…In zukünftigen Kriegen muß die Nation ihr Augenmerk auf die Militärakademie richten; dort findet sich das Talent, das Heldenmut zum Sieg führt.
John C. Calhoun, US-Kriegsminister, zu Sylvanus Thayer Direktor der US-Militärakademie1818
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»Hilfe gefällig, um das an Bord zu bringen, junger Herr?« Der Stauer lächelte zwar, aber in seinen Augen war keine Spur von Freundlichkeit, sondern reine Geldgier. Kurz vorher hatte der Fahrer des Astor House Passagier-Wagens den zerbeulten Koffer auf den Pier geschmissen. Orry hatte ihn an dem einzigen noch unbeschädigten Seilgriff gepackt und sorgfältig einige Meter weit geschleppt, bevor der Stauer sich zwischen ihn und das Fallreep gestellt hatte.
Es war ein herrlicher, windstiller Morgen im Juni 1842. Orry war bereits nervös wegen des ihm bevorstehenden Tages, und das falsche Lächeln des Stauers sowie dessen kalter Blick trugen nicht eben zur Besserung seiner Stimmung bei. Genausowenig wie der Anblick der beiden lässig in der Nähe stehenden Kumpane. Nervosität und Feigheit sind jedoch nicht ein und dasselbe, und Orry hatte nicht die geringste Absicht, den ersteren in letzteren Zustand überwechseln zu lassen. Man hatte ihn davor gewarnt, daß es in New York nur so von Schwindlern aller Art wimmelte, und offensichtlich war er jetzt einem von ihnen begegnet. Er nahm seinen großen, feschen Filzhut ab und wischte sich die Stirn mit einem Leinentaschentuch, das er dem Innenband des Huts entnahm.
Orry Main war sechzehn Jahre alt und fast einen Meter neunzig groß. Seine Schlankheit unterstrich seine Größe und verlieh seinen Bewegungen eine gewisse Anmut. Er hatte ein langgezogenes, ebenmäßiges Gesicht und einen Teint, der verriet, daß er sich viel in der Sonne aufhielt. Seine Nase war schmal und aristokratisch, seine braunen Haare leicht gewellt. Die ebenfalls braunen Augen lagen eher tief. Wenn er nicht gut geschlafen hatte, so wie vergangene Nacht, zeigten sich Ringe unter den Augen. Diese Schatten verliehen seinem Gesicht einen Anstrich von Melancholie. Von Natur aus war er jedoch nicht melancholisch, wie sein häufiges Lächeln bewies. Trotzdem war er ein eher bedächtiger junger Mann, der meistens innehielt, um erst mal nachzudenken, bevor er eine wichtige Entscheidung traf. Der Stauer setzte ungeduldig einen Fuß auf den Koffer. »Mann, ich habe Sie gefragt, ob…«
»Ich habe Sie verstanden, Sir; ich kann selbst mit dem Koffer fertig werden.«
»Man höre sich das an«, spottete einer der andern beiden Stauer. »Woher kommst du denn, Bauer?« Es war Orrys Akzent, der ihn verriet, denn seine Kleider sahen nicht aus, als ob er vom Land käme. »Aus South Carolina.« Sein Herz klopfte. Die drei Männer waren stark und derb. Aber er wollte nicht klein beigeben. Er langte nach dem Griff. Der erste Stauer packte ihn am Handgelenk.
»O nein, entweder wir bringen ihn aufs Schiff, oder Sie reisen ohne den Koffer nach West Point.«
Orry war verblüfft, sowohl über die Drohung als auch über die Leichtigkeit, mit der man sein Reiseziel erkannt hatte. Er brauchte Zeit, um nachzudenken, Zeit, um sich zu sammeln, damit er besser mit diesen Lümmeln umgehen konnte. Er schüttelte die Hand des Stauers ab und setzte seinen Hut wieder auf. Drei weibliche Passagiere, zwei hübsche Mädchen und eine ältere Dame, hasteten vorbei. Die konnten ihm sicher nicht helfen. Dann kam ein kleiner uniformierter Mann über die Gangway, wahrscheinlich ein Schiffsbeamter. Ein knapper Wink des Stauers genügte, und der Beamte blieb stehen.
»Wieviel kostet das Verladen?« fragte Orry. Irgendwo hinter ihm klapperten Pferdehufe über das Pflaster und Wagenräder kreischten. Er hörte Gelächter, fröhliche Stimmen. Weitere Passagiere.
»Zwei Dollar.«
»Das ist etwa achtmal zuviel.«
Der Stauer grinste. »Mag sein, schlauer Bursche, aber das ist der Preis.«
»Wenn’s dir nicht paßt, dann geh und beklag dich beim Bürgermeister«, sagte der zweite Stauer. »Beklag dich doch bei Bruder Jonathan.« Die drei lachten. Im Volksmund nannte man den Staat Bruder Jonathan.
Orry schwitzte vor Nervosität und Hitze. Er bückte sich, um erneut nach dem Koffer zu greifen. »Ich weigere mich, Ihnen auch nur einen – « Der erste Stauer rempelte ihn an. »Dann bleibt der Koffer eben hier.«
Orry versuchte, seine Angst hinter einem strengen Blick zu verbergen. »Sir, fassen Sie mich nicht wieder an.« Doch die Worte bewirkten genau das Gegenteil. Ungeschickt versuchte der Stauer, Orry zu schütteln. Als Antwort rammte Orry dem Stauer die Faust gezielt in den Magen.
»Aufhören!« rief der Beamte und kam auf sie zu. Der zweite Stauer stieß ihn so unsanft zurück, daß er beinahe im Wasser gelandet wäre. Der erste Stauer packte Orry an den Ohren. Dann stieß er ihm das Knie in die Leistengegend. Orry taumelte rückwärts und prallte gegen jemanden, der offenbar in der Zwischenzeit hinzugetreten war und jetzt um Orry herumflitzte und mit geballten Fäusten auf die drei Stauer losstürmte. Ein junger Mann, kaum älter als Orry, wie dieser feststellte, als er sich wieder an der Schlägerei beteiligte. Ein kurzgewachsener, untersetzter Kerl, der scharfe Schläge austeilte. Orry sprang vor, schlug eine Nase blutig und erhielt dafür Kratzspuren von Fingernägeln auf die Wangen. Offenbar kämpfte man in den Docks wie in den Pionierzeiten. Der erste Stauer versuchte, seinen Daumen in Orrys Augen zu bohren, doch bevor er sein Ziel erreichen konnte, kam ein langer, mit einem Goldknauf versehener Spazierstock von rechts dazwischen. Der Knauf sauste auf die Stirn des Stauers nieder, der aufschrie und rückwärts taumelte.
»Schufte!« brüllte ein Mann. »Wo bleiben die Ordnungshüter?«
»William, reg dich bitte nicht auf«, sagte eine Frau. Der untersetzte junge Mann sprang auf Orrys Koffer und wartete gelassen auf die Fortsetzung des Kampfes. Zwei Besatzungsmitglieder des Dampfers hatten sich nun zu dem Beamten gesellt. Die Stauer traten etwas zurück, betrachteten die veränderte Lage und entfernten sich eilends vom Pier, nicht ohne noch einige Flüche auszustoßen, die die Atemfrequenz der beiden eben angekommenen Damen beträchtlich beschleunigten.
Orry holte tief Luft. Der junge Mann sprang vom Koffer herunter. Seine eleganten Kleider waren kaum in Unordnung geraten. »Ich danke Ihnen sehr für Ihre Hilfe, Sir.« Die Höflichkeit gestattete Orry, seine Nervosität gegenüber den Yankees – und offensichtlich wohlhabenden Yankees – zu verbergen.
Der junge Mann grinste. »Fast hätten wir sie geschlagen.«
Auch Orry lächelte. Sein Gegenüber reichte ihm knapp bis an die Schulter. Obwohl er nicht dick war, machte sein Körper einen massigen Eindruck. Sein Gesicht hatte die Form eines großen U. Er hatte seinen Hut verloren, und das braune Haar – es war etwas heller als dasjenige von Orry – wies einige sonnengebleichte Strähnen auf. Die blaßblauen Augen wirkten nicht streng, sondern strahlten einen humorvollen Glanz aus. Auch das Lächeln erweckte diesen Eindruck, obwohl jemand, der den jungen Mann nicht mochte, es sicher als frech bezeichnet hätte.
»Wir haben sie geschlagen«, sagte Orry.
»Unsinn«, sagte ein beleibter, bläßlich aussehender Mann, der drei oder vier Jahre älter war als Orrys Retter. »Sie hätten beide verletzt oder gar getötet werden können.«
Der junge Mann wandte sich Orry zu. »Das gefährlichste, das mein Bruder je tut, ist Fingernägel schneiden.« Die Frau, die sich vorher bemerkbar gemacht hatte, klein, etwa in den Vierzigern, sagte: »George, bitte, sei nicht unverschämt Stanley gegenüber. Er hat recht. Du bist viel zu waghalsig.«
Es handelte sich also offensichtlich um eine Familie. Orry tippte mit den Fingern an den Hutrand. »Ob wir nun gewonnen oder verloren haben, Sie alle haben mich aus einer mißlichen Lage befreit. Nochmals meinen Dank.«
»Ich helfe Ihnen mit dem Koffer«, sagte George. »Sie nehmen wohl dieses Schiff?«
»Ja, zur Militärakademie.«
»Sind Sie dieses Jahr einberufen worden?«