Vom Hügel her wehte ihnen ein merkwürdig beißender Geruch entgegen, der einer dünnen, beinahe unsichtbaren Rauchwolke zu entstammen schien. »Was brennt?« fragte sie, als sie beide leicht außer Atem auf dem Hügel angelangt waren. Sie standen mitten in den dichten Lorbeersträuchern, deren Blüten weiß in der Dunkelheit aufleuchteten.
Billy schnupperte. »Ich weiß nicht, aber es scheint nicht weit weg zu sein. Dort unten. Warte hier, ich seh’ mal nach.«
Er kletterte durch die Lorbeersträucher hinunter. Der Rauch wurde etwas dichter und der Brandgeruch intensiver. Noch bevor er den Krater sah, ahnte er ihn bereits; Hitze schlug ihm ins Gesicht. Schließlich sah er die Einschlagstelle im fahlen Licht, einige Meter weit entfernt, ein dunkler Fleck auf der hellen Flanke des Hügels. Den Meteoriten konnte er nicht ausmachen, aber er wußte, daß er dort war.
»Kein Grund zur Beunruhigung«, sagte er, als er wieder oben auf dem Hügel stand. »Die Sternschnuppe, oder ein Stück davon, ist ganz in der Nähe heruntergefallen.«
Sie suchte in seinen Armen Schutz vor ihrer Angst und ihrem Gefühl der Einsamkeit. Natürlich taten George und Constance ihr Möglichstes, damit sie sich wie zu Hause fühlte. Aber sie hatte sich noch nicht wirklich an das Leben in Pennsylvania, an das Tal, an die Leute oder ihre Art gewöhnt. In den Psalmen stand, daß Gott die Fremden beschütze, aber sie zweifelte ein bißchen daran.
Und jetzt konnte sie ihre Gefühle nicht länger für sich behalten.
»Billy, ich habe Angst.«
»Vor dem Krieg?«
»Ja, und auch davor, daß du gehst. Ich habe Angst, weil ich nicht weiß, wo du sein wirst. Ich habe Angst vor den Leuten in der Stadt und davor, wie sie mich manchmal vorwurfsvoll ansehen, weil ich aus dem Süden komme. Ich habe vor allem Angst. Ich schäme mich, es zuzugeben, aber ich kann nicht anders.«
Ihrer Stimme fehlte die Stärke, die Billy immer von ihr erwartete. Sie redete ganz leise, und er bemerkte plötzlich, daß er ebenso viel Angst hatte wie sie. Er wußte nicht, wohin die Armee ihn schicken würde, obwohl er sich einigermaßen vorstellen konnte, welche Art von Pflichten ihn erwartete. Er würde Schanzen instandstellen, Straßen freimachen oder Pontonbrücken für die großen Armeen bauen. Pioniere waren den andern Truppen oft voraus und damit als erste dem feindlichen Feuer ausgesetzt.
»Alles ist so ungewiß«, murmelte Brett. »Es gibt soviel Haß und soviel Vorfreude über das bevorstehende Töten. Manchmal frage ich mich, ob überhaupt jemand überleben kann.«
»Wir lieben uns genug, wir können alles überleben. Unsere Familien ebenfalls. Und das Land auch.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Ja. Einmal, als ich traurig war, hat George mir hiermit geholfen.« Er brach einen Lorbeerzweig ab und legte ihn ihr in die Hand. »Dort, wo andere Pflanzen sterben, gedeiht der Lorbeer. Meine Mutter sagte immer, daß unsere Familie dem Lorbeer gleicht, und ich glaube, dasselbe gilt für deine Familie. Da wir einander fast alle lieben, sind wir stark genug, um alles überleben zu können.«
Sie betrachtete den Zweig mit den kleinen weißen Blüten und steckte ihn dann in eine Tasche ihres Kleids. »Danke.«
Er beugte sich hinunter, um ihr Gesicht zu küssen, und spürte ihre Tränen, aber ihre Stimme klang wieder kräftiger.
»Sobald ich weiß, wo ich stationiert bin, werde ich dir eine Nachricht zukommen lassen. Wir werden dies alles schon irgendwie durchstehen.«
Sie küßte ihn. »Ach, ich liebe dich, Billy Hazard.«
»Ich liebe dich, Brett. Und deshalb werden wir durchkommen.«
Sie küßten sich lange; dann drehte sie sich um und lehnte ihren Rücken an seine Brust. Sie betrachteten die Sterne, während der Frühlingswind über den Hügel hinwegbrauste. Der Lorbeer wogte im Wind und raschelte leise. Billy hatte seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, Gewißheit hatte er nicht. Er wußte wohl, daß die Hoffnung zerbrechlich war.
Auch die Dunkelheit schien ungewiß. Sie wandten ihre Blicke von den Hazard-Werken ab, merkten jedoch bald, daß ihr Licht überall um sie herum war, ein stärker werdendes rotes Glühen, das das ganze Tal zu erfüllen schien. Dahinter wirkten die Lichter der Stadt blaß, und einige waren gar nicht mehr zu sehen.
Billy wollte sich nicht umsehen oder die Existenz der Fabrik zur Kenntnis nehmen, aber es war unumgänglich. Der blutrote Glanz der drei Hochöfen ertränkte die Sterne. Er hörte das Rufen der Männer, die während der Nacht in Rauch und Feuer arbeiteten, und den ohrenbetäubenden Lärm der auf Hochtouren laufenden Maschinen.
Für einen Augenblick schloß er die Augen. Umsonst. Scharlachrote Lichtwellen überfluteten Haar und Schultern seiner Frau. Der Wind hatte umgeschlagen und trug jetzt den Qualm und Rauch der Hazard-Werke zu ihnen herüber. Das Tal und die ganze Welt schienen vom Gehämmer der Maschinen zu widerhallen, welche die ersten Tonnen Eisen für die Waffen, für die Union, für den Krieg ausspuckten. Der Wind vermischte den Rauch des Eisenwerks mit dem Rauch des Meteoriten, der den Lorbeer auf der Hügelflanke weggefressen hatte, als ob dort nie etwas gewesen wäre.
Die Sklaverei bringt das Strafgericht des Himmels über ein Land. Da die Nationen nicht in einer andern Welt belohnt oder bestraft werden können, muß es in dieser Welt geschehen.
George Masonaus Virginia 1787
Nachwort
Die Erben Kains ist der erste Roman einer Trilogie über eine Gruppe von Amerikanern, die in den Strudel der Ereignisse vor, während und nach dem Bürgerkrieg hineingerissen wurden.
Gewisse Leute vertreten die Ansicht, der Wilde Westen bilde das Kernstück der amerikanischen Geschichte. Zweifellos ist es der Teil unserer Geschichte, der am meisten verherrlicht worden ist. Doch für viele Amerikaner ist und bleibt der Bruderkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten das zentrale Erlebnis der Geschichte unserer Republik.
Wie Richard Pindell, Professor an der State University of New York, in einem Artikel über ›Vom Winde verweht‹ schreibt, ist der Bürgerkrieg in allererster Linie ›unser ureigenster Krieg‹. Die Ursachen liegen lange vor Jefferson bei den ersten weißen Spekulanten, die an unserer Ostküste Fuß faßten, und die Auswirkungen werfen mit unverminderter Kraft ihren stürmischen Abglanz auf die fünfziger, sechziger, siebziger und achtziger Jahre unseres Jahrhunderts.
Die grundlegenden Probleme der Sklaverei und der Sezession haben Glanz, Elend und Mythen hervorgebracht. Robert Penn Warren bemerkt irgendwo, der Krieg sei für den Norden ein Unterpfand der Selbstgerechtigkeit und für den Süden ein großes Alibi gewesen. Er hat auch den Schwarzen Amerikas, wenn nicht die De-facto-Freiheit, so doch die gesetzlichen Grundlagen dafür vermittelt. Amerikanische Familien zu beiden Seiten der Mason-Dixon-Linie bescherte er mit ungefähr 600.000 Toten.
Historiker sagen, daß unsere Nation mit dem Krieg mündig geworden ist. In der kurzen Zeitspanne von 1840-1860 haben wir mehr über uns und über die amerikanische Gesellschaft gelernt als in all den Jahren seit der Ankunft der ersten Siedler. Mehr als wir vielleicht wissen wollten.
Und doch übt dieser Zeitraum unsrer Geschichte immer wieder eine gewisse Faszination auf uns aus. Die großen Schlachten werden in Büchern, Zeitungsartikeln, Klassenzimmern und Diskussionsrunden nachvollzogen. Manchmal sinnen wir über die warnenden Lektionen nach, manchmal schieben wir sie beiseite, und oft müssen wir feststellen, daß wegen der zentralen Probleme jener Zeit auch heute noch Blut in unsern Straßen vergossen wird. Diese Macht vergangener Ereignisse mit ihren manchmal tragischen Auswirkungen auf unsere heutige Zeit haben mich letztlich zu einer Auseinandersetzung mit diesem Thema bewogen, wie dies schon viele Schriftsteller und Akademiker vor mir getan haben.