Er wartete im Regen auf Lee. Mit ihm warteten neun weitere Offiziere. Schließlich kam der Oberst, und einer nach dem andern verabschiedeten sich die Offiziere. Charles war als letzter dran.
»Es ist mir eine Ehre gewesen, Ihnen zu dienen, Sir.«
»Danke, Leutnant.«
»Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.«
»Ich freue mich nicht über die Umstände, die mich zu dieser Reise zwingen. Aber etwas möchte ich Ihnen noch sagen: Sie sind ein guter Offizier, das steht fest – welche Änderungen auch immer eintreten mögen.«
»Vielen Dank, Sir.«
Lee wandte sich ab. Charles befand sich in einer derartigen inneren Verwirrung, daß er das Protokoll mißachtete. »Oberst?«
Lee wandte sich neben dem Armeewagen wieder um. »Ja?«
»Welchen Weg werden Sie einschlagen, Sir? Norden oder Süden?«
Lee schüttelte den Kopf. »Ich könnte niemals die Waffen gegen die Vereinigten Staaten erheben. Aber ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ich meinen Heimatstaat Virginia verteidigen muß. Ich hatte gehofft, daß dieser Entscheid mir erspart bliebe und geglaubt, daß es Präsident Buchanan gelingen würde, durch einen Appell an die Vaterlandsliebe die Harmonie wiederherzustellen. Ich glaubte, daß mit dem Einfluß des Christentums die Sklavenfrage gelöst würde, aber auch das traf nicht ein. Ich habe selbst Sklaven besessen und mir die Gewissensfrage gestellt. Die Sklaverei wird langsam verschwinden – und das sollte sie auch. Was die Sezession anbelangt, so ist sie meiner Ansicht nach nichts anderes als eine Revolution. Und doch haben ehrenwerte Männer auf den Säulen der Sezession und der Sklaverei eine neue Regierung errichtet! Ich weiß nicht, was die Zukunft mir oder meinem Land bringen wird!«
Lees Gesicht sah im Regen abgehärmt aus. »Nur eins scheint mir gewiß: Wie der einzelne die Frage, die Sie vorhin gestellt haben, auch immer für sich selbst beantworten mag, das Ergebnis wird stets dasselbe sein. Die Situation, in die wir uns von den Extremisten haben treiben lassen, wird uns allen das Herz zerreißen. Auf Wiedersehen, Leutnant.«
Er schritt zum Armeewagen, stieg ein und setzte sich neben den Kutscher. Das Gefährt rollte langsam durch den Schlamm und verschwand dann in der düsteren Ferne.
Charles ging zurück, brütete über seine eigene Verwirrung und kam zum Schluß, daß Lee recht hatte. Beide, der Norden wie der Süden, würden schwer leiden, bevor dieses schreckliche Geschäft erledigt war.
Zwei Tage später übergab der alte Davey Twiggs in San Antonio sämtliche Camps der Bundesarmee in Texas an die Milizen des Staates. Die uniontreuen Männer wurden aufgefordert, das Gebiet zu verlassen, und man sicherte ihnen sicheres Geleit zu, obwohl ungewiß war, für wie lange.
Charles traf gerade, eine Stunde, bevor die Truppe das Lager verlassen sollte, in Camp Cooper ein. Hauptmann Carpenter von der Ersten Infanterie führte das Kommando. Einige der Männer waren zu Fuß, andere zu Pferd.
Charles, der von den vielen Stunden im Sattel ganz erschöpft und abgekämpft war, sah zu, wie die Männer der Kompanie K aus Ohio in einer Zweierkolonne davonritten. Unter ihnen befand sich Korporal Tannen, der bei dem Gefecht um die Lantzman-Farm dabeigewesen war. Charles war für seine Beförderung eingetreten. Tannen drehte sich nach den Zurückbleibenden um, lehnte nach links und spie.
»Jeder Mann, der bleibt, ist unwürdig, das Armeeblau zu tragen.« Er sagte es laut genug, damit ihn alle hören konnten.
»Was sagen Sie da, Korporal?« rief Charles.
Tannen erwiderte seinen Blick. »Ich habe gesagt, daß Sie ein gemeiner Verräter sind, wenn Sie bleiben.«
»Offensichtlich bin ich meines Ranges enthoben worden«, sagte Charles, nahm sich die Abzeichen ab, spannte den Hahn seines Revolvers und reichte ihn einem neben ihm stehenden Kavalleristen aus Alabama.
»Damit es keine Schießerei gibt.«
Der Mann grinste, nickte und nahm die Waffe in Empfang. Charles ging auf Tannens Pferd zu.
»Sie haben mir einmal geholfen. Ich war dankbar dafür. Mit Ihrer Bemerkung sind wir nun quitt.«
Tannen blickte auf ihn herab. »Schön. Zur Hölle mit Ihnen.«
Mit einer schnellen Handbewegung packte Charles die Zügel, die Tannen ihm ins Gesicht schlagen wollte, und wand sie um das Handgelenk des Korporals. Das Pferd stieg hoch.
Tannen versuchte den Säbel zu ziehen, Charles schlug ihn ihm aus der Hand. Dann zerrte er den Mann aus dem Sattel und schlug auf ihn ein, bis seine Nase ein blutiger Klumpen war und er sich nicht mehr regte. Keuchend wandte Charles sich an die andern, die stehengeblieben waren:
»Hebt ihn auf, wenn Ihr ihn mitnehmen wollt. Den nächsten, der mich einen Verräter nennt, bringe ich um.«
Er nahm den Fuß, den er auf Tannens Rücken gesetzt hatte, weg und stand, die Hände in die Hüften gestemmt, da, bis man Tannen bäuchlings auf ein Pferd geworfen hatte. Bald darauf waren die Yankees außer Sicht.
Eine Stunde später verfaßte Charles sein Abschiedsgesuch und packte.
Da kein Berufsoffizier der Armee mehr da war, der das Gesuch nach Washington hätte weiterleiten können, nagelte er das Schreiben an die Tür. Wenige Minuten später war er bereits unterwegs in Richtung Golf.
Lee mochte über philosophische Haarspaltereien brüten, seine Zukunft war auf viel einfachere Art entschieden worden. Er war noch nie besonders tiefsinnig gewesen, sondern ein Draufgänger und ein Reitersoldat. Der Süden könnte jemanden wie ihn wohl ebenso gut gebrauchen wie Philosophen.
Er haßte es, das ihm liebgewordene Texas verlassen zu müssen. Die Sklaverei war für ihn eine idiotische, zum Aussterben verurteilte Institution. Aber der Süden rief ihn nach Hause. Er trieb sein Pferd schonungslos an, bis er die Küste erreicht hatte.
Viertes Buch.
Der Marsch in die Dunkelheit
Ich sage Euch, da ist ein Feuer. Heute haben sie eine brennende Fackel in den Tempel der verfassungsmäßigen Freiheit geworfen, und, so Gott will, werden wir nie wieder Frieden haben.
Rechtsanwalt James Petigruaus Charleston, während der Sezessionsfeier am 20. Dezember 1860
60
Mit jedem Tag fühlte sich Sumter mehr wie ein Gefängnis an. Billys feuchtkaltes Zimmer aus unverputzten Backsteinen befand sich im Offiziersquartier. Die Trübseligkeit des Raumes wurde noch dadurch gesteigert, daß er die meiste Zeit über dunkel war. Die Garnison hatte fast alle Kerzen und Streichhölzer aufgebraucht, die Mrs. Doubleday im Januar, einen Tag bevor sie und die andern Garnisonsfrauen nach Norden gereist waren, gekauft hatten. Es blieb Billy nur noch ein kleiner Stumpf übrig, den er jeden Tag einige Minuten lang anzündete, wenn er einen weiteren Kalenderstrich in die Wand ritzte. Für den Februar hatte er jetzt bereits einundzwanzig Striche an der Wand.
Brett sah er nicht mehr. Er gehörte nicht zu denjenigen, die alle paar Tage in die Stadt abkommandiert wurden, um dort gepökeltes Schweinefleisch und Gemüse einzukaufen. Diese Art der Verpflegung wurde mit der Einwilligung von Gouverneur Pickens und unter dem Drängen einiger berühmter Persönlichkeiten aus Charleston so gehandhabt.
Andere Persönlichkeiten der Stadt machten keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen eine Versorgung der Garnison mit Nahrungsmitteln und Postsachen. In einem ihrer Briefe schrieb Brett, daß besonders Rhett vom Mercury dafür war, daß die Garnison durch Hunger zur Kapitulation gezwungen werde. Billy hegte den Verdacht, daß der Gouverneur das gleiche Ziel verfolge, wenn auch mit andern Mitteln. Pickens hatte es den dreiundvierzig Maurern und Arbeitern nicht gestattet, Fort Sumter zu verlassen. Wahrscheinlich würde somit der Nahrungsmittelbestand schneller zurückgehen und Anderson um so früher um Verhandlungen bitten müssen. Mehrere Offiziere behaupteten, der Gouverneur führe ein Täuschungsmanöver durch und habe überhaupt keine derartigen Rechte. Doubleday vertrat die Ansicht, daß Anderson die Arbeiter in der Nacht an Land bringen lassen könnte, wenn er sie wirklich los sein wolle. Er wagte es natürlich nicht, dies Anderson ins Gesicht zu sagen, und der Kommandant, der sich sehr wohl darüber im klaren war, daß eine Konfrontation gefährlich sein könnte, hütete sich vor jeder unbedachten Handlung.