»Wenn der Hurensohn jemals ein Schlachtfeld gesehen hätte, würde er anders denken.«
»Zugegeben, aber das hat er nicht.« Orry seufzte. »Manchmal habe ich das Gefühl, daß du in der Sklavereifrage recht hast.«
Er kniff die Lippen zusammen und fuhr mit einem bekennenden Seufzer fort: »Ist dir klar, was es einen Mann aus South Carolina kostet, so etwas zu sagen? Doch abgesehen von mir – ich kenne die andern Pflanzerfamilien am Ashley sehr gut. Alles Gold in der Staatskasse wird nicht ausreichen, um sie davon zu überzeugen, die Sklaverei aufzugeben. Und das gleiche gilt für die Reispflanzer an den andern Flüssen und für die nördlicheren Baumwollplantagen. Kein Mann außer einem Heiligen würde sich damit einverstanden erklären, das System, das seinen Reichtum garantiert, aufzugeben. Ich glaube, meine Nachbarn würden sich eher von Gott den Tod wünschen.«
»Den werden sie vermutlich auch haben können«, sagte George durch die blaue Rauchwolke seiner Zigarre hindurch. »Die Hitzköpfe auf beiden Seiten wollen Blut sehen. Aber es muß doch noch einen andern Weg geben.«
Wieder Schweigen. Keiner der beiden Männer wußte, was für ein Weg das hätte sein können.
Orry hatte sich seit Monaten nicht mehr so ruhig und glücklich gefühlt. Die lang angestaute Spannung, die sowohl auf die äußeren Ereignisse als auch auf die innere Unzulänglichkeit zurückzuführen war, hatte plötzlich ein Ventil gefunden. Er war in einer offenen und empfänglichen Stimmung, als George den zweiten Grund für seinen Besuch ins Gespräch brachte.
»Ich möchte über meinen Bruder und deine Schwester mit dir reden. Sie wollen heiraten. Weshalb erlaubst du es ihnen nicht?«
»Oh, ich habe den Eindruck, daß Brett in letzter Zeit durchaus tut, was ihr gefällt.«
»Verflucht nochmal, Orry, weich mir nicht aus.«
Orry errötete schuldbewußt und blickte weg. George ließ nicht locker. »Sie hat sich dir immerhin nicht so weit widersetzt, daß sie ohne deine Erlaubnis geheiratet hätte! Und ich kann einfach nicht begreifen, warum du damit zurückhältst.«
»Nein? Wir haben den Grund doch diskutiert. Es wird Unruhen geben, möglicherweise Krieg!«
»Ein Grund mehr für die beiden, das Glück so lange zu genießen, wie es ihnen möglich ist.«
»Aber du kennst doch Billys Pflichttreue der Armee und der Regierung in Washington gegenüber? Und er hat ja auch vollkommen recht. Brett hingegen…«
»Verdammt noch mal«, explodierte George, »du läßt es zu, daß der Haß von einer Handvoll von Fanatikern und politischen Opportunisten ihr Leben ruiniert! Das ist ungerecht. Und völlig unnötig! Billy und Brett sind jung. Das verleiht ihnen Kraft, Schwung. Natürlich werden sie einem Druck ausgesetzt sein. Ich kenne das, Orry. Doch zusammen werden mein Bruder und deine Schwester die Zukunft besser als wir alle meistern. Sie lieben einander – und zufällig kommen sie aus zwei Familien, die einander tief verbunden sind.«
Die Worte widerhallten in dem mit Büchern vollgestopften Zimmer. George ging zum Schrank, in dem der Whiskey stand. Seine Stimmung sank, seine Hoffnungen zerstoben. Orry runzelte die Stirn.
Zum drittenmal senkte sich Schweigen über den Raum. Schließlich:
»Einverstanden.«
George nahm den Zigarrenstummel aus dem Mund. Er wagte es kaum, seinen Ohren zu glauben.
»Sagtest du…?«
»Einverstanden«, wiederholte Orry. »Ich war schon immer der Meinung, daß du viel zu kühn bist. Aber meistens hast du ja damit recht gehabt. Ich schätze, daß Billy und Brett eine Chance haben sollten. Geben wir sie ihnen.«
George brach in ein Freudengeschrei aus und hüpfte herum. Dann rannte er zur Tür, riß sie auf und sagte: »Ruf einen deiner Diener und schicke ihn geradewegs nach Charleston. Das arme Mädchen soll nicht länger in ihrem Elend schmoren.«
Orry ging hinaus, schrieb einen Passierschein für Cuffey und war überrascht, wie wohl er sich fühlte: wie ein Junge, voll einfacher Freude – ein Gefühl, das er jahrelang nicht mehr gekannt hatte.
Als er wieder in die Bibliothek zurückgekehrt war, nahm George eine ironisch ernste Haltung ein und beglückwünschte seinen Freund für seine Klugheit. Sie hörten, wie Cuffey davonritt und gingen dann dazu über, die letzten Neuigkeiten auszutauschen. George erzählte von Constance und den Kindern; Orry schilderte den überraschenden Rückzug von Madeline, ihre angeblich angeschlagene Gesundheit. Dann kam George auf die Star of Carolina zu sprechen.
»Wie bereits gesagt, ich habe mit Cooper gesprochen. Ich muß zugeben, daß es mir etwas schwerfällt, mich mit einem Zwei-Millionen-Dollar-Verlust abzufinden.«
»Cooper könnte jeden Cent zurückbezahlen, wenn alles liquidiert würde, aber ich nehme an, daß er das nicht tun möchte, weil es das Eingeständnis einer Niederlage wäre.«
»Obwohl er selbst sagt, daß das Schiff nicht fertiggestellt werden kann? Na ja – « George zuckte die Achseln, »ich glaube, ich bewundere das – oder ich würde es bewundern, wenn ich nicht so viel investiert hätte. In welch fürchterlichen Schlamassel haben wir alle diese Welt gebracht!«
»So klagen alte Männer«, murmelte Orry.
»Möchtest du damit sagen, daß wir alte Männer sind?«
»Ich weiß nicht, wie es um dich steht, aber was mich betrifft, ja.«
»Tja, ich glaube, ich bin auch alt. Entsetzlicher Gedanke.«
George kaute auf seiner Zigarre herum. »Stiel, komm, wir wollen uns betrinken.«
Orry strahlte, als er seinen alten Spitznamen wieder hörte. Auch wenn die Dinge niemals mehr so sein würden, wie in jenen ersten, jugendfrischen Tagen an der Akademie, so konnten sie beide sich zumindest etwas vortäuschen. Weshalb sollten alte Männer sich nicht mit einem Spiel trösten? Die Welt versank in Dunkelheit.
»Stumpf, du gestattest«, sagte er und griff als erster nach der Whiskeyflasche. »Ich bin ein Experte für Betrunkenheit geworden.«
Sie lachten beide und glaubten, daß es ein Witz war.
58
Am selben Nachmittag, an dem George in Mont Royal eintraf, reisten die Abgeordneten des Sonderkongresses mit dem Zug von Columbia nach Charleston, denn in der Hauptstadt South Carolinas befürchtete man eine Pockenepidemie. Huntoon kam folglich früher nach Hause, als es Ashton erwartet hatte. Doch wie die meisten Bürger der Stadt fand sie es höchst aufregend, daß die gewichtigen Debatten demnächst in der Institute Hall über die Bühne gehen sollten, und sie freute sich königlich darüber, daß ihr Mann daran teilnehmen durfte. Sicher würde er es im neuen Staat zu einer Machtposition bringen, und sie würde mit ihm aufsteigen.
Sie war gerade dabei, ihre Garderobe für die erste Tagung in der Halle in der Meeting Street zusammenzustellen, als Brett unangekündigt in ihr Schlafzimmer platzte.
»Oh, Ashton – herrliche Nachrichten! Cuffey kam gestern abend aus Mont Royal. George Hazard ist da – «
»Was will denn der? Sich über unsre patriotischen Absichten lustig machen?«
»Sei nicht so zynisch! Er kam, um sich mit Orry über Billy und mich zu unterhalten. Und weißt du, was dabei herauskam?«
Die Wut stieg bereits in Ashton auf und verdarb ihr die gute Stimmung. »Ich habe keine Ahnung«, sagte sie und trat vor den Spiegel.
»Orry hat seine Meinung geändert! Billy und ich können heiraten, wann immer wir wollen!«
Ashton hatte bereits befürchtet, daß ihre Schwester das sagen würde, und sie mußte ihre ganze Willenskraft aufbieten, um nicht in Raserei zu geraten. Brett plauderte munter drauflos.
»Ich habe Cuffey zum Fort geschickt. Ich kann es nicht fassen! Nun ist doch noch alles gut geworden.«
»Ich freue mich ja so für dich.«
Noch nie in ihrem Leben hatte Ashton es so schwer gefunden, zu lächeln. Aber sie lächelte. Dann umarmte sie ihre Schwester und drückte ihr einen Kuß auf die Wange. Brett war zu aufgeregt, um die Wut in den Augen ihrer Schwester zu bemerken. Ansonsten spielte Ashton perfekt.