Ashton lehnte an der Wand und starrte zum Fenster hinaus auf die lieblichen Baumwollfelder, durch die die Straße sich hindurchwand. Trotz der allgemeinen Aufregung, die eine solche Reise mit sich brachten, sah sie äußerst attraktiv aus, dachte Huntoon. Er spürte, wie er körperlich reagierte, und erinnerte sich daran, daß er schon seit mehr als einem Monat nicht mehr mit ihr geschlafen hatte. Ashton schien dies offensichtlich nichts auszumachen.
Er räusperte sich. »Liebling? Ich komme nicht mehr weiter. Vielleicht kannst du mir zu einem treffenden Abschluß meiner Denkschrift verhelfen?«
Er hielt ihr das letzte von mehreren eng beschriebenen Blättern hin. Schmollend schlug sie es ihm aus der Hand.
»Ich bin nicht an dem blöden Gequassel interessiert, Jamie.«
Er fühlte, daß seine Erregung wieder nachließ. Ashton sah ihm an, daß sie wohl etwas zu hart gewesen war, und lehnte sich vor, so daß ihre Brust wie zufällig auf seinem Arm zu liegen kam.
»Montgomery wird für uns eine herrliche Erfahrung werden. Es kommt nicht auf die Rhetorik, auf die Philosophie an, sondern auf die Macht, die wir – die du erlangen und einsetzen kannst. Wir haben lange auf diese Gelegenheit gewartet, und wir wollen sie nicht mit sinnlosen Übungen vertrödeln.«
Sie war ganz erregt geworden; der Gedanke an Macht übte jedesmal diese Wirkung auf sie aus. Sollte es ihrem Mann nicht gelingen, sich schnell genug eine hohe Position zu verschaffen, so gab es in Montgomery sicherlich andere Männer, die ihres Wohlwollens würdig waren. In Montgomery oder in Richmond, wie sie sich im stillen korrigierte. Man munkelte bereits davon, daß die Hauptstadt demnächst vom Baumwollgürtel nach Virginia verlegt werden sollte.
Das Gespräch, wie auch eine lange Periode der Abstinenz infolge von Forbes’ frühzeitigem Tod, hatten bei Ashton zu einer sexuellen Spannung geführt. Auch wenn sie ihren Mann nicht besonders mochte, war er doch nicht ganz unbrauchbar.
»Jamie, Jamie – leg das blöde Papier zur Seite. Merkst du denn nicht, daß ich deine Gesellschaft sehr vermißt habe?«
»Wirklich? Das ist mir nicht aufgefallen.«
Doch sein Zynismus war nur von kurzer Dauer. Eine leichte Berührung mit ihrer Hand genügte, um ihn zu erregen. Ashton war etwas über die Intensität und Heftigkeit ihres eigenen Verlangens überrascht.
Er bugsierte sie auf den gegenüberliegenden Sitz; mit der einen Hand drückte er ihren Busen, mit der andern fummelte er unter ihren Röcken an ihrem Bein herum. Ein scheußlich grober Mensch, dachte sie, aber er würde seinen Zweck erfüllen. Mit geschlossenen Augen stellte sie sich einen Galaball vor, bei dem sie Präsident Davis vorgestellt wurde; er war von ihrer Intelligenz und Schönheit völlig hingerissen.
Unterdessen holperte die Kutsche weiter, und Rex kratzte sich am Kopf und lehnte zur Seite. Er wunderte sich sehr über das laute Quietschen und Schreien, das aus der Kutsche zu kommen schien, aber leider war der Blickwinkel zu eng, und er konnte überhaupt nichts sehen.
Am selben Abend stand Elkanah Bent an der Bar im Willard-Hotel. Er schlürfte Whiskey und addierte Zahlen auf einem Fetzen Papier.
Das Ergebnis beglückte ihn. Nach Abzug der Schneiderkosten für seine neuen Uniformen würde ihm gerade genug bleiben, um die Miete für die kleine Wohnung, die er gefunden hatte, zu bezahlen. In letzter Zeit waren in Washington viele schöne Häuser und Wohnungen frei geworden, weil ganze Scharen von verräterischen Offizieren und Beamten nach Hause in den Süden geflüchtet waren.
Es ziemte sich für ihn, etwas Besseres als nur ein Hotelzimmer sein eigen zu nennen. Dank seiner einflußreichen Freunde hatte er es jetzt zum Brevetoberst geschafft, eine für einen Berufsoffizier nicht ungewöhnliche Beförderung in diesen Zeiten hektischer Kriegsvorbereitungen. Bent hoffte inständig, daß der Krieg länger als nur einige Monate dauern würde. General Scott verwies häufig auf ›die verhängnisvolle Unfähigkeit der Südstaatler, sich einigen oder zusammenarbeiten zu können‹. Er sagte voraus, daß dies sich nachteilig auf ihre Armee auswirken würde.
Nun, er hatte später genügend Zeit, sich mit solchen Gedanken zu befassen. Heute abend wollte er feiern: ein gutes Essen und dann Gesellschaft für eine Stunde. Allerdings würde er für letzteres einen Kredit aufnehmen müssen, aber er kannte ein schäbiges schwarzes Bordell, wo so was möglich war.
Der Gedanke an den bevorstehenden bewaffneten Konflikt beflügelte ihn. Blut würde fließen. Tausende und Abertausende würden sterben. Endlich, endlich könnte er seine Talente einsetzen und den Ruhm und Glanz erwerben, die ihm seiner Meinung nach rechtmäßig zustanden.
Und so ganz nebenbei würde er auch noch einige alte Rechnungen begleichen. Es wurmte ihn immer noch, daß er seine Rachepläne in Texas selbst vereitelt hatte. Und nun war dieser verdammte Charles Main, wie so viele andere ehrlose Soldaten, die wirklich nichts anderes verdient hatten, als vor ein Exekutionskommando gestellt zu werden, einfach in den Süden abgehauen. Doch der Krieg hatte seine eigene merkwürdige Art, Schicksale miteinander zu verknüpfen, und vielleicht würde sich doch noch eine Gelegenheit finden, den Mains eins auszuwischen. Er durfte nicht vergessen, daß sie mit einer Frau in Zusammenhang standen, die sich als Weiße auszugeben versuchte, eine Frau, die nicht nur eine Negerin, sondern die Tochter einer Hure aus New Orleans war.
Und was Billy Hazard anbelangte, so würde er seine Wege verfolgen können. Der junge Offizier leistete ja noch Dienst in der Armee. Bent hatte sich dessen bereits im Büro des Generaladjutanten versichert. Er würde sie kriegen, beide Familien. Weder die Mains noch die Hazards würden ahnen, daß Bents Rachegelüste das bevorstehende Chaos überdauern würden. Ihre Dummheit war seine Trumpfkarte.
Er trank seinen Whiskey aus und bestellte sich einen neuen. Er bewunderte sich in seiner schmucken Uniform im Spiegel hinter der Theke. Dann fielen ihm zwei Männer auf, die sich neben ihm laut unterhielten. Der eine vertrat den Standpunkt, daß ein Wiederaufbauplan ausgearbeitet und unverzüglich veröffentlicht werden solle, damit der Süden, das verlorene Schaf, zur Herde zurückkehren könne.
Bent knallte sein Glas auf die Theke. »Wenn Sie das wirklich glauben, Sir, dann gehören Sie auf die andere Seite des Potomac.«
Der Mann war offensichtlich auf eine Diskussion aus. »Unser Herr, Jesus Christus, hat selbst gesagt, daß Barmherzigkeit – «
»Keine Barmherzigkeit«, unterbrach ihn Bent. »Nicht für einen Cent. Niemals!«
Einige der Zuhörer applaudierten. Bents Gesprächspartner merkte, daß seine Ansichten nicht gefragt waren, und schwieg.
Bent plusterte sich vor dem Spiegel auf. Welch herrlicher Tag war das doch gewesen. Ein Mann hatte Glück, wenn er einen Krieg erleben durfte.
Krieg. Gab es überhaupt ein herrlicheres, ein süßeres Wort? Bent fühlte sich so glücklich, daß er dem Barkeeper einen Vierteldollar Trinkgeld hinterließ.
Er stolzierte aus dem Hotel und gab sich einem seiner Lieblingsgedanken hin. Bent und Bonaparte: zwei Namen, die mit demselben Buchstaben anfingen. Kein gewöhnlicher Zufall. Bei Gott, nein. Es war von enormer historischer Bedeutung. Demnächst würde die Welt es zu schätzen wissen.
Wenige Tage später stattete Virgilia in der Gegend der Blue Ridge Hills bei Harper’s Ferry dem namenlosen Grab von Grady einen Besuch ab.
Es war an einem milden, warmen Aprilnachmittag. Sie hatte am Bahnhof eine Kutsche gemietet und am Rand der staubigen Straße am Fuß des mit Ahorn bewachsenen Hügels angehalten. Nachdem sie das Pferd an einem Ast angebunden hatte, war sie den Hügel hinauf marschiert und neben einem von Bäumen umstandenen Grabhügel auf die Knie gefallen.
»O Grady! Grady!«
Sie ließ sich in das noch junge Gras fallen. Mit ihren eigenen Händen hatte sie das Grab ausgehoben, Grady begraben und den Grabhügel geschaufelt. Während der allgemeinen Verwirrung kurz vor Browns Gefangennahme war sie heimlich nach Harper’s Ferry gekommen, hatte Gradys Leichnam gesucht und versteckt. Später hatte ihr eine befreundete Negerin geholfen, den toten Grady hierherzubringen, wo er von niemandem entdeckt und entehrt werden konnte.