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Orry sah, wie Bent versank. Sie rannten beide noch schneller. Dann verschwand Bents Kopf. Seine Feldmütze schwamm auf dem Wasser, der steife Mützenschirm glänzte im Mondlicht. Gerade als die beiden Kadetten beim Loch in der Eisdecke ankamen, tauchte Bent wieder auf. Schreiend griff er nach ihnen. George und Orry zerrten und zogen, doch die Rettung war schwierig, weil sie dauernd auf dem glatten Eis ausrutschten. Zweimal wären sie beinahe kopfüber ins Wasser gefallen, aber schließlich gelang es ihnen, Bent herauszuziehen. Würgend lag er da, eine enorme Masse. George kniete neben ihm.

»Bent? Sie müssen aufstehen und in die Kaserne zurück. Sie erfrieren sonst.«

»Ja, gut. Helfen Sie mir bitte.«

George und Orry schoben ihre Schultern unter Bents Arme, um ihn zu stützen. Als sie soweit waren, war er schon nicht mehr in der Lage, zusammenhängend zu reden, er stöhnte nur noch und schnappte nach Luft. Da seine Kleider völlig durchtränkt waren, waren auch seine Retter mit der Zeit durchnäßt und fingen an zu frieren. Sie waren nun am Flußufer angelangt. Schweigend kletterte er mühsam den Hügel hinauf. Oben angelangt, schüttelte er sich, holte tief Luft und sagte:

»Ich schätze, was Sie für mich getan haben. Es war – tapfer. Ich gehe besser in diese Richtung. Gehen Sie zur Kaserne zurück.«

Er torkelte in die Dunkelheit hinein. Eine Weile noch konnte man seine quietschenden Schuhe und seinen schweren Atem hören. Orry klapperte mit den Zähnen. Seine Hände waren steif, wie gefroren. »Merkwürdig, was Bent gesagt hat, wie – « Er konnte den passenden Ausdruck nicht finden.

George konnte die Gefühle seines Freundes in Worte fassen. »Er schien ebenso aufrichtig wie eine Frau, die das Jungfrauendasein lobt. Ich glaube, wir hätten ihn ertrinken lassen sollen.«

Trotz der Kälte mußte Orry lachen. »Nun, da alles vorbei ist, mußt du zugeben, daß wir ein lausiges Fest gehabt haben.«

»Allerdings.« George zog drei zerbrochene Zigarren aus der Tasche seines Überziehers hervor. Mit wehem Herzen warf er sie weg. »Der einzige Trost ist, daß sie umsonst waren. Komm, wir gehen hinein, bevor wir an Schüttelfrost sterben.«

Bent erschien nicht zum Frühstück. Er feierte offensichtlich krank. George und Orry berichteten nur den engsten Freunden von ihrer nächtlichen Eskapade. Später am Tag überbrachte ihnen Pickett eine unangenehme Nachricht.

»Es tut mir leid, aber das fette Schwein hat euch nicht die ganze Wahrheit erzählt. Er hatte einen Sonderurlaub für Dienstabwesenheit nach dem Zapfenstreich. Er holte sich die Erlaubnis bei einem der Stabsoffiziere. Er sagte, er wisse, daß zwei der Junioren fast jeden Abend zu Benny gingen, und er wolle sie überraschen.«

Zum Abendbrot gab es Albany Beef in der Messe – es war dies ein Spitzname für Stör, den man noch gefangen hatte, bevor der Hudson zugefroren war. Aus irgendeinem Grund reagierte Orrys Magen schlecht auf den Fisch. Später fragte er sich, ob er eine Vorahnung gehabt hatte. Noch bevor der Abend zu Ende war, hatte Bent einen Bericht über die Kadetten Main und Hazard geschrieben.

Der Ehrenkodex der Akademie beruhte auf dem Glauben an den guten Charakter der Kadetten. Lehnte ein Kadett einen Vorwurf als falsch ab, verließ man sich auf sein Wort und zog die Klage zurück. Orry glaubte an den Kodex, und sogar der eher zynische George glaubte daran. Deshalb leugneten sie ihre Schuld nicht, obwohl die Fehlerpunkte, die sie sich dabei einhandelten, für George fast die Entlassung bedeuteten.

Um einige der Fehlerpunkte abzuarbeiten, mußten die beiden des öfteren zusätzliche Wachtrunden drehen. Das Wetter schien zusehends stürmischer zu werden. George überstand den Wachtdienst, ohne krank zu werden, aber mit Orry war es anders. Seit dem Abenteuer am Fluß hatte er des öfteren niesen müssen, und als er an einem Samstagnachmittag Wache schob, fühlte er sich schwach, und ihm schwindelte.

Von Nordwesten her, aus den Bergen, zog ein heftiger Schneesturm auf, und in knapp einer Stunde war über ein Fuß hoch Schnee gefallen. Orry stapfte am Ausfalltor hin und her und mußte schließlich feststellen, daß er trotz der Kälte beinahe vor Hitze umkam. Auf seinen Wangen vermischte sich Schweiß mit Schnee. Sein Gewehr schien entsetzlich schwer. Er taumelte und lehnte sich an die Kasernenwand, um sich etwas zu erholen. Jemand zupfte ihn am Ärmel. Orry erkannte einen Bekannten aus den höheren Semestern namens Sam Grant, ein unauffälliger Bursche, der aber ein hervorragender Reiter war.

»Wer hat Sie in diesem Wetter hierher geschickt?« fragte Grant. »Sie sind so grün im Gesicht, als ob Sie jeden Moment ohnmächtig würden. Sie gehören ins Krankenhaus.«

»Es geht gut, Sir«, krächzte Orry und machte einen Versuch, geradezustehen.

Der kleine Kadett mit den dunklen Augen blickte skeptisch. »Es geht ihnen so gut wie meiner Tante Bess fünf Minuten vor ihrem letzten Atemzug! Soll ich einen Stabsoffizier auftreiben, damit man Sie ablöst?«

»Nein, Sir, das wäre – Pflichtversäumnis.«

Grant schüttelte den Kopf. »Aus Ihnen wird mal ein guter Soldat, Mr. Main – wenn Sie nicht vorher wegen Halsstarrigkeit sterben.«

»Kennen Sie mich denn?«

»Jeder einzelne des Korps kennt Sie, Ihren Freund und diesen Halunken aus Ohio. Schade, daß Unteroffizier Bent soviel Ansehen genießt. Einige von uns versuchen, das zu ändern, und schikanieren ihn ebenso wie er die andern. Ich wünsche Ihnen, daß Sie das noch erleben, Sir.« Lächelnd stapfte Grant durch den Schnee davon.

Es mußte etwa sechzehn Uhr sein. Dunkel wie mitten in der Nacht. Orry zwang sich zu einer weiteren Wachrunde. Er glaubte, er würde marschieren, aber er taumelte bloß hin und her. Glücklicherweise waren die meisten Offiziere in der Kaserne, so daß niemand sein trauriges Schauspiel mitansehen mußte.

Eine weitere halbe Stunde verging. Er hatte plötzlich Angst, daß er krank war, todkrank vielleicht, und daß sein törichter Wunsch, nur ja keine Schwäche zu zeigen, ihn umbringen würde.

»Ihre Schritte sind aber gar nicht schneidig, Sir, gar nicht schneidig.« Wie vom Donner gerührt drehte sich Orry um. Bent stand auf der andern Seite des Ausfalltores; in seinem zeltförmigen Überzieher sah er wie ein Riesenschatten in der Dunkelheit aus. Seine Augen blitzten.

»Ich habe gehört, daß Sie hier draußen sind, Sir. Ich wollte mal eben nachsehen, ob – «

Er stockte, als Orry das alte Gewehr von der Schulter nahm. Orrys Angst war verflogen, er wußte nicht mehr, was er tat.

»Weshalb richten Sie das Ding auf mich, Sir?«

»Weil ich Sie erschießen werde, Bent. Wenn Sie mich und meinen Freund nicht in Ruhe lassen, erschieße ich Sie.«

Bent versuchte, ein höhnisches Lächeln aufzusetzen. »Das Gewehr ist nicht geladen, Sir.«

»Nicht geladen?« Orry zog die Brauen hoch und taumelte. »Dann werde ich Sie damit totschlagen, Sir. Und wenn man mich vors Militärgericht bringt oder mich erschießt, ich töte Sie, wenn Sie undankbarer Hund noch fünf Sekunden hier herumstehen.«

»Um Gottes Willen, wir haben einen Verrückten in West Point.«

»Ja, Sir. Einen Wahnsinnigen aus Ohio, der die Junioren wie Tiere behandelt. Nun, Mr. Bent, Sir, hier steht ein Junior, der sich das nicht mehr länger gefallen lassen wird. Sie haben fünf Sekunden, Sir. Eins, Sir, zwei, Sir…«

Bent war wütend, aber er schwieg. Das wilde weiße Gespenst vor ihm schüchterte ihn ein. Mit einem beinahe manischen Gesichtsausdruck kehrte Orry das Gewehr um und faßte es wie einen Stock am Lauf.

Bents Gesicht verriet Haß und Demütigung. Plötzlich machte er auf dem Absatz kehrt und schien wie vom Schneesturm verschluckt.

Orry schluckte leer und brüllte: »Und von jetzt an täten Sie besser daran, uns in Ruhe zu lassen!«

»Was sagten Sie eben, Sir?«

Der scharfe Klang einer Stimme ließ ihn herumwirbeln. Ein bis zu den Ohren eingemummter Stabsoffizier stapfte auf ihn zu. Der Wind heulte, und der Offizier mußte schreien. »Kadett Grant hat mich gebeten, hierherzukommen. Er sagte, Sie seien zu krank für diesen Wachtposten. Stimmt das?«