Sie fühlte sich ungemein erleichtert und glücklich. Nie mehr würde sie nach Resolute zurückkehren. Nie mehr zurück zu Justin…
Und zum Teufel mit den Konsequenzen!
64
Kurz vor drei Uhr versammelte sich die Familie, um sich von den Neuvermählten zu verabschieden. Billy wollte früh genug gehen, damit sie gemütlich zum kleinen Bahnhof im Wald fahren konnten.
Ein perfekter Nachmittag für eine Hochzeitsreise, fand Charles und zündete sich schon wieder eine Zigarre an. Die milde Märzsonne schimmerte durch die moosbewachsenen Eichen, und die Luft roch nach feuchter Erde. Es wurde langsam Frühling. Verflixt noch mal, er sollte wirklich nach Charleston reiten und ein Mädchen finden.
Charles half Homer, die Kisten und Koffer auf Huntoons Kutsche zu verstauen, während sich Brett und Billy von der Familie verabschiedeten. Ashton stand auf der Seite, um die letzte zu sein. »Ich wünsche euch von ganzem Herzen eine gute Reise, viel Glück und Erfolg. Und ein langes Leben«, fügte sie hinzu. Als sie Brett umarmte, funkelte das Sonnenlicht in ihren dunklen Augen.
»Vielen Dank, Ashton«, sagte Billy. Linkisch schüttelte er ihre Hand. Charles fand linkisch den passenden Ausdruck für Billys Verhalten Ashton gegenüber an diesem Nachmittag. Nun, das war nicht weiter erstaunlich, denn Billy war ja lange genug in sie vernarrt gewesen. Aber sein Freund hatte schließlich das bessere Mädchen gewählt. Ashton war zwar intelligent und voller Elan, hatte jedoch auch eine böse Ader.
»Bison«, Billy trat zu Charles und streckte ihm die Hand hin, »paß auf dich auf, vor allem, wenn es auf Fort Sumter noch hitziger zugehen sollte.«
»Ich werd’ mir Mühe geben.« Ihr Handschlag war lang und kräftig. »Laß mal was von dir hören. Ich weiß natürlich, daß es eine Weile dauern wird. Schließlich ist ein frisch verheirateter Mann noch anderweitig beschäftigt.«
»Das möchte ich wohl hoffen.«
Beide lachten. Brett hatte eben ihre Mutter zum letztenmal umarmt. Sie wischte sich eine Träne von der Wange und sagte hänselnd: »Das tönt aber verrucht.«
Charles grinste. »Du hast recht, aber wir müssen jetzt noch ein paar Zoten reißen. Der Bräutigam ist schließlich um seinen Polterabend gekommen.«
»Er kann froh sein, daß er in diesen Zeiten überhaupt zu einer Hochzeitsreise kommt«, sagte Orry auf die ihm eigene mürrische Art.
Clarissa lächelte immer noch und blinzelte wie ein verwirrtes Kind, das trotzdem nett sein will. Einige der Hausdiener waren herausgekommen, um sich ebenfalls zu verabschieden, und so wurden die beiden von einer großen klatschenden und Glückwünsche rufenden Menschenmenge umringt, als Billy seiner Frau in die Kutsche half.
Er lehnte zum Fenster hinaus und winkte. Brett ebenfalls. Die Sonnenstrahlen brachten ihre Tränen zum Glitzern. Homer gab den Pferden die Zügel. Als die Kutsche langsam davonrollte, winkten alle und riefen ihnen noch mehr Abschiedsworte zu. Spaßeshalber zog Charles den Säbel und salutierte den Neuvermählten formell.
Als er über die Klinge seines Säbels schaute, bemerkte er, wie Ashton sich mit dem Taschentuch in einer Hand die Augen wischte und mit der anderen Hand winkte. Dann huschte plötzlich ein selbstgefälliges Lächeln über ihr Gesicht. Niemand schenkte dem Beachtung, da alle der Kutsche nachsahen, die im Sonnenlicht auf dem Torweg davonratterte.
Charles spürte einen Stich im Nacken. Er trat einen Schritt zurück, so daß er sich hinter einer Säule vor Ashton verstecken konnte. Was auch immer sie dem Brautpaar zuvor gesagt haben mochte, sie sah auf keinen Fall so aus, als würde sie ihnen etwas Gutes wünschen. Was in aller Welt war eigentlich los?
Etwas Merkwürdiges – soviel stand fest. Vielleicht würde er mehr erfahren, wenn er die Augen offenhalten und nicht zu viel trinken würde.
Er bat Cuffey, ihm ein Glas Champagner zu bringen. Dann öffnete er den Kragen seiner Uniform und ließ sich auf einen Schaukelstuhl im Schatten nieder. Er schaukelte gemächlich hin und her und war froh, allein zu sein. Bevor seine Geduld belohnt wurde, hatte er den Champagner schon in kleinen Schlucken leergetrunken. Ein schwarzer Junge, staubbedeckt und schwer atmend, tauchte bei der Hausecke auf. »Ist Homer hier, Sir?«
»Nein, er ist mit der Kutsche fortgefahren, aber er wird bald zurücksein.«
Charles brauchte einen Augenblick, bis er wußte, wohin der Junge gehörte. Sein Name war Rex – der andere Diener von Ashton. Wo war er gewesen? Sein verwaschenes blaues Flanellhemd triefte vor Schweiß, als wäre er eine große Strecke gerannt.
Der Junge wich Charles’ Blick aus und kauerte in einiger Entfernung bei einer Säule nieder. Charles erinnerte sich genau daran, daß er nach der Zeremonie ein paar Worte mit Homer gewechselt hatte. Rex hatte er nirgends gesehen. Eigenartig.
Charles hob den Kopf. Er hörte Lärm; im Torweg erblickte er eine Staubwolke. Das Geräusch von Pferdegetrampel und quietschenden Wagenrädern wurde schnell stärker. Als er die verstörte, verängstigt dreinblickende Gestalt sah, die den Wagen lenkte, sprang er auf.
»Madeline«, rief er, warf die Zigarre fort und eilte ihr entgegen. Einen Augenblick später ergriff er den Zaum des völlig erschöpften Pferdes und half Madeline beim Aussteigen. Er wollte sie loslassen, aber sie hielt ihn umschlungen.
»Madeline, Sie sehen zu Tode erschrocken aus. Was ist los?«
Mit einem verwirrten Ausdruck schaute sie zum jungen, großen Offizier hoch. Sie versuchte sich zusammenzureißen. Dann bemerkte sie Rex, der angespannt bei der Säule kauerte. Langsam begann sie die Zusammenhänge zu begreifen.
»Ich habe diesen Jungen vor kurzem in Resolute gesehen. Ich bin vollkommen sicher.«
Aber Rex war schon über die Veranda gerast und verschwunden.
Die Bewegung der Kutsche übte eine beruhigende Wirkung aus; die Stimmung stieg. Auf den ihnen gegenüberliegenden Kissen zeichneten die Sonnenstrahlen Schatten von Föhren und Eichen, die am Straßenrand standen. Billy hielt Brett eng umschlungen.
»Glücklich?« fragte er.
Sie seufzte. »Selig. Ich habe nicht mehr geglaubt, daß der Augenblick noch kommen würde.«
»Und ich habe nicht mehr geglaubt, daß Orry seine Erlaubnis geben würde.«
»Dein Bruder hat ihn umgestimmt, das weißt du ja.«
Billy gluckste. »Die Ehemaligen sagen, daß West Point dein Leben auf immer beeinflußt – und zwar so, wie man sich dies als Kadett nicht vorstellen kann. Jetzt glaub’ ich ihnen endlich.«
Brett dachte einen Augenblick nach. »Wie lange, denkst du, wirst du in Washington bleiben müssen?«
»Das kann ich nicht sagen. Vielleicht Tage, Wochen oder sogar – «
»Es kommen Reiter, Leutnant Hazard.«
Als Billy Homers Stimme hörte, blickte er zum offenen Fenster hinaus. Der Sklave klang zwar nicht beunruhigt, aber allein die Tatsache, daß er die beiden darauf aufmerksam gemacht hatte, ließ etwas Ungewöhnliches ahnen. Billy konnte sie links hinter der Kutsche hören. Die Hufe trotteten auf Waldboden. Eigenartig.
»Wer ist es?« fragte Brett.
Billy lehnte sich aus dem Fenster. Staubwolken tanzten in den Sonnenstrahlen hinter der Kutsche. Zwei verschwommene Gestalten tauchten zentaurenähnlich in den Staubwolken auf, aber er konnte erst Einzelheiten feststellen, als die Pferde in Galopp fielen. Die zwei Reiter lösten sich aus dem Staub. Billys Hände ruhten auf dem Fensterbrett.
»Ein alter Freund von dir. Dieser Kerl namens LaMotte.«
Aber auch Brett war eher verwirrt als verängstigt. Forbes gab dem Pferd die Sporen. Sein Begleiter, ein schmächtiger, elegant gekleideter Bursche etwa in Forbes’ Alter, war dicht hinter ihm. Brett lehnte sich aus dem andern Fenster.