dem schlechten Essen und den dauernden Schikanen von seiten der Senioren, die so ziemlich alles an den Junioren kritisierten – vom Salutieren bis zu ihren Ahnen – war Orry vom Camp begeistert. Er fand Gefallen an den Infanterie- und Artillerieübungen, die den größten Teil des Tages in Anspruch nahmen. Die Abendparaden, die von Hotelgästen besucht wurden, waren herrliche militärische Demonstrationen, für die sich alle Mühe lohnte.
Jede Woche wurde ein Kadettentanzfest abgehalten. Damit auch sicher genügend Tanzpartner für die anwesenden Damen vorhanden waren, erlaubte die Akademie ihren Studenten einen deutschen Tanzlehrer. George polierte seine Tanzkenntnisse auf und war, wenn er nicht Dienst hatte, bei jedem Treffen dabei. Es war den Junioren gestattet, sich unter die Damen zu mischen, sie mußten jedoch den Senioren den Vortritt gewähren. Trotzdem vergnügte sich George ungeheuer und wandelte bei mehreren Gelegenheiten mit einem Mädchen auf den sogenannten Flirtwegen – dies war ein Verstoß gegen die Vorschriften, wonach bestimmte Bezirke des Camps für seine Klasse nicht zugänglich waren.
Eines Abends, nach einem solchen Tanzfest, kam George ins Zelt gekrochen; er roch stark nach Zigarren. Orry lag noch wach, und George forderte seinen Freund auf, doch am nächsten Tanzfest mitzumachen.
»Ich bin ein sehr schlechter Tänzer«, sagte Orry gähnend. »Ich habe einfach nicht die Nerven, um ein Mädchen fest in den Armen zu halten. Das Problem ist, daß die Frau für mich ein Objekt darstellt, das man wie eine Statue aus der Ferne bewundert.«
»Blödsinn«, flüsterte George. »Frauen sind dazu da, angefaßt und gebraucht zu werden – wie schöne alte Winterhandschuhe. Sie mögen das.«
»Das kann ich nicht glauben, George. Frauen denken anders als Männer. Sie sind sensible Geschöpfe. Edel.«