Brett berichtete, daß die Männer, die die Lebensmittel auf dem Markt in Charleston einkauften, mit Gewehren herumspazierten. Jedesmal trottete eine Menschenmenge hinter den Soldaten her, und ab und zu rief jemand Doubledays Namen. Er war der am meisten gehaßte Mann des Forts, ein bekannter Republikaner. Sollte er jemals einen Fuß in die Stadt setzen, so würde er sicher vom Pöbel gelyncht werden, meinte Brett.
Billy beschäftigte sich, so gut er konnte. Als die unter seinem Kommando stehenden Maurer sämtliche Fenster der zweiten Kasemattenreihe zugemauert hatten, wurden sie von Foster für Arbeiten am Haupttor abkommandiert. Das Tor wurde auf der Innenseite verkleinert, und sobald die Arbeiten soweit fertiggestellt waren, gab Anderson Befehl, eine leichte Haubitze vor dem Tor aufzustellen.
Alle Insassen des Forts waren einer Art Stumpfheit verfallen. Man arbeitete viel und lange, und die Anspannung machte alle noch müder, als sie es sonst geworden wären. Hauptmann Seymour und Hauptmann Doubleday hatten ein besonders schweres Los: Sie fungierten abwechslungsweise jeden zweiten Tag als Offiziere vom Dienst und durchwachten jede zweite Nacht.
Der Ernst der Lage bewirkte, daß die Offiziere offener wurden und sich weniger starr ans Protokoll hielten. Der Beweis dafür wurde eines schönen Nachmittags erbracht, als Billy und Doubleday von der Brustwehr aus beobachteten, wie ein Schoner am Kai auf Morris Island festmachte. Er war mit Eisenschienenstahl beladen, der für den Bau eines Artilleriestandplatzes in weniger als zwölfhundert Meter Entfernung bei Cummings Point errichtet werden sollte.
»Schauen Sie sich das an!« rief Doubleday. »Wir erlauben es, daß sie in aller Gemütlichkeit ihre Kanonen und ihre Munition aufstellen.«
Es stimmte. Von dem nun schwer mit Baumwollballen und Sandsäcken befestigten Fort Moultrie aus bis zu Cummings Point waren überall Kanonen aufgestellt, die eine schwere Bedrohung für das Fort im Hafen darstellten. Die Artillerieeinheiten des Staates South Carolina führten regelmäßig Übungen durch. Eben jetzt konnte Billy Männer sehen, die geschäftig um die Kanonen herumflitzten, während die Palmettoflagge im Wind flatterte.
Wie die meisten Garnisonsmitglieder, war auch Billy der Meinung, daß Major Anderson ein anständiger, gewissenhafter, wenn auch alter und eher gottesfürchtiger Mann war. Er fühlte sich dazu veranlaßt, auf die unausgesprochene Kritik zu reagieren.
»Wenn der Major versuchte, der Sache Einhalt zu gebieten, könnte er damit dieses ganze Land in einen blutigen Krieg führen. Ich möchte diese Verantwortung nicht haben, Sir.«
»Ich auch nicht«, gab Doubleday heftig zurück. »Glauben Sie mir, es ist mir klar, in welchem Dilemma er sich befinden muß, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß die Verzögerungstaktik unsere Lage nur noch verschärfen kann.«
»Glauben Sie, daß eine Friedenskonferenz helfen wird?« fragte Billy.
Virginia hatte zu einer solchen Konferenz aufgerufen, und der frühere Präsident Tyler hatte sie im Willard’s Hotel in Washington einberufen. Doch einige bedeutende Staaten wie Michigan und Kalifornien hatten keine Delegierten entsandt.
Doubleday beantwortete die Frage ohne zu zögern mit einem Nein. »Meiner Meinung nach können wir nicht beides, die Union und die Sklaverei retten.« Er hieb mit der Faust auf die Brustwehr. »Ich wünschte, der Major könnte seine Befehle für eine Stunde vergessen und es uns gestatten, die Batterien dort drüben zu vernichten. Wenn wir das nicht tun, werden wir demnächst von einem Feuerring umgeben sein.«
Ein Feuerring. Ein guter Ausdruck, dachte Billy, als er zusah, wie der Schoner entladen wurde. Aus allen Richtungen, außer vom Meer her, waren Kanonen aus South Carolina auf Fort Sumter gerichtet. War es nicht unvermeidlich, daß jemand früher oder später – auf Befehl oder aus Versehen – ein solches Ding losfeuerte und damit einen Krieg auslöste?
Bretts nächster Brief bestätigte die bevorstehende Gefahr. In Charleston ging das Kriegsfieber um. Doubleday und noch andere der Garnison vermuteten, daß Präsident Davis aus diesem Grund so sehr darauf bestand, die Artillerieeinheiten von Charleston im Namen der Regierung einzuziehen. Davis sandte auch offizielle Unterhändler der Konföderation nach Washington, um eine sofortige Übergabe des umstrittenen Eigentums zu fordern.
Einige Tage später bekam Billy von Anderson selbst eine weitere überraschende Nachricht zu hören. »Davis schickt seinen eigenen Offizier, um das Kommando über die Batterien zu übernehmen.« Der Major seufzte. »Beauregard.«
Sie standen neben der Geschützbank. Die Hälfte der achtundvierzig brauchbaren Geschütze von Fort Sumter waren im Freien aufgestellt, die andere Hälfte befand sich in den Kasematten. Etwa in fünfzig Meter Entfernung vom Fort fuhr die Nina vorbei, eines der zwei Wachschiffe, die dauernd im Hafen patrouillierten. Die Scharfschützen im Heck erkannten Anderson und feuerten Salutschüsse ab. Der großgewachsene Mann mit den tiefliegenden Augen blieb reglos da stehen.
»Hauptmann Beauregard aus Louisiana?« fragte Billy.
»Jetzt Brigadegeneral Beauregard der Konföderierten Staaten von Amerika. Als ich in den Jahren ‘36 und ‘37 an der Akademie Artillerie lehrte, war er einer meiner besten Schüler. Er war so gut, daß ich ihn nach seinem Schulabschluß zu meinem Assistenten machte.« Der Major schweifte mit seinem Blick über die Batterie bei Cummings Point. »Ich nehme an, daß das Geschütz demnächst fachkundiger aufgestellt sein wird.«
Anderson wandte sich plötzlich seinem Untergebenen zu. In dem über die Dächer und Kirchtürme von Charleston fallenden Sonnenlicht sah sein Gesicht noch verhärmter aus. »Aber eigentlich wollte ich mich nach Ihrer jungen Dame erkundigen, Leutnant. Ist sie immer noch in der Stadt?«
»Ja, Sir, ich bekomme fast jeden Tag einen Brief.«
»Wollen Sie beide immer noch heiraten?«
»Sehr gern, Sir, aber das scheint unter den gegenwärtigen Umständen kaum möglich.«
»Sagen Sie das nicht! Sie wissen ja, daß Hauptmann Foster eigentlich dagegen ist, daß Ihr Herren von den Pioniertruppen Frontdienst macht; wenn Sie also mit Ihrer Arbeit zu Ende sind, werde ich an Ihre Situation denken.«
Billys Hoffnung flammte wieder auf, doch gleichzeitig stieg ein anderes Gefühl in ihm hoch. »Sehr liebenswürdig von Ihnen, Sir, aber ich möchte nicht weggehen, wenn es zu Feindseligkeiten kommt.«
»Es wird keine Feindseligkeiten geben«, flüsterte Anderson. »Auf jeden Fall werden sie nicht von uns ausgehen. Können Sie sich die katastrophalen Folgen vorstellen, wenn Amerikaner auf andere Amerikaner das Feuer eröffnen würden? Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit es nicht zu einem solchen Zusammenstoß kommt, und ich schäme mich nicht, Ihnen zu sagen, daß ich jeden Abend auf den Knien zu Gott bete, damit ich dieses Versprechen auch halten kann.«
Der Gegensatz zu Doubledays schwelender Kampflust war offensichtlich. Billy betrachtete die untergehende Abendsonne und lenkte seine Gedanken auf die Hoffnung, der Anderson mit seinen Worten Ausdruck verliehen hatte. Aber er wagte es kaum, darüber nachzudenken, weil die Möglichkeit einer Enttäuschung zu groß war.
Langsam schweifte sein Blick über den Hafen mit dem Geschütz. Ein Feuerring, der absichtlich oder versehentlich entzündet werden konnte. Als die Sonne untergegangen war, hatte sein Pessimismus wieder die Oberhand gewonnen.