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Charles schenkte sich einen großzügigen Gin ein, kippte ihn in zwei Schlucken, küßte Jeanne und eilte zum Schuppen. König Sebastian hielt vor der Tür Wache. Als er eintrat, sah er, wie die vier Männer dem Mädchen wütende Blicke zuwarfen. Ihr Knebel war heruntergerutscht. Sie hätte schreien können.

Sie starrte Charles wieder mit der ihr eigenen Intensität an, und endlich verstand er. Vielleicht hatte er sie bereits die ganze Zeit über verstanden, dies aber aus Schuldgefühlen und Rücksichtnahme auf Jeanne nicht wahrhaben wollen. Abrupt wandte er sich um und rannte in die gleißende Sonne hinaus. Der Sklavenhandel mit Indianern wurde langsam zu gefährlich. Auch am nächsten Morgen, als er verspätet zu seiner Reise aufbrach, hing er diesem Gedanken nach, der ihn auch auf den sumpfigen Pfaden bis zum Küstengebiet nicht losließ – als würde ein Kobold auf seinen Schultern mitreiten.

Die Verkaufsstelle befand sich in der Nähe der Palisade, die Charles Town umzäunte. Der Platz war sorgfältig ausgewählt worden, nicht so nah, daß man ihn leicht hätte entdecken können, und nicht so weit abseits, daß es in der Dunkelheit gefährlich gewesen wäre hinzugehen. Man konnte ihn in einem Zehn-Minuten-Ritt entlang des Cooper erreichen. Ein halbes Dutzend Männer hatte sich bereits eingefunden, alles ›snobistische Anglikaner‹, wie Charles sie insgeheim nannte. Es waren Plantagenbesitzer aus dem Distrikt, die alle auf eine reiche Ernte hofften, um damit die Träume aus ihrer Einwanderungszeit zu verwirklichen. Doch bis dahin waren ihre Anstrengungen erfolglos geblieben. Die ganze Kolonie war ein mißlungenes Unterfangen. Trotzdem behaupteten sie nach wie vor, daß das Leben in Carolina in mancher Hinsicht ideal sei. Sie nahmen den neuesten Stadtklatsch durch. Sie beglückwünschten Charles zu seinem Angebot, hielten sich aber nicht zu nahe bei ihm auf. Sein Geruch und seine Herkunft waren für sie eine Beleidigung.

Der aus Palmettoscheiten gezimmerte Verkaufstisch war von Fackeln umsäumt, die ein rauchiges Licht abgaben. Die Versteigerung wurde von einem dieser ehrwürdigen Herren durchgeführt, dafür erhielt er einen bestimmten Prozentsatz der Gesamtverkaufssumme. Charles hatte gehört, wie sich der Mann in der Stadt über die Übel des Indianerhandels ausgelassen hatte. Solches Gerede war üblich. Die meisten der Anwesenden hatten mindestens schon einen Indianer besessen. Sie verurteilten die Versklavung von Menschen nicht, sie befürchteten höchstens eine mögliche Beeinträchtigung des Indianerhandels für den Fall, daß sich die verschiedenen Stämme einmal einmütig zur Wehr setzten. Sie hatten Angst vor einem Indianeraufstand, aber das hinderte sie nicht daran, an diesem Abend dabeizusein. Verdammte Heuchler, dachte Charles.

Die vier Indianer wurden einer nach dem andern verkauft. Der Preis stieg. Charles stand abseits, und sein Zorn schwand zusehends, als er – eine Tonpfeife rauchend – seinen Gewinn betrachtete. Er hörte den Gesprächen zu. Einer der Männer erwähnte, daß er seinen neuerworbenen Sklaven zur Abhärtung nach Westindien schicken würde, um den Willen des Mannes zu brechen. Ein anderer erörterte die neuen Erleichterungen beim Erwerb von Land, das an Flüsse und Bäche grenzte.

»Ja, aber was nützt Grundbesitz, wenn man die Pacht nicht bezahlen kann und es keine Ernte gibt, die anstelle von Bargeld angenommen wird?«

»Vielleicht gibt es jetzt eine Ernte«, sagte der erste Mann, der auffällig an einem kleinen prallen Sack herumhantierte. Die andern traten neugierig hinzu. Auch Charles rückte etwas näher, um zuzuhören. Die Auktion wurde unterbrochen, während der Mann eine an ihn gerichtete Frage beantwortete. »Dies sind Samen. Aus Madagaskar. Von derselben Sorte, wie sie in den überbewässerten Stadtgärten so prächtig gedeiht.« Ein Mann zeigte aufgeregt auf den Samen. »Ist das jener Reis, den Captain Thurber letztes Jahr Dr. Woodward gegeben hat?« Thurber war der Kapitän eines kleinen Zweimasters, der in Charles Town überholt wurde. Charles hatte gehört, daß Reis mitgebracht worden war.

Der Mann steckte die Körner sorgfältig in seine Tasche. »Genau. Reis wächst in nassem Boden – das heißt, er ist darauf angewiesen. In der Stadt ist man ganz begeistert, weil er so vielseitig verwendbar ist. Alle wollen jetzt plötzlich Land kaufen, und es scheint, als sei für diese verdammten Sümpfe endlich eine ertragbringende Verwendung gefunden.«

Der Mann, der Zweifel hegte, meldete sich mit einer weiteren Frage. »Ja, aber welcher weiße Mann hält die Arbeit in Sumpf und Morast aus?«

»Kein einziger, Manigault. Dazu braucht es Männer, die an große Hitze und beinahe unerträgliche Arbeitsbedingungen gewöhnt sind.« Der Redner machte eine Kunstpause. »Afrikaner – und zwar bedeutend mehr, als derzeit in der Kolonie sind.«

Charles de Main hatte in Frankreich wegen seiner Religion schweres Leiden auf sich genommen. Die Heuchelei der Kirche, die Intrigen und Gemeinheiten von Leuten wie Emilion, und die Grausamkeiten, denen Jeanne ausgesetzt gewesen war, hatten jedoch seinen Glauben, der ihn ja in diese Feuerprobe geführt hatte, beinahe zerstört. Es war sein Wille gewesen, und nicht eine höhere Macht, der ihn trotz der glühenden Eisen der Folterer am Leben erhalten hatte. Zwar glaubte er immer noch an ein höheres Wesen, doch das Bild, das er sich davon machte, hatte sich geändert: Gott war gleichgültig. Er hatte keinen wohlwollenden Plan für den Kosmos oder dessen Kreaturen, wahrscheinlich hatte er überhaupt keinen Plan. Ein Mann sollte sich deshalb ausschließlich auf sich selbst verlassen. Sicher schadete es nicht, wenn man Gott ab und zu höflich die Ehre erwies, so wie man das auch mit einem altersschwachen Onkel tat, doch wenn es um die eigene Zukunft ging, tat ein weiser Mann besser daran, sein Geschick in die eigenen Hände zu nehmen. Und doch geschah in dieser vom Feuer erhellten Lichtung, inmitten eines großen dichten Waldes mit dampfender, warmer Erde und Vogelgeschrei plötzlich etwas Merkwürdiges mit Charles. Sein alter Glaube flammte unvermutet mit ungeahnter Kraft wieder auf. Einen Augenblick lang spürte er intensiv die Anwesenheit einer außerirdischen Kraft, die ihn in genau diesem Augenblick an genau diese Stelle geführt hatte. Und in diesem Augenblick gab er seinem Leben eine neue Richtung. Nicht einen Schilling von seinem Verdienst würde er wieder in die Handelsstation investieren. Was immer er auch einem jener Winkeladvokaten zahlen mußte, um zu erfahren, wie er hier, näher am Meer, ein Stück Land pachten könnte, er würde es bezahlen. Er wollte noch mehr über die Samen aus Madagaskar in Erfahrung bringen. Er war ein Mann, der das Land bearbeitet hatte, und wenn er Wein anbauen konnte, dann auch Reis. Doch das Hauptproblem blieb die Feldarbeit. Charles kannte die Ungastlichkeit dieser Landstriche. Er würde es nicht einen Monat aushalten, brusttief in verseuchtem Wasser zu arbeiten, ganz abgesehen von den Alligatoren. Die Antwort war klar: ein Negersklave. Zwei, wenn sein Verdienst ihm das gestatten würde. Mit der verzerrten Logik von jemandem, der sich schuldig fühlt und den Beweis zu seiner Entlastung erbringen muß, hatte Charles sich bis jetzt immer als einen Mann betrachtet, der zwar Sklaven verkaufte, ohne jedoch das System unterstützen zu wollen. In seinem Innersten schreckte er davor zurück. Überdies wußte er nie, was mit den Indianern, die er verkaufte, eigentlich geschah. Vielleicht – so rechtfertigte er sich mit einiger Spitzfindigkeit – wurden sie später vom Besitzer freigelassen? Doch jetzt konnte er sich kein Gewissen mehr leisten. Er selbst mußte mindestens einen erstklassigen Neger sein eigen nennen können. Es war eine Frage der Wirtschaftlichkeit, des Überlebens. Ein Mann tat, was er tun mußte.