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»Ich kann nicht begreifen, wie jemand einem Mörder helfen kann.«

Brett und Constance tauschten ängstliche Blicke aus. Virgilia schürzte die Lippen.

»Es war zu erwarten, daß Sie so was sagen würden. Leute, die die Wahrheit über die Sklaverei im Süden sagen, werden meistens beschimpft und in Mißkredit gebracht. Nun, Sie und Ihre ganze Sippe im Süden sollten sich die Warnungen zu Herzen nehmen, denn Ihren Grausamkeiten und geheimen Zuchtfarmen wird bald ein Ende gesetzt werden.«

»Was zum Teufel soll das heißen?«

»Es wird nicht mehr lange dauern, und dann wird ein Messias Ihre Sklaven in eine große Revolution führen. Jeder weiße Mann, der sich dagegenstellt, wird umkommen.«

Alle schwiegen völlig schockiert. Sogar Brett war aufgebracht. Orrys Wut, die schon seit Tagen schwelte, kam nun offen zum Ausbruch. Er stieß den Stuhl vom Tisch weg und sagte steif zu George: »Bitte, entschuldigt mich.«

Constance warf ihrer Schwägerin einen vernichtenden Blick zu. Dann wandte sie sich an Orry. »Nicht du solltest gehen.«

Virgilia lächelte. »Aber natürlich. Die Südstaatler können die Wahrheit nicht ertragen.«

Orry ballte hinter dem Stuhl seine Hand zur Faust. »Welche Wahrheit? Ich habe noch nichts davon an diesem Tisch gehört. Ich habe es mehr als satt, mich so behandeln zu lassen, als wäre ich persönlich für jeden Fehler verantwortlich, den der Süden begangen hat – ob es sich nun um echte Fehler handelt oder um solche, die Sie sich mit Ihrer kranken Phantasie einbilden.«

Georges Gesicht wechselte die Farbe. »Orry, das ist etwas stark!«

Orry hörte ihn kaum. »Zuchtfarmen! Wie kommen Sie auf solche Ideen? Von Ihren Groschenromanen?« George zuckte bei dieser Anspielung auf Pornographie erneut zusammen, aber Orry erhob die Stimme. »Finden Sie Gefallen daran? Erregen sie Sie? Reden Sie deshalb immer wieder davon?«

Er nahm noch knapp wahr, daß Constance die Kinder aus dem Zimmer bugsierte. Virgilia setzte ein cherubinisches Lächeln auf. »Es ist völlig klar, daß diejenigen, die das Böse immer wieder unterstützen, es leugnen müssen.«

Das Zimmer verschwamm vor seinen Augen. Er konnte und wollte ihre selbstgefällige Stimme nicht länger hören. Ohne sich länger zu beherrschen, schleuderte er ihr wütend ins Gesicht: »Frau, Sie sind verrückt!«

»Und Sie und Ihre Sippe, Ihr seid erledigt.«

»Halten Sie den Mund!« schrie er. »Halten Sie den Mund und gehen Sie zurück zu Ihrem Nigger-Liebhaber, wo Sie hingehören!«

Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, als ihn die Scham überwältigte. Er hatte das Gefühl, im Boden versinken zu müssen. Hatte er eben noch alles verschwommen gesehen, so sah er die Gesichter um ihn herum jetzt klar und deutlich. Es waren wütende Gesichter. Am wütendsten war wohl George, der mit einer heftigen Bewegung die Zigarre aus dem Mund genommen hatte und sie nun derart kräftig drückte, daß das dunkelgrüne Papier riß.

Virgilia rang um ihre Fassung und gab sich große Mühe, ihr falsches Lächeln beizubehalten, und Brett starrte finster vor sich hin. Wieder einmal war es Constance, die versuchte, den Frieden wiederherzustellen:

»Ich glaube, Virgilia, du bist zu heftig gewesen.«

Sie starrte Georges Frau mit einem kalten Blick an. »Findest du?«

»Wäre es so schwierig, dich zu entschuldigen?«

»Schwierig nicht – aber unnötig.«

Orry hätte am liebsten sein Weinglas gepackt und ihr den Inhalt ins Gesicht geleert. Trotz der Scham überwog sein verletzter Stolz. Diese Leute provozierten, urteilten und verurteilten ein ganzes soziales System und warfen dabei Gut und Böse unterschiedslos in einen Topf. Es war unerträglich.

Er bemerkte den grollenden Blick von George und brauste auf: »Du zumindest könntest gegen ihr Verhalten Einspruch erheben!«

George warf seine zerbrochene Zigarre auf den Tisch. »Ich erhebe Einspruch gegen ihre Wortwahl, aber sie steht auf der richtigen Seite.«

Georges Feindseligkeit fuhr wie ein Speer durch Orry hindurch. Die so lange gefürchtete Spaltung schien nun unvermeidbar. Er riß sich zusammen, straffte die Schultern und sagte mit betonter Eindringlichkeit:

»Ich glaube nicht, Sir, daß es dem noch irgend etwas hinzuzufügen gibt.«

»Nein«, sagte George, »ich glaube nicht.«

Orry sah ihn an. Es war unmöglich, die Wut, die er auf dem Gesicht von George sah – und die er in sich selbst verspürte –, zu leugnen. Niemals zuvor waren George Hazard und er Feinde gewesen – jetzt waren sie es.

»Ich hole meinen Hut«, sagte er zu seiner Schwester. »Wir gehen.«

Brett war überhaupt nicht darauf gefaßt gewesen und hatte die Sprache verloren. Er trat neben sie, faßte sie am Ellbogen und schob sie in die Halle.

»Darf ich darum bitten, daß man unser Gepäck ins Hotel bringen läßt«, sagte er, ohne sich umzuwenden. Sekunden später fiel die Tür ins Schloß.

Nur Virgilia lächelte.

An jenem Nachmittag ging George nicht ins Werk zurück. Er irrte ziellos durchs Haus, in der einen Hand eine Zigarre, in der andern ein Glas Whiskey. Er war wütend auf Orry, wütend auf sich selbst, und er hatte keine Ahnung, was als nächstes zu tun war.

Virgilia verschwand auf ihrem Zimmer. Constance hatte sich um die Kinder gekümmert und kam wieder nach unten. Sie hatte William in den Garten und Patricia ins Musikzimmer geschickt. George stieß dort eine halbe Stunde später auf seine Tochter, die auf dem Klavier an einem Menuett herumübte.

Patricia bemerkte, wie ihr Vater mit düsterer Miene in der Tür stand.

»Papa, seid ihr, Orry und du, nun keine Freunde mehr?«

Mit dieser einfachen Frage war er plötzlich wieder bei Sinnen und sah alles in der richtigen Perspektive.

»Natürlich sind wir noch Freunde. Orry wird noch vor dem Abendessen wieder zurück sein. Ich werde dafür sorgen.«

Er setzte sich an seinen Schreibtisch in der Bibliothek, schob den Meteoriten beiseite und tauchte seine Feder in die Tinte. Seine Mitteilung fing an mit den Worten: Stiel – wirst du meine Entschuldigung akzeptieren?

»Sie möchten Mr. Main sprechen?« Der Mann am Empfang des Station House blätterte in seinem Buch. »Er hat für seine Schwester ein Zimmer für heute gemietet, aber ihn werden Sie, glaube ich, in der Saloon-Bar finden.«

Der Diener aus Belvedere betrat die leere Bar durch die Drehtür und ging zu einem Tisch am Fenster, wo ein hagerer, bärtiger Mann in sein leeres Glas starrte.

»Mr. Main? Von Mr. Hazard, Sir.«

Orry las die Mitteilung und überlegte sich noch einmal kurz, ob er wirklich mit dem Nachtzug abreisen wollte. Doch dann erinnerte er sich an die Atmosphäre, die in Belvedere herrschte, und an all die Worte, die gefallen waren. Er konnte Georges Entschuldigung oder seine Bitte nach einer Rückkehr nicht einfach akzeptieren, als ob nichts geschehen wäre. Wenn damit die Star of Carolina unterging, so würde das Coopers Problem sein.

Der Diener räusperte sich. »Kann ich eine Antwort überbringen, Sir?«

»Nur dies.«

Orry zerriß die Mitteilung und ließ die Papierfetzen in einen Messing-Spucknapf fallen.

»Der Teufel soll ihn holen!« rief George. »Kannst du dir vorstellen, was er getan hat?«

»Ja«, sagte Constance. »Du hast es bereits zehn oder zwölf mal geschildert.«

Aber der Scherz half nicht. Sie fand das ganze ohnehin nicht amüsant, obwohl ihr die Situationskomik unter weniger ernsten Umständen nicht entgangen wäre: Ihr Mann rannte barfuß im Schlafzimmer hin und her, die kalte Zigarre zwischen die Lippen gepreßt. Unter den leinenen Unterhosen – dem einzigen Kleidungsstück, das er im Augenblick trug –, begann sich bereits ein Fettbäuchlein abzuzeichnen.