»Wen?«
»Major Robert Anderson.«
»Mein Bruder kannte einen Robert Anderson in Mexiko. In der Artillerie. Er hat einige Jahre vor Lee in West Point abgeschlossen.«
»Das ist der Mann. Er kommt aus Kentucky. Er war früher Sklavenbesitzer. Ich nehme an, daß man ihn ausgewählt hat, um die einheimische Bevölkerung zu beruhigen.«
Die Entscheidung war zu verstehen. Der Versuch von Gardner, Waffen und Munition aus dem Arsenal herüberzuholen, hatte im ganzen Staat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.
Die Forts von Charleston in den Händen eines Sklavenbesitzers? Billy fand es ein schlechtes Omen.
Er änderte seine Meinung, als der Major eintraf.
Robert Anderson war fünfundfünfzig Jahre alt, groß, grauhaarig und von vollendeter Höflichkeit. Er würzte seine Gespräche mit Hinweisen auf Gott und bezeugte absolute Loyalität zur Flagge und zur Uniform. Er hatte tapfer in Mexiko gekämpft und war in Molino del Rey verwundet worden, was den Respekt seiner Männer noch steigerte. Billy fand ihn streng, aber gewissenhaft und vertrauenswürdig.
Wenige Tage nach seiner Ankunft begab sich Anderson nach Sumter. Billy und Foster saßen am Ruder, Doubleday im Vorderschiff. Anderson hatte keine Soldaten dabei haben wollen, weil er fürchtete, die Inspektion würde unnötig ins Gerede kommen.
Sie umfuhren das fünfeckige Fort, dann gab Anderson das Zeichen, anzuhalten. Anderson ließ seinen Blick prüfend über die ganze Befestigungsanlage schweifen.
»Bitte rudern Sie zur Esplanade«, sagte er, als er mit der Inspektion zu Ende war.
Er betrachtete alles ausgiebig und ging von einem Ende der Esplanade zum andern, bevor er zu sprechen begann.
»Ich habe einige der ursprünglichen Pläne dieses Forts geprüft. Ein solider Bau. Das Fundament besteht aus zehntausend Tonnen Granit und sechzig- bis siebzigtausend Tonnen Gestein und Muscheln. Wenn das Fort mit allem Nötigen ausgestattet wird, kann es alles überleben. Auch mit einer so kleinen Armee wie der unsrigen.«
»Sir«, sagte Hauptmann Doubleday, »wenn wir das Fort befestigen, wird man das als eine feindliche Handlung betrachten.«
Der Hauptmann stellte seinen Vorgesetzten aus Kentucky auf die Probe, dachte Billy. Zum erstenmal war eine Spur Heftigkeit in Andersons Stimme.
»In der Tat, Hauptmann. Ich habe nicht die Absicht, Sumter sofort zu befestigen. Aber aufgepaßt! Diese Forts sind das Eigentum der rechtmäßigen Regierung in Washington und gehören niemandem sonst. Ich werde gemäß meinen Pflichten alles Nötige veranlassen, um sie zu schützen. Für jetzt habe ich genug gesehen. Gehen wir?«
»Er ist noch strenger als der alte Gardner«, flüsterte Billy Foster zu, als sie zum Boot zurückkehrten. Foster nickte zustimmend.
Am nächsten Nachmittag ging Brett paketbeladen die Meeting Street hinunter. Jemand rief ihr etwas zu. Verblüfft erkannte sie Forbes LaMotte.
»Guten Nachmittag, Miß Brett.« Er tippte sich an den Hut. »Darf ich dich begleiten? Dir vielleicht einige Pakete abnehmen?«
»Nein, Forbes, ich muß weiter.«
Es war eine schwache Ausrede, aber sie wollte ihm keinerlei Hoffnungen machen. Seine Wangen waren rot wie Äpfel, und er verdrehte die Augen. Wahrscheinlich hatte er sich in der Saloon-Bar des Mills House die Zeit vertrieben. Das tat er des öfteren, wie sie gehört hatte.
Gekränkt trat Forbes zur Seite – und sah Brett nur noch von hinten.
»Hure«, murmelte er und zog sich in den Schatten eines Hoteleingangs zurück.
Eigentlich meinte er es nicht so böse. Aber er haßte Brett Main, weil sie diesem Soldaten aus Pennsylvania den Vorzug gab; er liebte sie immer noch. Sie gehörte zu den Frauen, die man heiratete, im Gegensatz zu Ashton, die fürs Vergnügen da war. Sie trafen einander ungefähr einmal pro Woche, wann immer sie eine sichere Verabredung treffen konnten.
Er erinnerte sich an ihr letztes Rendez-vous. Hinterher hatte er geblutet und sein feines Leinenhemd verdorben, weil sie ihre Nägel so heftig in seinen Rücken eingegraben hatte.
Ein Siegespfand, dachte er, aber er durfte sich nicht einmal damit brüsten, und gerne hätte er es gegen ein Wort der Ermutigung von Ashtons Schwester eingetauscht.
Ende November fiel eine Nachricht im Mercury Orry besonders auf: Der West-Point-Kadett Henry Farley aus South Carolina hatte am neunzehnten des Monats seinen Abschied genommen und die Militärakademie verlassen. Seine Handlung wurde als Protestreaktion gegen Lincolns Wahlsieg dargestellt.
Orry fand die Nachricht deprimierend. Er war sicher, daß es nicht bei diesem einzigen Rücktritt bleiben würde. Vielleicht würden sogar Berufssoldaten aus der Armee austreten.
Noch am selben Tag kam ein Brief von Judith. Sie sagte, daß Cooper sich langsam von seiner schweren Grippe erhole. Während mehr als einer Woche war er gefährlich krank gewesen. Die gute Nachricht von seiner Schwägerin war ihm zwar willkommen, vermochte jedoch nicht die Melancholie, die die Nachricht aus West Point in ihm ausgelöst hatte, aufzulösen.
Er löschte das Licht in der Bibliothek und blieb in der Dunkelheit sitzen. Die Dunkelheit schien dem Zerfall, der sich überall um ihn herum bemerkbar machte, zu entsprechen. Gab es irgendwo im Land noch Anlaß zu einem hoffnungsvollen Licht?
Während Stunden saß er einfach da und hörte den gespenstischen Klang von Kriegstrommeln.
»Unsere Jungens verlassen die Akademie in Scharen«, sagte Justin LaMotte wütend. »Herrlich!« Er schmiß die Zeitung auf einen Korbweidentisch und schöpfte Pfefferminzpunsch aus einer silbernen Schale. Er reichte Francis die Tasse und schenkte sich dann selbst ein.
Die Brüder waren eben von einer Inspektion der Ashley-Garde zurückgekehrt. In ihren hellen Hosen und den dunkelgelben Mänteln mit den blauen Aufschlägen sahen sie wie zwei bunte Vögel aus. Keiner der beiden besaß im Augenblick einen Säbel, aber jeder hatte bereits einen in New York bestellt; in South Carolina gab es keine der hervorragenden Solingen-Waffen.
»Glaubst du, daß wir bald Krieg haben werden?« fragte Francis, während er sich setzte. Die Veranda war im milden Dezemberlicht sehr angenehm.
Justin strahlte. »In einem Jahr, schätze ich. Wenn es soweit ist, werde ich höchstpersönlich ein Regiment ausheben und dann…«
Er sprach den Satz nicht zu Ende. Stirnrunzelnd blickte er auf die Gestalt, die geräuschlos auf die Veranda getreten war.
»Guten Abend, Liebes. Möchtest du etwas Punsch?«
Madelines Kleid war ebenso schwarz wie ihr Haar. Sie war totenbleich, und ihre Pupillen waren riesengroß. »Nein.« Sie lächelte verführerisch. »Danke.« Daraufhin verschwand sie im Haus.
Francis schnalzte anerkennend. »Hübsche Frau, obwohl sie etwas kränklich aussieht. Wie ruhig sie geworden ist! Ich staune immer wieder über ihre Veränderung. Bemerkenswert.«
»Ja, nicht wahr?« Justin seufzte. »Ein Gottesgeschenk. Noch etwas Punsch?«
Madeline konnte sich nicht mehr daran erinnern, daß ihre Welt einmal scharfe Kanten gehabt hatte. Jetzt glitt sie durch runde Tage und sah alles durch einen Schleier hindurch. Die Menschen oder die Dinge, die um sie herum geschahen, berührten sie nicht. Ab und zu dachte sie mit einer leisen Sehnsucht an Orry, aber sie hatte die Hoffnung, ihn jemals wiederzusehen, längst aufgegeben.
Manchmal kam es vor, daß sie unvermutet in eine scheinbare Normalität zurückkehrte. Sie hatte plötzlich wieder einen klareren Kopf, einen stärkeren Willen, einen schärferen Blick. Und sie war dann jedesmal auf sich selbst wütend, weil sie mit ihrem Mann nicht mehr über Politik redete oder seine Äußerungen, egal wie verletzend oder ungehörig sie waren, in Frage stellte. Sie hatte aufgegeben. Wenn ihr dies manchmal bewußt wurde, überkam sie eine stille Verzweiflung.
Aber sie hatte nicht mehr die Kraft, um diese Verzweiflung zu bekämpfen oder sich über deren Ursachen Gedanken zu machen. Wozu kämpfen? Wozu hoffen? Die Welt wurde von grausamen Verrückten beherrscht. Zwei davon saßen eben grinsend beim Punsch in ihrem Haus.