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Er hielt den Atem an: Im Schein der flackernden Kerzen stand Madeline oben an der Treppe und starrte auf ihn hinunter.

Justin hielt sich mit beiden Armen am Stuhl fest, als er seinen linken Fuß in den Stiefel hineinschob. Der Sklave, der ihm beim Stiefelanziehen half, war offensichtlich nervös. Der Herr von Resolute hatte den ganzen Abend lang getrunken, getobt und in Erwartung seines Bruders das ganze Haus auf Trab gehalten.

Justin hatte einen Verband auf dem Kopf, der bis über die Ohren reichte und unter dem Kinn zusammengebunden war. Er sollte die Nähte von Dr. Sapp verbergen. Der Whiskey dämpfte den Schmerz etwas, und zudem hatte Dr. Sapp Justin versichert, daß es in ein oder zwei Tagen vorbei sei. Aber er würde für den Rest seines Lebens eine Narbe behalten.

Er hörte Pferde auf dem Torweg. Mit verbissenem Gesicht gab er sich einen Ruck und kam mit dem Fuß in den Stiefel hinein, aber der Sklave verlor dabei das Gleichgewicht und landete auf dem Gesäß. Ohne ein Wort der Entschuldigung stapfte Justin in die Vorhalle hinaus.

Der Schein der Föhrenholzfackeln, die die Reiter in den Händen hielten, fiel durch das Oberlicht in die Halle. Als die Tür aufflog, fingen die Fackeln zu rauchen an. Francis stolzierte herein. Justin bemerkte, daß es mittlerweile stärker zu regnen angefangen hatte.

»Es dauerte eine Weile, bis ich drei Nigger finden konnte, denen man eine Muskete anvertrauen kann, aber da sind wir.«

»Schön«, sagte Justin. »Wir werden diese Hure noch vor Tagesanbruch wieder hier haben.«

Francis tupfte sich das feuchte Gesicht mit einem Taschentuch. »Ich hab’ immer gedacht, daß sie dir nicht sonderlich viel bedeutet.«

»Tut sie auch nicht! Aber es geht um meine Ehre. Um meinen Ruf – was zum Teufel ist denn das?«

Beide rannten nach draußen, als Cuffeys Esel gerade auf den Eingang zuritt. Der Sklave trug seinen Passierschein an einer Schnur um den Hals; durch den Regen floß die Tinte wie ein kleiner Wasserfall über das Papier. Cuffey stieg von seinem Esel herunter und zog respektvoll seinen Hut. Dann zog er einen gefalteten und versiegelten Briefbogen hervor.

»Das ist für Sie, Mist’ LaMotte.«

Justin schnappte es ihm richtig aus der Hand. Cuffey vermutete, daß der Brief nicht eitel Freude erregen würde, und deshalb schwang er sich hastig wieder auf seinen Esel und ritt davon.

»Der Hurensohn«, flüsterte Justin. Er war unfähig, mehr als die ersten beiden Zeilen zu lesen. Sein Gesicht hatte sich violett verfärbt. »Der gemeine, hochnäsige Hurensohn.«

Er bemerkte, wie die Neger, die Francis zusammengetrommelt hatte, ihn verwirrt beobachteten, und trat dann ins Haus zurück, um seine Betroffenheit zu verbergen. Sein Bruder folgte ihm. Er nahm Justin den Brief unsanft aus den Händen und begab sich damit zu einer Lampe, die nun dort an der Wand befestigt war, wo vor kurzem noch ein Säbel gehangen hatte. Francis las die kurze Mitteilung durch und schüttelte dann den Kopf. »Weshalb sollte Main deiner Frau Asyl gewähren?«

»Bist du ein Vollidiot, Francis? Der Schuft haßt mich doch! Er hat mich schon immer gehaßt. Er würde nichts lieber sehen, als daß ich vor der ganzen Nachbarschaft gedemütigt würde.«

»Er sagt, daß er dich erschießt, wenn du auch nur einen Fuß auf sein Grundstück setzt.« Francis faltete die Mitteilung wieder zusammen. »Glaubst du das?«

»Nein.«

»Aber ich.« Ängstlich fuhr Francis fort: »Laß sie gehen. Keine Frau ist dein Leben wert. Frauen sind wie auswechselbare Teile einer Maschine. Eine jede kann dir denselben Dienst erfüllen.«

Die rohe Scheinweisheit fand großen Anklang. Es stimmte zwar, daß Justin sich an Madeline rächen wollte, weil sie ihn geschlagen hatte, und an Orry, weil er ihn beleidigt hatte, aber er hatte nicht die geringste Lust, im ganzen Land herumzutrotten und seinen Verlust an die große Glocke zu hängen. Und – was weitaus wichtiger war – er war wirklich nicht darauf erpicht, einen Blick in eine Revolvermündung mit Orry dahinter zu werfen.

Mit Erleichterung stellte Francis fest, daß er seinen Bruder wahrscheinlich dazu würde überreden können, von seinem Racheakt abzulassen. Er lachte und klopfte Justin auf die Schulter.

»Schau mal, wenn dir soviel daran liegt, dich an ihr zu rächen…«

»Ich möchte mich an beiden rächen.«

»Na schön, an beiden. Ich werde Forbes bitten, sich etwas auszudenken. Ich nehme an, er ist doch hier?«

»Nein.«

»Ist er nicht zurückgekommen?«

»Noch nicht.«

»Das ist merkwürdig.«

»Oh, ich vermute, daß er und Preston beim Feiern sind.«

Francis war mit der Erklärung zufrieden. »Ich hätte auch nichts gegen einen kleinen Schluck.«

Justin schenkte gerade zwei Glas Whiskey ein, als die im Regen wartenden Sklaven Lärm schlugen. Die beiden Brüder rannten hinaus und sahen Preston Smith ankommen. Er war über und über mit Dreck bedeckt und blickte wild umher. Er stolperte auf Francis zu.

»Ich bin den ganzen Weg gerannt. Man sagte mir, daß Sie hier seien.«

»Preston, was ist los?«

»Der Yankeesoldat hat Forbes getötet.«

Der ohnehin kleine Francis LaMotte schien noch mehr zusammenzuschrumpfen. Preston schmückte die Geschichte noch etwas aus, wagte jedoch nicht, sie allzusehr zu verzerren. Es war offenkundig, daß Forbes und Preston ihren Racheplan verpfuscht hatten, und daß Forbes bekommen hatte, was ihm zustand.

Merkwürdigerweise verspürte Francis kaum Wut. Er fühlte sich alt, müde und geschlagen. Vielleicht würde er später einmal den Kopf von Charles Main haben wollen, aber im Augenblick spürte er bloß müde Trauer.

»Francis?« Justin berührte ihn am Ärmel. »Ich werde mit dir nach Mont Royal gehen.« Er haßte nur schon den Gedanken daran.

Geknickt und gebeugt schüttelte Francis den Kopf. »Ich muß nach Hause. Ich muß es seiner Mutter sagen.«

Er stieg auf sein Pferd und ritt langsam im Regen davon. Die Sklaven folgten ihm im Gänsemarsch.

»Ist es gut, wenn du auf bist?« fragte Orry von der Halle her.

»Ich fühle mich gut«, sagte Madeline. »Besser, als ich mich seit langer langer Zeit gefühlt habe.«

Er glaubte ihr. Obwohl sie außerordentlich blaß war, wirkten ihre Augen wesentlich klarer als vorhin, als er sich mit ihr unterhalten hatte. Er wartete unten an der Treppe auf sie; sie kam herunter und zupfte verlegen an ihrem losen Haar herum.

»Ich muß fürchterlich aussehen.«

»Du siehst herrlich aus.«

»Mein Kleid ist ruiniert.«

»Madeline, das macht doch nichts. Wichtig ist allein, daß du hier bist.«

Er sehnte sich danach, den Arm um sie zu legen, sie an sich zu drücken und zu küssen. Die Sehnsucht schmerzte. Bilder von ihren Treffen bei der Salvation Chapel stiegen vor ihm auf. Er erinnerte sich an den Kampf, den es ihn gekostet hatte, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten oder zu leugnen. Plötzlich stand er wieder mitten in diesem Kampf.

»Ich würde gern nach draußen gehen«, sagte sie.

»Es regnet.«

»Ja, ich habe es gehört, als ich aufgewacht bin. Aber die Luft riecht so herrlich und ist so erfrischend. Ich bin monatelang müde gewesen – konstant müde.«

Und merkwürdig fern, unnahbar, dachte Orry im stillen. Ein Gedanke stieg in ihm auf. »Hast du irgendwelche Medikamente genommen?«

»Was?«

»Medizin. Es gibt bestimmte Mittel, von denen man sich dauernd erschöpft fühlt. Lonzo Sapp ist Justins Hausarzt, nicht wahr?«

»Das stimmt.«

»Hat er dir irgend etwas verschrieben?«

»Ein Sellerietonikum, aber das war schon vor – ach, vor einer Ewigkeit. Das alles liegt so weit zurück, daß ich mich kaum noch erinnern kann, aber ich weiß, daß ich es nur während einigen Wochen eingenommen habe.«