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»Ich habe das Gefühl, daß du ziemlich weit gehst, um Einwände zu finden.« Billys Stimme klang jetzt etwas scharf.

Orry entgegnete nicht minder unwirsch: »Ich erkläre dir den Grund für mein Nein.«

»Ist es endgültig oder nur vorübergehend gemeint?«

»Vorübergehend. Glaube mir, ich würde mich freuen, wenn Brett einen Hazard heiraten würde. Aber erst, wenn die Zukunft etwas klarer aussieht.«

Billy starrte ihn an. »Und wenn wir beide beschließen würden, ohne deinen Segen zu heiraten?«

Orrys Miene verfinsterte sich. »Ich glaube nicht, daß Brett so was tun würde. Aber es steht dir natürlich frei, sie zu fragen.«

»Ja, Sir«, sagte Billy und nickte. »Ich glaube, das werde ich tun. Darf ich mich entschuldigen? Ich habe noch etwas mit meinem Sekretär zu besprechen.«

Mit traurigem Blick sah Orry dem jungen Mann zu, wie er steif davoneilte.

An jenem Abend sagte Brett im Salon ihrer Hotelsuite zu Orry: »Ich bin über die Antwort, die du Billy gegeben hast, enttäuscht.«

»Wann hast du ihn gesehen?«

»Vorhin, als ich unten war. Er ist davon überzeugt, daß du ihn nicht magst.«

Orry hieb mit der Faust auf die Stuhllehne. »Das ist nicht wahr! Offenbar habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Ich möchte mir das ganze bloß noch eine Weile überlegen. Du weißt doch selbst, daß die Leute in diesem Land Partei ergreifen. Die Umstände könnten euch in zwei entgegengesetzte Lager zwingen, und ich möchte nicht, daß du eine Ehe eingehst, die dich einer solchen Belastung aussetzen würde.«

»Ich heirate ja schließlich.« Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Ich glaube, ich bin diejenige, die zu entscheiden hat.«

»Jetzt redest du wie Ashton«, gab er erbost zurück und ging ans Fenster. »Wenn du dich mir widersetzen willst, dann sag es geradeheraus.«

»Ich habe Billy gesagt, daß ich das nicht tun kann. Zumindest nicht, solange noch eine Chance besteht, daß du deine Meinung änderst.«

Die Drohung war zwar leise, aber unmißverständlich. Ihre Entschlossenheit ließ ihn unvermutet melancholisch werden – vielleicht weil er immer wieder vergaß, daß sie bereits erwachsen war und selbst über ihr Schicksal entscheiden konnte? Und auch, weil er wieder einmal daran erinnert worden war, daß seine Führung jetzt nicht mehr nötig und auch nicht mehr erwünscht war. Abgesehen davon merkte er erneut, wie schnell die Zeit verging und wie rasch sich alles veränderte.

Er starrte zum Fenster hinaus und betrachtete einen Dampfer auf dem Mississippi. Funken sprühten und leuchteten kurz im Rauch auf, aber sie erloschen schnell. Wie die Begierden eines Mannes. Wie seine Träume.

Er wollte sich nicht schuldig machen und den andern das Glück verwehren, bloß weil man es ihm verwehrt hatte. Nein, das wäre gemein und egoistisch. Diese Gedanken ließen ihn die Dinge wieder etwas klarer sehen und den Wunsch in ihm aufsteigen, Frieden zu schließen. Frieden mit ihr und mit Billy.

Er ging auf Brett zu und ergriff ihre Hand.

»Ich habe Billy gern. Ich weiß, daß er dir ein guter Ehemann wäre. Aber eine Heirat ist eine Verpflichtung auf Lebenszeiten« – ach, wie stolz Madeline jetzt auf dich wäre, dachte er in einem Anflug von Sarkasmus, »und deshalb solltest du deiner Gefühle sehr sicher sein.«

»Orry, das bin ich! Ich kenne Billy nun seit Jahren. Ich warte seit Jahren auf ihn!«

»Wäre es schlimm, noch etwas länger zu warten?«

Der Salon war in der Dunkelheit versunken. Sie konnten einander nicht mehr klar sehen. Brett stieß einen leisen, müden Seufzer aus.

»Ach, ich glaube nicht.«

Er hatte gewonnen. Es war kein Sieg. Eher eine Frist.

Billy verbrachte eine noch unglücklichere Nacht als Brett. Der Schlaf wollte nicht kommen, und er wurde von deprimierenden Gedanken über Orrys Ablehnung heimgesucht, von Gedanken auch über die Feindseligkeiten zwischen dem Norden und dem Süden und einem möglichen Krieg. Er erinnerte sich an eine ihm nicht verständliche Warnung von George. Es ging um einen verrückten Offizier, der aus unerklärlichen Gründen alle Hazards haßte. Sein Bruder hatte ihn sogar davor gewarnt, daß besagter Offizier irgendwie eine Gefahr für ihn sein könnte.

Nun, er hatte weder die Zeit noch die Absicht, das ganze ernst zu nehmen – oder sich auch bloß daran zu erinnern, es sei denn, er fühlte sich so deprimiert wie eben jetzt. Nein, da war doch Brett, von der er träumen konnte.

Drei Tage später, an einem Donnerstag, begleitete Billy die beiden zu ihrem Zug nach Osten.

Orry hatte sich im Anschluß an ihre Diskussion kaum mit dem jungen Offizier unterhalten. Als er nun vor der Kutsche stand, wurde ihm klar, daß dies die letzte Gelegenheit war, um über die förmlichen, leeren Plaudereien hinauszukommen und Billy einen Schritt entgegenzugehen.

Er ergriff Billys Hand und schüttelte sie. Billy war entwaffnet und blickte Orry, der ihm zulächelte, überrascht an.

»Ich glaube, daß ihr beide, du und Brett, zusammen beinahe jedem Sturm die Stirn bieten könntet. Aber laßt mir bitte einen Monat oder so Zeit, um mich selbst davon zu überzeugen, ja?«

»Du meinst, wir können – «

Orry hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. »Keine Versprechen, Billy. Ich habe die Tür nicht zugeschlagen, und es tut mir leid, wenn ich diesen Eindruck bei dir erweckt habe. Wie du, bin auch ich immer vorsichtig im Leben. Frag mal deinen Bruder.«

»Danke, Sir.« Strahlend ergriff Billy Orrys Hand und drückte sie fest. Brett umarmte ihren Bruder.

Orry ließ die beiden jungen Leute allein; sie standen so dicht beieinander, daß sich ihre Stirnen fast berührten, und sie flüsterten. Er hatte jetzt zwar sein Gewissen erleichtert, aber er fühlte sich mitnichten besser, als er in den Zug stieg.

53

Orry wurde durch Schreie aufgeweckt, besonders durch eine schrille Frauenstimme. Er rieb sich die Augen. Der Zug hatte angehalten, und Menschen rannten durch den Gang des Eisenbahnwagens. Ein hochgewachsener Mann prallte mit dem Kopf gegen die von der Decke baumelnde Ölfunzel, die heftig hin und her schaukelte und verzerrte Schatten auf die Wände warf.

Brett saß hellwach auf ihrem Sitz. Orry stand und versuchte, dem Durcheinander einen Sinn abzugewinnen. Die Frau draußen schrie immer noch. Eine höfliche Männerstimme besänftigte sie. Vom Verbindungsgang her hörte Orry den Schaffner rufen:

»Alles aussteigen! Ich weiß nicht, was los ist, aber ich bin sicher, niemandem wird ein Leid geschehen. Bitte beeilen Sie sich! Achten Sie auf die Stufen!«

Der Schaffner kämpfte sich durch die gegen ihn anstürmende Menschenmenge. Er rief Orry, Brett und noch ein paar andern Reisenden, die versucht hatten, so gut wie möglich sitzend zu schlafen, zu: »Bitte, beeilen Sie sich! Alle müssen aussteigen.«

Orry, der immer noch nicht ganz wach war, fragte sich, ob wohl diese ganze Aufregung nötig sei. Sicher handelte es sich bloß um einen kleinen Unfall. Er zog gemächlich seine silberne Uhr aus der Westentasche und schlug mit dem Daumen den Deckel zurück. Brett stand auf, ging zum Fenster, stieß den Laden hoch und starrte in die Dunkelheit hinaus.

Die Uhr zeigte eine halbe Stunde nach Mitternacht. Es war also bereits Montag morgen, Montag, 17. Oktober 1859. Sie hatten Wheeling am frühen Sonntag mit diesem B&O-Eilzug Richtung Baltimore verlassen, wo Orry für mehrere tausend Dollar Schiffsbestandteile für Cooper kaufen sollte. Er führte eine lange Liste der einzelnen Teile in seinem Gepäck mit.