Homer hatte seine dunkle Hand auf seinen Arm gelegt, und er hielt mitten im Satz inne. Homer, in seinen Vierzigern und von der jahrelangen Plackerei ganz gebeugt, blickte dem jüngeren Mann resigniert in die Augen. »Lügen helfen nicht. Im Gegenteil, es wird uns noch schlechter gehen. Schlucken wir lieber die bittere Pille.«
Er wandte sich Ashton zu und zeigte sich willens, die Wahrheit zu sagen, aber Rex blieb störrisch.
»Nein, Homer, ich will nicht – «
Homer packte ihn so hart am Handgelenk, daß der Jüngere aufschrie. Ashton keuchte laut und schwer, als sie sagte: »Laßt eure Hosen runter. Beide!«
Ihr Knüppel lag am üblichen Ort in der Küche. Der Koch und die beiden Hausmädchen tauschten besorgte Blicke aus, als ihre Herrin in die Küche stürmte, den Knüppel ergriff und wieder hinauseilte.
Ashton fühlte sich gezwungen, jede Faszination für Lincoln im Keim zu ersticken, bevor sie allzu gefährliche Ausmaße annehmen würde. Überall in Charleston und überall im ganzen Staat begannen sich die Sklaven zu rühren und flüsterten immer wieder dieses eine Wort – Linkum. Diejenigen, die lesen konnten, wußten, daß er der neue Präsident des Nordens war. Die meisten jedoch wußten kaum etwas über ihn, außer daß er ein Republikaner war. Da ihre Herren die Republikaner so abgrundtief haßten, konnte Linkum nur ein Freund der Schwarzen sein.
Homer und Rex hatten in der Speisekammer ihre Hosen heruntergelassen und sich mit dem Gesicht zur Wand gestellt. Ashton befahl ihnen, die zerrissenen Unterhosen ebenfalls fallen zu lassen. Sie zögerten zwar, aber dann gehorchten sie. Als Ashton die schlanken, muskulösen Lenden erblickte, durchfuhr sie ein leises Zittern.
»Fünf pro Nase«, sagte sie. »Und wenn ich jemals einen von euch wieder den Namen dieses Schuftes aussprechen höre, gibt es zehn oder mehr Schläge. Wer wird zuerst bestraft?«
Homer sagte mit ruhiger Stimme: »Ich, Ma’am.«
Ashtons Brüste spannten sich unter ihrem Kleid. Sie atmete heftig. Sie sah, wie Rex rasch einen verstohlenen, ängstlichen Blick über die Schulter warf. »Nein, nicht du«, murmelte sie und schwang den Knüppel.
Der Schlag fiel laut wie ein Gewehrschuß. Rex hatte sich nicht fest genug gegen die Wand gestemmt und flog mit dem Kinn dagegen. Er brüllte und blickte nochmals zurück; ein wilder, rachsüchtiger, beinahe mörderischer Blick.
»Blick auf die Wand, Nigger«, sagte Ashton und schlug mit ihrer ganzen Kraft zu.
Homer ballte seine rechte Hand zur Faust, lehnte den Kopf vor und schloß die Augen.
Hinterher fühlte sich Ashton, als ob sie durch einen Sturm hindurchgegangen wäre und nun Windstille eingesetzt hätte. Sie zog sich auf ihr Zimmer zurück und döste genießerisch in einem Sessel vor sich hin. Ihre Glieder waren von einer lasziven Schwere.
Sie wiederholte die Bestrafungsszene in ihrer Phantasie. Erst stellte sie sich noch einmal alles ganz genau vor und genoß die Empfindungen, die sich dabei einstellten. Dann veränderte sie die Szene: Es war nicht mehr ein schwarzer Junge oder ein schwarzer Mann, den sie auspeitschte, sondern der sich windende und um Gnade bettelnde Billy Hazard.
Forbes LaMotte und sie waren beide zur Untätigkeit verurteilt, weil Billy in Fort Sumter festsaß und nie in die Stadt kommen durfte. Doch das würde sich vielleicht ändern, sobald General Beauregard die Zügel in die Hand nahm. Es wurde ihr jetzt klar, daß der frühere Versuch, Billy zu verprügeln und zu verletzen, idiotisch gewesen war. Natürlich hätte sie es vorgezogen, Billy selbst zu vernichten, aber sie und Forbes würden es zufrieden sein, wenn er im Fort umkäme.
Ohne daß sie es merkte, glitten ihre Hände abwärts zur Taille. Schweißperlen glänzten auf der Oberlippe und Stirn. Sie schloß die Augen und sah ein neues Phantasiebild: Billy, umgeben von Feuer und berstenden Steinen. Die Artillerie South Carolinas verwandelte Fort Sumter in Schutt und Asche. Langsam verblaßte sein Bild. Keuchend befriedigte sie sich selbst.
Laß es geschehen, dachte sie. O Gott, laß es bald geschehen.
Sie stöhnte leise. Die ruckartige Bewegung ihres Körpers verschob den Sessel um einige Zentimeter.
Der Mann aus Georgia taumelte. Forbes LaMotte trat zur Seite, damit sein Opfer an ihm vorbeifallen konnte. Der Mann schlug mit dem Gesicht auf dem Kies der Allee auf. Donnergrollen kam aus dem dunklen Gewölk des Märzhimmels.
Forbes bewegte seine rechte Hand, die verletzt war, und zupfte sich dann die Krawatte wieder zurecht. Hinter ihm stand ein schlanker, bleicher, elegant gekleideter junger Mann. Er hatte Forbes den größten Teil des Kampfs überlassen.
Der Mann aus Georgia stützte sich auf die Ellbogen und versuchte aufzustehen. Forbes hatte ihm drei Zähne ausgeschlagen, Lippen und Kinn waren von Blut und Speichel bedeckt. Langsam näherte Forbes seine Schuhsohle dem Kopf des Mannes und stieß zu. Das Gesicht des Mannes wurde erneut in den Kies gedrückt.
Forbes suchte in der Innentasche seines Mantels nach einem silbernen Flachmann. Er schüttelte die Flasche. Halb voll. Er entkorkte sie, lehnte den Kopf zurück und kippte den Rest in sich hinein. Er steckte die Flasche sorgfältig in eine Seitentasche und lächelte dem vierten Mann in der Allee zu – einem weiteren, elegant gekleideten Mann aus Georgia, der ängstlich an einer Schuppenwand lehnte. Der Mann hatte zugeschaut, wie Forbes seinen Freund zur Bewußtlosigkeit geschlagen hatte.
»Nun, Sir«, sagte Forbes mit schwerer Zunge. »Sollen wir das Gespräch, das diese disziplinarische Maßnahme leider erforderlich machte, wieder aufnehmen? Mal sehen. Als Mr. Smith und ich Ihnen beiden auf der Battery begegnet sind, haben Sie die Einwohner von Charleston lauthals kritisiert. Sie sagten, daß wir es uns anmaßen würden, das Sprachrohr des ganzen Südens zu sein.«
Der schlanke junge Mann, Preston Smith, trat vor. »›Hochmütig anmaßten‹, das waren die genauen Worte.«
Forbes blinzelte. »Ich erinnere mich.«
Preston Smith warf dem entsetzten Mann aus Georgia einen bösartigen Blick zu. Preston liebte Schlägereien, besonders wenn er zusehen durfte. Er hoffte, daß dieser Streit noch nicht zu Ende sei.
»Er sagte ebenfalls, daß wir uns so benehmen würden, als ob die Tatsache, daß man in South Carolina geboren wurde, einem ein Ehrenrecht verliehe.«
»Ein Ehrenrecht«, wiederholte Forbes mit einem umnebelten Blick. »Das war die Bemerkung, die mich am meisten geärgert hat.« Er gab dem am Boden liegenden Mann einen Stoß mit der Stiefelspitze. »Ich würde sagen, daß etwas Wahres daran ist. Ihr beide habt heute eure Meister gefunden.«
Preston kicherte. »Ich bin nicht sicher, ob er dir das abnimmt, alter Freund.«
Forbes stieß einen übertriebenen Seufzer aus. »Nun, das glaube ich auch nicht. Ich befürchte, wir müssen ihm ebenfalls eine Lehre erteilen.«
Er stieg über den bewußtlosen Mann hinweg und ging auf den andern los, der am liebsten durch die Schuppenwand verschwunden wäre, wenn das möglich gewesen wäre. Er blickte nach rechts, dann nach links, und gerade als Forbes die Faust erhoben hatte, machte er sich aus dem Staub.
Beim Anblick des um sein Leben Rennenden prustete Preston los. »Am besten rennst du ohne Unterbrechung bis nach Savannah, du dummer Frosch.«
Der Flüchtende warf einen Blick zurück und verschwand dann. Forbes mußte so laut lachen, daß ihm die Tränen in die Augen traten.
Preston wischte sich mit peinlicher Genauigkeit den Staub von den Knien und Ärmeln. »Verflucht, ich hasse all diese Touristen!« Forbes setzte seinen Hut wieder auf, und die beiden Freunde gingen in der entgegengesetzten Richtung durch die Allee. »Sie glauben wohl alle, sie können hierherkommen und sagen, was ihnen beliebt.«
»Wir haben die Pflicht, ihnen eine Lehre zu erteilen. Aber das gibt Durst. Nimmst du auch noch einen mit mir?«
»Aber Forbes, es ist ja erst zwei Uhr nachmittags!«
»Was zum Teufel willst du damit sagen?«