»Warum nicht?«
»Man muß zuviel dabei spekulieren. Der Kohlenstoffgehalt kann nur anhand der Farbe der Konverterflamme beurteilt werden. Aber mit dieser Methode kann man sich nicht auf eine bestimmte, fortgesetzte Güte des Stahls verlassen. Es gibt da noch jemanden, der eine vielleicht bessere Methode als diejenige von Bessemer entwickelt hat, ein in Deutschland geborener Engländer namens Karl Siemens. Ich habe ihm geschrieben – aber nicht wahr, Orry, das interessiert dich sicher alles überhaupt nicht?«
»Doch, natürlich.«
George schüttelte den Kopf. »Komm, laß uns nach draußen gehen, wo es kühler ist.«
Als sie draußen waren, blickte er seinen Freund besorgt an. »Du scheinst verändert, seit du hier bist. Was ist los?«
»Ich weiß nicht.«
Er wußte es, aber er konnte es nicht aussprechen. Er war wütend auf seinen Freund, aus dem einfachen Grund, weil dieser ein Yankee war.
Um zwei Uhr nahmen die Hazards das Mittagessen ein. Orry war angespannt und verärgert. Er informierte George zwar über den Stand der Arbeiten an der Star of Carolina, aber er kam ihm dabei immer wieder wie ein Fremder vor. Es schien unvorstellbar, daß sie einander früher einmal mit solch lächerlichen Namen wie Stumpf und Stiel betitelt hatten. In diesen grimmigen Zeiten gab es keinen Raum mehr für Spitznamen oder Gelächter. Vielleicht auch nicht mehr für eine Freundschaft?
»Das klingt alles ausgezeichnet«, sagte George, als Orry mit seinem Bericht zu Ende war. »Ich freue mich über den Fortschritt.« Er zündete sich eine Zigarre an.
Orry mußte husten und fuchtelte mit der Hand in der Rauchwolke herum. George runzelte die Stirn und murmelte eine Entschuldigung. Aber er löschte die Zigarre nicht aus, sondern nahm sie bloß in die andere Hand.
Nach einem verlegenen Schweigen fragte Orry: »Du hast mir nie geschrieben, wie du auf die Nachricht, daß Elkanah Bent in Texas ist, reagiert hast.«
»Ich war wie vom Donner gerührt, als du es in jenem Brief erwähntest. Ich hatte ihn vollkommen vergessen.«
»Tja, aber er hat uns nicht vergessen. Wenn Bent mich immer noch haßt und diesen Haß sogar auf meinen Vetter überträgt, könnte es dir ähnlich ergehen.«
Sein Freund lachte kurz und trocken. »Er soll ruhig nach Lehigh Station kommen! Ich werde ihm einen unvergeßlichen Empfang bereiten.«
»Ich habe eher an deinen Bruder Billy gedacht. Er ist ja immer noch in der Armee.«
George machte eine abwehrende Handbewegung mit der Zigarre.
»Oh, ich habe ihm davon erzählt, gleich nachdem ich deinen Brief bekommen hatte. Aber ich habe ihm geraten, seine Zeit nicht mit Sorgen wegen irgendeines Wahnsinnigen zu vergeuden, zumindest so lange nicht, bis seine Wege diejenigen des niederträchtigen Hauptmanns Bent kreuzen. Auch du solltest dir keine Sorgen machen. Gott, ich kann es nicht fassen, daß die Armee ihm immer noch nicht auf die Schliche gekommen ist«, fügte er mit einem Kopfschütteln hinzu.
Die nonchalante Art und Weise, mit der George das Thema vom Tisch fegte, ärgerte Orry noch mehr. Glücklicherweise wurden sie abgelenkt. William, ein hübscher Knabe, der eine starke Ähnlichkeit mit seinem Vater aufwies, war in den letzten paar Minuten ganz aufgeregt geworden. Schließlich platzte er mit der Frage heraus:
»Erzähl mir, wie Charles mit den Indianern kämpft!«
»Das war letztes Jahr«, gab Orry etwas heftig zurück. »Er ist jetzt am Rio Grande und jagt dort einen mexikanischen Banditen namens Cortinas. Ich habe deinem Vater alles im letzten Brief darüber geschrieben – frag ihn.«
Der junge William merkte, daß Orry verärgert war, und Orry merkte, daß er den Knaben verwirrt hatte. Um es wiedergutzumachen, erzählte er dem Knaben alles, was er über die Verfolgungsjagd der Zweiten Kavallerie wußte. Die ein Jahr jüngere Patricia war nicht an diesem Thema interessiert. Sie, Brett und Constance fingen an, über Mode zu reden, insbesondere über das Kleid von Charles Worth in Paris, das Constance für einen Wohltätigkeitsball bestellt hatte. Mit dem ersten Ball dieser Art in Lehigh Station sollten Gelder für ein Schulhaus zusammengebracht werden.
»Das Kleid ist viel zu elegant für einen solchen Anlaß.« Constance lachte. »Aber es gefällt mir außerordentlich gut, und George bestand darauf, daß ich es kaufe. Aber ich befürchte, daß die Damen dieser Gegend hinter meinem Rücken tuscheln werden.«
»Eifersüchtig«, fügte George hinzu. Orry war neidisch auf die liebevollen Blicke, die die beiden austauschten.
»Besonders Tante Isabel«, sagte Patricia.
»Wie geht es Stanley und seiner Frau?« fragte Orry.
Patricia antwortete, indem sie die Zunge herausstreckte und eine Grimasse schnitt. Constance gab ihrer Tochter einen leichten Klaps auf den Handrücken und schüttelte den Kopf.
George meinte: »Wir sehen sie kaum noch. Stanley ist dick mit Boß Cameron befreundet, und Isabel hat ihre eigenen Bekannten. Dem Himmel sei’s gedankt: Um der Bibel und Lincoln zu widersprechen – unser Haus ist in sich selbst entzweit, aber es hat trotzdem noch Bestand.«
Constance lächelte traurig. »Aber da gibt es einen Unterschied, Liebster. Stanley und Isabel haben sich nicht freiwillig von uns zurückgezogen: Du hast sie rausgeschmissen.«
»Das stimmt, aber – « George und die andern wurden von einem Geräusch aus dem Eßzimmer abgelenkt. »Oh, Virgilia.«
Hastig schob Orry seinen Stuhl zurück und stand auf. »Guten Abend, Virgilia.«
»Guten Abend, Orry«, entgegnete sie und rauschte auf einen leeren Stuhl zu. Sie benahm sich, als hätte sie einen Pestkranken begrüßt.
»Ich wußte nicht, daß Sie zu Besuch weilen«, sagte Orry und setzte sich wieder. Er war über Virgilias Aussehen schockiert. Sie schien seit ihrer letzten Begegnung um über zehn Jahre gealtert. Ihre Haut war gelblich verfärbt, ihr Kleid schmutzig und zerknittert, ihr Haar wirr und ihre tiefliegenden Augen, um die sich Schattenringe abzeichneten, glimmten intensiv.
»Ich bin heute morgen angekommen.« Wie immer, wenn sie sich äußerte, wurde daraus eine Art Deklaration. Orry fragte sich, was ihr Nigger-Liebhaber wohl machte, Grady, der entlaufene Sklave. Gerüchte ihrer Liaison, die mit der Zeit immer sensationslüsterner geworden waren, waren bis nach Charleston vorgedrungen. Natürlich war jedermann skandalisiert. Ob sie noch immer mit ihm zusammenlebte? Aber Orry hatte nicht die Absicht, sie danach zu fragen.
»Morgen werde ich nach Chambersburg reisen«, fuhr sie fort. Irritiert machte sie einer der Dienerinnen, die an der Wand standen, ein Zeichen. Das Mädchen eilte dienstfertig herbei, um Virgilia die Suppe aufzutragen.
Virgilias Blick ruhte auf Orry. Laß dich nicht von ihr provozieren, sagte er sich. Aber es war schwierig, die Warnung zu beachten, denn Virgilia hatte ihn schon zu oft zur Weißglut gebracht. In Anbetracht seiner gegenwärtigen Gemütsverfassung wäre es leicht möglich.
Brett beobachtete die beiden aufmerksam, als Virgilia hinzufügte: »Ich helfe einem Abolitionisten bei seiner Arbeit. Er heißt Brown. John Brown aus Osawatomie.«
Orry hatte natürlich schon von Brown gehört. Wer nicht? In der Wochenzeitschrift Harper’s Weekly war der Mann mit dem hageren Gesicht und dem langen weißen Bart abgebildet worden. Er stammte aus Connecticut und war schon seit längerer Zeit als Abolitionist tätig. Aber berühmt war er erst in Kansas geworden, wo er mit fünf seiner Söhne mehrere blutige Kämpfe für den ›Freien Boden‹ geführt hatte. 1856 hatten Männer unter Browns Kommando fünf sklavenhaltende Siedler umgebracht – die Aktion war als Pottawatomie-Massaker in die Geschichte eingegangen. Vor kurzem hatte er im Nordosten Vorträge gehalten, um Gelder für irgendeines seiner verrückten Vorhaben zusammenzubringen – eine provisorische Regierung, die er in Kanada proklamiert hatte. Browns Sündenregister und Virgilias herausfordernder Blick veranlaßten Orry zu einer barschen Antwort: