Schweiß perlte auf Bents Oberlippe. Der bedrohliche Ton war ihm nicht entgangen. Er versuchte tapfer die Fassung zu bewahren. Madame Conti lächelte unentwegt.
»Schenk unserem Besucher einen kleinen Champagner ein. Vielleicht hilft das.«
»Es wird nicht helfen«, sagte Bent. Sie lachte und verlangte auch nach einem Glas für sich selbst.
Bent verzichtete auf eine weitere Bemerkung und versuchte, seinen nächsten Schritt zu planen. Er würde sich den Weg aus dem Bordell nicht freikämpfen können und hatte auch nicht die Absicht. Er ließ es für einen Augenblick bei der gegenwärtigen Situation bewenden und akzeptierte den ausgezeichneten französischen Champagner von Pomp. Er kippte ihn hinunter und hielt das Glas ein zweites Mal hin. Madame Conti nickte dem Schwarzen zustimmend zu.
Der Champagner übte eine beruhigende Wirkung aus. Bent registrierte die Eleganz des Büros. An den mit rotem Samt tapezierten Wänden hingen mehr als ein Dutzend beleuchtete Ölbilder. Eines davon war eine lustige Studie von Pelzjägern auf einem Floß.
»Das ist mein Stolz«, sagte die Dame. »Ein Weststaatler namens Bingham hat es gemalt.«
Ihr Stolz ist falsch angebracht, dachte Bent und trank noch mehr Champagner. Er betrachtete das Porträt einer jungen Frau, das hinter Madame Contis linker Schulter hing. Irgendwie kamen ihm die Züge der wunderschönen, dunkelhaarigen Kreatur bekannt vor, aber er konnte sie nicht einordnen.
Madame Conti bemerkte sein Interesse. »Ah, Sie bewundern sie? Sie hat vor vielen Jahren einige Zeit hier gearbeitet. Sie war noch schöner als Otille. Und wesentlich teurer.«
Hure, dachte er. Sie achtete darauf, daß er die Rechnung keinen Augenblick vergaß.
Und plötzlich wußte er, wo er das exotische Gesicht des Porträts schon mal gesehen hatte: auf einem der Photos von Charles Main.
Nein, Augenblick. Diese Frau mit dem verführerischen Lächeln war nicht dieselbe Kreolenschönheit, die er auf dem Bild in Texas gesehen hatte. Die Ähnlichkeit war zwar groß, aber es konnte sich nicht um dieselbe Person handeln. Waren es vielleicht Schwestern?
»Wer ist sie, Madame?«
Die mit Juwelen besetzten Armbänder klirrten, als die weißhaarige Frau ihren Champagner trank. »Ich glaube, ich brauche kein Geheimnis daraus zu machen. Sie war ein armes Mädchen, das, kurz bevor sie starb, zu einer hohen Position aufstieg. Sie gab ihre Stelle bei mir auf, um die ehrenwerte und anerkannte Frau eines reichen Fabrikanten aus New Orleans zu werden.«
»Der dunkle Schimmer auf ihrer Haut ist bezaubernd. Der Maler muß sehr inspiriert gewesen sein.«
»Nur von dem, was er tatsächlich gesehen hat.«
»Sie meinen, ihre Haut war in Wirklichkeit so?«
»Ja, Monsieur Benton.«
»Ich bin fasziniert. Ein liebliches, romantisches Bild.« Er beugte sich leicht vor; als geübter Ränkeschmied konnte er subtil sein, wo es nötig war. »Wie ging die Geschichte aus – wenn ich Sie fragen darf, Madame?«
Sie drehte sich um und warf einen liebevollen Blick auf das Porträt. »Mein liebes Mädchen schenkte dem sie anbetenden Ehemann nach der Heirat ein Mädchen, aber leider ist die wunderschöne Mutter gestorben. Bevor auch der liebende Vater das Zeitliche segnete, schickte er seine Tochter weit weg, um standesgemäß zu heiraten. Sie hat eine ebenso weiße Haut wie Sie und ich, aber einige Menschen in dieser Stadt wissen vom Vorleben ihrer Mutter.«
Das war es also: Mutter und Tochter. Bent konnte seine Augen nicht von dem Porträt abwenden.
»Und Sie wissen auch, daß das Kind weder Spanierin noch Französin, sondern ein Achtel Negerin ist. Damals waren attraktive junge Frauen mit Mischblut noch bevorzugte Geschöpfe. Aber jetzt nicht mehr. Die ganze Aufregung um die Sklaverei hat dem ein Ende gesetzt. Heutzutage«, ein ausdrucksvolles Achselzucken, ein melancholisches Lächeln, »bedeutet ein Achtel Negerblut – wie hell die Haut auch immer sein mag – genausoviel wie ein richtiger Neger zu sein. Was ist, Monsieur Benton?«
Bent war die Hand ausgerutscht, und er hatte den Champagner auf den teuren Teppich geleert.
»Ein Ungeschick, Madame. Ich bitte um Entschuldigung.«
Er zog sein Taschentuch heraus und beugte sich nieder, um den Teppich zu säubern, was in Anbetracht seines Wanstes kein einfaches Unterfangen war.
Die Tochter einer Niggerhure stand also mit jener arroganten Main-Bande in einem Zusammenhang? Offensichtlich hegten sie keinen Verdacht; keine Frau mit Negerblut würde zu einer Gruppenaufnahme von Plantagenaristokraten zugelassen werden! Welch herrliche Information! Er wußte zwar noch nicht, wie oder wann er sie verwenden konnte, aber er zweifelte keine Sekunde daran, daß sie ihm nützlich sein würde.
»Madame, Sie haben völlig recht. Der Champagner hat tatsächlich eine beruhigende Wirkung.« Sein schweißfeuchtes Gesicht strahlte. »Die Dienstleistungen der jungen Dame waren äußerst zufriedenstellend, und ich bedaure, am Preis gemäkelt zu haben. Ich werde alles bezahlen. Wenn Sie gestatten, würde ich sogar gerne ein hübsches Trinkgeld hinterlassen.«
Madame Conti wechselte einen Blick mit dem riesigen Schwarzen, der seit einigen Minuten damit beschäftigt gewesen war, seine Fingernägel mit einem eindrucksvollen Messer zu reinigen. Auf ihr kaum merkliches Signal hin steckte er das Messer wieder ein. »Aber selbstverständlich«, sagte sie mit einem höflichen Nicken.
In Texas war der Himmel grau, und es fiel ein kalter Regen. In niedergedrückter Stimmung sah Charles Main zu, wie der letzte Koffer neben den andern im Armeewagen verstaut wurde. Die Koffer gehörten Oberst Lee.
Vor fünf Tagen, am 8. Februar, hatten Charles und zwei Berufssoldaten Camp Cooper verlassen, weil sie dem Regimentskommandanten eilige Botschaften zu übermitteln hatten. Sie waren fast zweihundert Meilen in diesem miesen Wetter geritten und mußten bei ihrer Ankunft feststellen, daß Lee von General Scott nach Washington zurückbefohlen worden war. Zweifellos wollte Scott wissen, welche Absichten Lee für die Zukunft hegte – und wem er die Treue halten wollte.
Lees Abreise war ein weiterer Beweis für das Chaos, das mehr und mehr Besitz vom Land ergriff. Obwohl wichtige Grenzstaaten wie Tennessee und Lees Heimatstadt Virginia sich der sezessionistischen Bewegung noch nicht angeschlossen hatten, war Texas am ersten des Monats von der Union abgefallen. In Alabama war eine neue Regierung der Konföderierten Staaten mit Jefferson Davis als Präsident gebildet worden.
Der künftige Präsident Lincoln reiste aus Illinois mit dem Zug nach Osten. Er unterbrach seine Reise an mehreren Orten, um Reden vor seinen Wählern zu halten. In Washington hatte sich Senator Crittenden vergeblich um Kompromißvorschläge bemüht. Nachdem alle Baumwollstaaten von der Union abgefallen waren, war es für den Senat ein leichtes gewesen, Kansas als freien Staat in die Union aufzunehmen.
Major Anderson befand sich immer noch mit seiner Garnison in Fort Sumter, und Charles fragte sich, ob Billy noch dort war. Anderson hatte ja mehrere Männer nach Washington geschickt, um Instruktionen einzuholen, und vielleicht war Billy unter ihnen gewesen. Charles hoffte und betete, daß sein Freund lebend aus dem Fort herauskommen möge.
In Texas gingen Gerüchte um, daß die Grenzposten demnächst von den Staatsmilizen oder den Texas Rangers übernommen werden sollten. Obwohl General Twiggs dafür bekannt war, daß er mit dem Süden sympathisierte, hatte er sich mehrere Male an Washington gewendet, jedoch nur unklare Antworten erhalten.
In einer Zeitung aus San Antonio war zu lesen, daß einer der ehrenwertesten Absolventen der Militärakademie, Pierre Beauregard, im Januar zum Superintendent von West Point gewählt worden war. Er hatte das Amt jedoch nicht einmal eine Woche lang einnehmen können und war abgesetzt worden, weil durch den Abfall von Louisiana ein Verdacht auf ihn gefallen war. Männer, die in Mexiko gemeinsam in die Schlacht gezogen waren, die Brot und Mühsal zusammen geteilt hatten, standen sich nun als Feinde gegenüber und waren zu allen möglichen Arten des Verrats fähig. All das deprimierte Charles, der sich über seine Zukunft und seine Entscheidungen noch nicht im klaren war.