»Forbes, wir müssen uns unbedingt unterhalten«, flüsterte sie. »Morgen – so früh wie möglich. Orry hat Billy und meiner Schwester die Heiratserlaubnis erteilt. Ich ertrage es nicht. Ich kann es nicht zulassen.«
Eben noch hatte Forbes LaMotte heiter betrunken ausgesehen; jetzt hing sein Mund schief, als hätte jemand mit einem Messer sein Gesicht aufgeschlitzt. Die Schwärmer, Kanonenschüsse und Glocken verursachten einen ohrenbetäubenden Lärm. Er mußte dicht an Ashton herantreten, um zu verstehen, was sie sagte.
»South Carolina ist zur Offensive angetreten. Ich glaube, es ist an der Zeit, daß wir das gleiche tun.«
Er lächelte wieder entspannt und schläfrig. »Da hast du recht«, murmelte er. »Ich stehe zu deiner Verfügung.«
59
Am Morgen des 25. Januar 1861 traf Hauptmann Elkanah Bent in New Orleans ein. Er war auf dem Weg nach dem einzigen Zuhause, das er kannte, nach Washington. Er hatte sich gerade rechtzeitig um eine Versetzung bemüht. Die Situation im ganzen Land war kritisch und verschlechterte sich von Tag zu Tag. Er war davon überzeugt, daß das Kriegsministerium Beförderungen vorbereitete und für den bevorstehenden Konflikt Umstrukturierungen vornahm. Oder zumindest würde dies der Fall sein, sobald der Gimpel Buchanan das Weiße Haus geräumt hätte.
Bent trug heute brandneue und teure Zivilkleider. Er hatte sie in Texas erworben, unmittelbar nach seinem Entschluß, in New Orleans einen Tageshalt einzulegen. Er hatte das Gefühl, daß es gefährlich sein könnte, in einer so vehement auf der Seite des Südens stehenden Stadt seine Uniform zur Schau zu tragen. Wie er erfahren hatte, würde Louisiana demnächst dem Beispiel der andern fünf Baumwollstaaten folgen und aus der Union austreten.
Als er durch Bienville schlenderte, stieg ihm der aromatische Duft von starkem Kaffee in die Nase. Die Stadt war für ihren guten Kaffee bekannt, ein Genuß, den er sich nicht entgehen lassen wollte.
Er war froh, nicht mehr in Texas zu sein. Auch dort stand die Sezession bevor, man sympathisierte offen mit dem Süden. Der alte Davey Twiggs und Bob Lee, die letztes Jahr aus Virginia zurückgekehrt waren, um das Kommando über die Zweite Kavallerie zu übernehmen, waren ohnehin zwei potentielle Verräter.
Aber es gab weitere Gründe, weshalb er sich glücklich schätzte, aus Texas weggekommen zu sein. Er mußte sich eingestehen, daß er den Versuch, Charles Main zu beseitigen, selber verpfuscht hatte, und er hatte Glück gehabt, nicht vors Kriegsgericht gekommen zu sein. Doch die Chancen für einen Krieg standen ziemlich gut, und so würde er erneut Gelegenheit haben, den Mains und den Hazards eins auszuwischen. Er brannte darauf, ihre Akten in Washington durchzusehen. Diese Aussichten machten ihm den Mißerfolg etwas leichter.
Auf eine Frage hatte Bent bis jetzt noch keine befriedigende Antwort gefunden: Kannte Charles den wahren Grund für seine Feindseligkeit? Zu diesem Zeitpunkt mußte er ihn eigentlich kennen, denn Charles und dieser verfluchte Orry Main hatten sicher Briefe zu diesem Thema ausgetauscht. Briefe, die die Beziehung Bents zu Orry und George Hazard enthüllt hatten. Sollte jedoch kein solcher Briefwechsel stattgefunden haben – was zwar eher unwahrscheinlich war –, so würde Charles das Geheimnis bestimmt bei seinem ersten Urlaub erfahren.
Sobald die Mains über Bents Rachedurst einmal Bescheid wußten, würden die Hazards es zweifellos auch erfahren. Doch er hatte immer noch einen Vorteiclass="underline" Die Mitglieder beider Familien würden bestimmt damit rechnen, daß sein Haß in den Wirren des Kriegs verginge, wenigstens abnehmen würde. Und diese irrtümliche Annahme würde ihr Verderben sein.
Wenn Bent die Situation, in der sich das ganze Land befand, richtig interpretierte, so waren Feindseligkeiten unvermeidbar. Charleston stand im Brennpunkt. Ein Tag nach Weihnachten hatte die kleine Garnison von Anderson geheime Vorbereitungen getroffen und im Schutze der Dunkelheit mit Booten nach Fort Sumter übergesetzt. Die Palmettoflagge wehte jetzt also überall auf dem Bundeseigentum in und um Charleston herum, mit Ausnahme des von Anderson besetzten Forts mitten im Hafen.
Seine Garnison durfte sich immer noch auf dem Markt in Charleston mit frischem Fleisch und Gemüse eindecken, aber die Miliz des Staats drang vermehrt in die Stadt ein und kümmerte sich um die Kanonen von Fort Moultrie, Castle Pinckney und Fort Johnson.
In den vergangenen Wochen hatte Buchanan sein Kabinett von südlichen Einflüssen gereinigt und einen härteren Kurs eingeschlagen. Er weigerte sich, die Unterhändler aus South Carolina, die über die Übergabe von Fort Sumter mit ihm verhandeln wollten, zu empfangen und hatte ihr Memorandum ungelesen zu den Akten gelegt.
Am 9. Januar nahm der Konflikt zwischen Nord und Süd eine gefährliche Wendung. Buchanan hatte ein Schiff mit Nahrungsmitteln, Munition und 250 Soldaten nach Charleston geschickt. Als die Star of West an der Sandbank vorbeifuhr, eröffneten die Kadetten von ›The Citadel‹, die die Kanonen im Hafen besetzt hatten, das Feuer.
Die Truppen von Anderson verzichteten darauf, das einfahrende Schiff zu verteidigen. Schon nach dem ersten Treffer wendete die Star of West und fuhr wieder aufs Meer hinaus. Damit war die Sache erledigt – außer in Washington, wo das Gerangel zwischen der Regierung und einer weiteren Delegation aus South Carolina weiterging.
Vor nur wenigen Tagen hatten Davis und weitere Südstaaten-Senatoren nach langen Abschiedsreden, deren künstliche Sentimentalität ihren Verrat verschleiern sollte, das Kapitol verlassen. Heute früh hatte Bent vernommen, daß Davis und die andern demnächst in Montgomery, Alabama, zusammentreten sollten, um eine neue Regierung zu bilden.
Es würde auf jeden Fall zwischen dieser Regierung und Washington zu einem ernsthaften Konflikt kommen. Der alte Buchanan würde nicht mehr lange im Amt sein, und der neue Mann, dieser komische Lincoln, vertrat in der Sklavenfrage zwar einen nachgiebigen Standpunkt, würde jedoch unnachgiebig sein, wenn es um die Erhaltung der Union ging. Der Krieg stand bevor. Die Zukunftsaussichten waren herrlich.
In dieser Geistesverfassung stieg Bent die Stufen einer wunderschönen schmiedeeisernen Treppe hinauf und klopfte an die Tür eines Etablissements, das ihm von einem Herrn auf der Reise empfohlen worden war. Als die Tür geöffnet wurde, stellte er sich unter fremdem Namen vor.
Zwei Stunden später führte ein finster blickender, riesiger Schwarzer den halbnackten Bent in das Zimmer der Besitzerin, drückte ihn in einen Plüschsessel und wartete mit verschränkten Armen den Ausgang des Streits ab.
»Einhundert Dollar ist eine Unverschämtheit!« ereiferte sich Bent, stopfte das Hemd in die Hose und knöpfte sich die Hemdsärmel zu. Hier hätte seine Uniform vielleicht Eindruck erwecken können.
Madame Conti wirkte hinter ihrem prunkvollen Schreibtisch äußerst entspannt; das indigofarbene Seidenkleid mit dem aufgestickten Pfau stand ihr hervorragend. Sie war groß, kräftig, etwa sechzig. Das ungewöhnlich weiße Haar war apart frisiert.
»Trotzdem, Monsieur Benton, einhundert Dollar ist der Preis. Das ist das, was einem so jungen Mädchen wie Otille gebührt.« Die Dame betrachtete ein Stück Papier. »Sie haben ebenfalls mehrere, mh, Sonderdienstleistungen verlangt. Ich kann sie Ihnen aufzählen, falls Ihr Gedächtnis Sie im Stich lassen sollte. Hat sie Ihnen nicht gesagt, daß dafür ein Zuschlag erhoben wird?«
»Nein, davon weiß ich garantiert nichts.«
Madame Conti zuckte die Achseln. »Ein Versehen. Aber das ändert nichts am Preis.«
»Ich weigere mich, zu zahlen, verdammt noch mal. Ich weigere mich.«
Madame Conti quittierte den Wutanfall mit einem nachsichtigen Lächeln. Sie blickte an Bent vorbei und sagte: »Was sollen wir mit ihm machen, Pomp?«
»Weiterhin wie einen Gentleman behandeln«, knurrte der Schwarze. »Vielleicht ändert er seine Meinung?«