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»Ich hab’ keine Zigarren mehr, und eigentlich haben wir unseren schlagenden Erfolg nie gebührend gefeiert. Komm, wir gehen zu Benny.«

Orry blickte in Richtung Fenster. Das Mondlicht malte sternförmige Frostmuster auf die Fensterscheiben. Die Nacht war so kalt, daß auch das Kaminfeuer nicht mehr viel ausrichten konnte. Der Hudson war jetzt beinahe bis auf den Grund gefroren. »Bei diesem Wetter? Zu dieser Stunde?« Orry zog die Brauen hoch. Bald würden der Zapfenstreich und das Signal zum Lichterlöschen ertönen.

George sprang vom Bett. Er war dabei gewesen, einen Roman zu lesen. »Natürlich! Klar! Wir müssen dem Wahrzeichen von West Point noch einen Besuch abstatten. Wir sind uns ein Fest schuldig. Wo bleibt dein Abenteuergeist?« Und schon zog er seinen neuen Mantel an.

Orry wollte eigentlich nein sagen, aber da George früher bereits einige Bemerkungen über seine Unentschlossenheit gemacht hatte, fühlte er sich nun genau zum Gegenteil veranlaßt. Eine halbe Stunde nach dem Lichterlöschen schlichen sie die eiserne Treppe hinunter, stahlen sich am Wachtposten vorbei und rannten durch die klirrende, atemberaubende Kälte zum Fluß. Mühsam kletterten sie den Pfad auf der Hügelflanke hinunter und kämpften sich durch Schnee und gefrorenes Unterholz dem Ufer entlang. Es war ziemlich anstrengend. George schielte auf die glitzernde Eisfläche zu ihrer Linken.

»Es wäre einfacher, wenn wir über das Eis gehen würden.«

»Glaubst du, es trägt uns?«

»Das werden wir schnell herauskriegen.«

Orry folgte seinem Freund auf den Fersen und tadelte sich selbst wegen seiner ewig mangelnden Kühnheit. Was war das für ein Verhalten von jemandem, der vielleicht einmal das Kommando für eine Schlacht übernehmen mußte? Er machte einen Schritt auf das glitschige Eis und hörte ein Krachen.

George, der ihm voraus war, hielt an. »Was war das?«

Orry starrte auf die schwarze Hügelmasse hinter ihnen und sagte: »Ich glaube, es kam von dort.«

»Du glaubst doch nicht, daß uns jemand folgt?«

Orry blickte umher. Man würde sie auf dem mondhellen Eis vom Ufer aus klar erkennen können. »Zu spät, um sich darüber Gedanken zu machen.«

George pflichtete ihm bei. Sie eilten vorwärts. Das Eis krachte mehrere Male und drohte, unter ihrem Gewicht einzubrechen. Eigentlich war es zu dünn, um einen sicheren Übergang zu gewährleisten. Doch es gab keine Anzeichen dafür, daß ihnen jemand folgte, und bald blickten sie über ein Fenstersims auf ein gemütliches Kaminfeuer, das in Benny Havens kleiner Kneipe am Flußufer brannte. George rieb sich die Hände.

»Das Glück ist auf unserer Seite. Kein Senior in Sicht.«

In der Tat hatte Benny heute abend keine Kunden von der Akademie, bloß zwei aus dem Dorf Buttermilk Falls, das auf dem Hügel oberhalb der Taverne lag. Der freundliche Benny mit seinen pechschwarzen Haaren, seiner großen Nase und seinen indianischen Gesichtszügen verkaufte seit vielen Jahren Bier, Wein und Spirituosen. Er begrüßte die beiden Neuankömmlinge herzlich. Die Dorfleute warfen ihnen mürrische Blicke zu.

George bestellte drei Zigarren und zwei Bier. Die Freunde saßen an einem Ecktisch in der Nähe eines Fensters mit Blick auf den Hügel. Sollte sich ein Senior zeigen, so konnten sie durch die Vorhangtür neben dem Kamin aus Feldgestein verschwinden. Orry entspannte sich etwas und genoß sein Bier sowie den Duft von heißem Schinken, der aus der Küche im Hintergrund zu ihnen herüberwehte. Er bestellte einen Teller Schinken und etwas Brot.

Benny trug das Essen auf und begann dann ein Gespräch. Orry sei herzlich willkommen als Neuankömmling, aber sein Akzent verrate, daß er aus dem Süden komme. Höflich erkundigte Benny sich, wie es denn mit der Forderung der Südstaaten nach der Annexion von Texas stand. Steckte dahinter der Wunsch der Politiker, der Union mehr Gebiete hinzuzufügen, wo Sklaverei herrschte?

Orry war schon zu oft deswegen angegriffen worden, als daß er sich verletzt gefühlt hätte. Abgesehen davon sagte sein Bruder Cooper – sehr zum Ärger seines Vaters –, daß dies wahr sei. Orry nahm sich Zeit, um eine Antwort zu formulieren. Während er überlegte, runzelte Benny die Stirn und blickte in Richtung Vorhangtür. Alle hatten ein Geräusch in der Küche gehört. Der Gesichtsausdruck von George deutete darauf hin, daß es Ärger geben würde. Da flog auch schon der Vorhang beiseite und ein vor Kälte geröteter Kopf, der aus einem zitternden Kadettenmantel herausragte, wurde sichtbar.

»Aha, was haben wir denn hier? Zwei Missetäter, wie ich sehe«, sagte Elkanah Bent mit einem hämischen Grinsen.

Orry hatte Magenschmerzen. Er war sicher, daß Bent nicht rein zufällig hier war. Er erinnerte sich an die Geräusche, die sie auf dem Weg hierher gehört hatten. Wie viele Nächte hatte Bent ihnen wohl nachspioniert und auf diese Gelegenheit gewartet?

Plötzlich schmiß George sein leeres Bierglas in den Raum. Bent brüllte und duckte sich, um nicht getroffen zu werden. »Los!« schrie George und rannte wieselflink durch die Küchentür. Orry stürmte hinterher, von einem unsinnigen Gedanken verfolgt: Sie hatten ihre Rechnung nicht bezahlt.

George stolperte über einen Schneehaufen am Ufer. Orry hielt an, rannte zurück und half seinem Freund auf die Füße. Er sah, wie Bent schwerfällig hinter ihnen her war. Benny Haven stand in der Tür und schaute amüsiert zu. Er schien sich keine Sorgen um die Rechnung zu machen.

»Komm doch, George«, keuchte Orry, als sein Freund erneut ausrutschte und im Schnee landete. »Diesmal wird uns der Schweinehund erwischen.«

»Nicht, wenn wir ihn zusammenschlagen.«

»Auch wenn wir das tun, wird er einen Bericht über uns schreiben, und lügen können wir nicht«, sagte Orry keuchend, als sie flußaufwärts rannten. Der Ehrenkodex der Akademie war ihnen bereits in Fleisch und Blut übergegangen.

»Nein, das können wir nicht«, sagte George.

Doch Bent hatte mit seiner Körpermasse zu kämpfen. Die beiden jungen Kadetten konnten viel schneller rennen als er, aber sie hatten mit dem Gebüsch Schwierigkeiten. Die gefrorenen Äste peitschten ihnen ins Gesicht und brachen mit einem Knall, der wie ein Schuß tönte, wenn sie darauf traten. George änderte nach kurzer Zeit die Richtung. Er sprang über ein niedriges Gebüsch und landete auf dem Eis. Orry sah, wie sich Risse in der mondweißen Eisdecke bildeten und das Eis einbrach.

»Vielleicht können wir ihn dazu bringen, keinen Bericht abzufassen«, sagte George, der vorausging. »Auch er ist schließlich nach dem Lichterlöschen noch draußen, vergiß das nicht.«

Orry gab keine Antwort und rannte weiter. Georges Logik schien irgendwie falsch, aber er konnte den Fehler nicht nachweisen. Es war tückisch, auf dem Eis zu gehen, das dauernd einzubrechen drohte. Er blickte zurück, sah, wie Bent ihnen stolpernd und schwankend auf den Fersen war, ein riesiger Tintenfleck auf der hellen Eisfläche.

»Noch zwanzig Meter und wir sind auf dem Pfad«, schrie George. Im selben Augenblick hörten sie hinter sich einen Schrei. George schlitterte, bremste und warf einen verstohlenen Blick zurück. »O Gott«, stöhnte er.

Orry taumelte gegen ihn und drehte sich um. Der Klecks auf dem Eis war nur noch halb so groß. Man sah hektische Armbewegungen. Durch die weiße Stille drangen Schreckensschreie an ihr Ohr.

»Er ist eingebrochen«, rief Orry.

»Erstaunt dich das bei seinem Gewicht? Komm!«

»George, wir können ihn doch nicht dem Schicksal überlassen. Er könnte ertrinken!«

Bents Schreie wurden lauter. George zog eine Grimasse. »Dachte ich mir doch, daß du dies sagen würdest.«

»Ich glaube nicht, daß du von einer Sekunde zur anderen plötzlich herzlos geworden bist.«

»Halt den Mund und komm«, sagte George und rannte zurück. In seinen Augen glimmte Zorn, und er brauchte Orry nicht ausdrücklich zu sagen, daß das Glück sie plötzlich verlassen hatte.