Stanley wurde puterrot. Er wußte, daß Cameron sich nicht seines Verstandes wegen mit ihm abgab, sondern weil er über andere Aktiva verfügte. Aber er haßte es, wenn man sich so offen oder so sarkastisch über seine Schwächen äußerte.
Doch er durfte seinen Mentor nicht verärgern. Es lagen gewaltige Veränderungen in der Luft, Veränderungen, die ihn und Isabel in diese Stadt und auf einen Posten im Schoß der nationalen Regierung bringen könnten.
Aber Cameron ließ nicht locker. »Ich will von Ihnen nicht wieder hören, daß Sie vom alten Buck beeindruckt sind. Wir sind jetzt Republikaner – und der Präsident ist unser Feind.«
Stanley nickte, versuchte es unbeholfen mit einem Lächeln und wollte dann dem Gespräch eine andere Wende geben. »Und wie steht es nächstes Jahr? Glauben Sie, daß die Demokraten Steve Douglas als Kandidat aufstellen werden?«
»Schwer zu sagen. Die Partei ist ziemlich uneins. Douglas hat den ganzen Süden mit seiner Freeport-Doktrin vor den Kopf gestoßen.«
»Dann besteht ja eine echte Chance, daß Seward gewählt wird.«
An jenem Abend waren Stanley und Cameron zu einem Privatempfang für den Senator im Kirkwood-Hotel eingeladen. Die beiden Männer waren extra aus Pennsylvania angereist, um sich mit Seward und General Scott zu treffen, der, genau wie der Senator, große Ambitionen auf den Präsidentenstuhl hatte. Gestern abend hatten sie sich eine Stunde lang mit Scott unterhalten; er war extra aus New York angereist, nur um Cameron zu sehen, was zeigte, wie wichtig der Pennsylvanier für die Angelegenheiten der Republikaner war. Alle diese Treffen mit jenen Berühmtheiten hatten eine berauschende Wirkung auf Stanley. Er wollte um jeden Preis nach Washington zurückkehren – als Angehöriger einer bestimmten Gesellschaftsschicht.
Cameron reagierte negativ auf den Namen Seward. »Nach jener Bemerkung über einen ›offenen Konflikt‹ wird er unmöglich gewinnen können. Natürlich dürfen wir ihm das heute abend nicht sagen, aber Tatsache ist, daß sich die Partei einen etwas weniger kämpferisch veranlagten Mann auswählen muß. Einer, der möglichst wenig Leute beleidigt.«
Stanley zog die Augenbrauen hoch. »Wen?«
»Ich weiß es noch nicht. Aber etwas sage ich Ihnen«, lächelte er triumphierend, »ich werde als erster seinen Namen kennen. Er wird nicht nominiert werden, bevor ich es erlaube.«
Stanley wußte, daß sein Boss nicht scherzte. Es gab nur wenige republikanische Politiker, die so viel wie er zu bieten hatten – eine praktisch absolute Kontrolle eines riesigen Apparates in einem bedeutenden Staat.
Cameron fuhr weiter: »Ich habe die Absicht, nach dem Treffen der Partei einen Posten auf Kabinettsebene zu bekommen. Jeder Kandidat, der nicht mindestens das zu bieten hat, wird von mir nicht unterstützt werden. Und wenn ich schon in diese erbärmliche Stadt ziehe, dann werden meine Freunde mitkommen.«
Das Sonnenlicht funkelte in seinen Augen, als er Stanley anblickte. »Ich meine jene Freunde, die ihre Loyalität einwandfrei bewiesen haben.«
Die Botschaft war vollkommen klar und vertraut. Stanley fragte: »Wieviel brauchen Sie diesmal?«
»Zehntausend wären ausreichend. Zwanzig ideal.«
»Geht in Ordnung.«
Strahlend lehnte sich Cameron in die Plüschkissen zurück. »Wußte ich’s doch, daß ich auf Sie zählen kann, Stanley. Ich bin sicher, daß es hier einen Posten für einen Mann Ihrer Intelligenz geben wird.«
Billy ruderte in der Dämmerung nach Bloody Island. Brett saß am Bug mit einem Sonnenschirm über der Schulter. Er mußte sie unablässig ansehen und konnte eine körperliche Reaktion beinahe nicht mehr unterdrücken.
Immer wieder rief er sich ins Gedächtnis, daß ihr Bruder von ihm erwartete, daß er sich wie ein Gentleman benähme. Eine nicht einfache Aufgabe in Anbetracht der vielen einsamen Monate, die er hier verbrachte, und der atemberaubenden Schönheit von Bretts Gesicht und Körper.
Nach einer Reise, die beinahe eine Woche gedauert hatte, waren Brett und Orry vorgestern in St. Louis eingetroffen. Brett hatte Billy sofort vom Streit in Lehigh Station berichtet. Sie sagte, daß Virgilia das ganze ausgelöst habe, was Billy zwar anwiderte, aber keineswegs überraschte. Er und seine Schwester waren einander nie besonders nahegestanden. Oft konnte er es kaum glauben, daß sie Blutsverwandte waren.
Orry hatte bis jetzt seine Pflicht als ›Anstandsdame‹ mit einer gewissen Lässigkeit wahrgenommen. Er hatte die beiden jungen Leute bereits zweimal während mehr als einer Stunde alleingelassen, und sie hatten somit Gelegenheit gehabt, frei in der derben Stadt am Fluß herumzuspazieren. Heute war Orry wegen einer leichten Magenverstimmung im Hotel geblieben, und Billy hatte Brett mit der Fähre über den Mississippi mitgenommen und dann das Ruderboot gemietet. Er wollte ihr zeigen, womit er sich in all den Monaten beschäftigt hatte.
Orry benahm sich ihm gegenüber höflich und rücksichtsvoll, dachte Billy, als das Boot durch das seichte Gewässer zu der langen Sandbank glitt. Hieß das nun, daß er seine Meinung über ihre Heirat geändert hatte? Billy hoffte es sehr.
Das Boot knirschte, als es auf dem Kies auflief. Billy sprang an Land. Er stand knöcheltief im Wasser und streckte seine Arme gegen Brett aus.
»Komm! Spring! Du wirst nicht naß werden.« Aber das Boot stak nicht so fest, wie er das gehofft hatte, und als sie aufstand, wurde es durch die Bewegung etwas abgetrieben. »Warte, ich will versuchen, das Tau zu erwischen!« rief er.
Doch zu spät. Sie sprang. Er versuchte, sie aufzufangen, verlor jedoch das Gleichgewicht. Sie landeten beide im fußtiefen Wasser und wirbelten Dutzende von kleinen, silbrigen Fischen auf.
Er half ihr aufzustehen. Ihr Kleid klebte an ihrem Körper, und die Brustwarzen zeichneten sich unter der nassen Stoffschicht ab. Sie schüttelte ihren Sonnenschirm und betrachtete kichernd den Sprühregen, den sie dabei verursachte.
»Nein, wie deine Uniform aussieht! Aber wahrscheinlich sehe ich nicht besser aus.«
»Nun«, entgegnete er todernst, »wenigstens wirst du dich jetzt an deinen Besuch in St. Louis erinnern.«
»Wie könnte ich St. Louis vergessen, wenn du hier bist?«
Sie sagte es zwar leichthin, aber es war ernst gemeint. Ihre Blicke trafen sich. Er watete durch das seichte Wasser zu ihr hin, legte ihr die Hände um die Taille und zog sie an sich. Ihre süßen feuchten Lippen erregten ihn noch mehr. Sie öffnete den Mund und drückte sich an ihn.
»Für ein anständiges Mädchen aus dem Süden kümmerst du dich aber nicht allzusehr um Konventionen«, flüsterte er. »Wir küssen uns am hellichten Tag – «
»Und wenn der ganze Staat Illinois uns sieht, was soll’s. Ich liebe dich, Billy. Ich werde nie einen andern lie…« Über seine Schulter hinweg erblickte sie etwas, das jegliche Romantik zerstörte. »Das Boot!«
Er mußte in tiefes Wasser waten, um es zurückzuholen. Er zog es an den Strand und vertäute es fest unter einem schweren Stein. Als er wieder zu ihr ging, klopfte er die nasse Mütze an der Hose ab und war dankbar für die Ablenkung durch das Boot. Er hatte sich somit etwas beruhigen können.
Sie hielten sich an den Händen und gingen auf die Baumwollsträucher zu. Der Druck in seiner Leistengegend nahm wieder zu. Das auferzwungene Zölibat war einfach zuviel für ihn. Er warf Brett einen verschämten Blick zu und bemerkte, daß es ihr offenbar ähnlich erging.
Er zeigte ihr die beiden Pfahlreihen am oberen Ende der Sandbank. Der zwölf Meter breite Zwischenraum zwischen den Reihen war mit Sand und Steinen aufgefüllt, und die Außenseite des Damms war mit Strauchwerk bepflanzt worden.