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Niemand sonst war unterwegs. »Ist mein Großvater schon unten?«, fragte ich und blieb auf der Schwelle des Portals stehen. Wie das Hauptportal und die Palastaufzüge bestand es aus schwarzen Fliesen, die im Boden eingelassen waren — ein Mosaik, das ein Siegel der Götter formte. Es hatte starke Ähnlichkeit mit einem riesigen Spinnennetz, das aus Rissen im Boden geformt wurde, und diese Assoziation war so unangenehm, dass ich schneller als sonst wegschaute.

»Wahrscheinlich«, sagte T’vril. »Er ist gerne zeitig vor Ort. Nun, Lady Yeine, denkt daran: Ihr dürft vor dem Konsortium nicht sprechen. Die Arameri sind nur Ratgeber für die Adligen, und nur Dekarta hat das Recht, sie anzusprechen. Er tut das nicht oft. Ihr dürft auch nicht mit ihm sprechen, solange Ihr dort seid. Eure Aufgabe ist es, zu beobachten und beobachtet zu werden.«

»Und ... vorgestellt?«

»In aller Form? Nein, das wird erst später geschehen. Aber sie werden Euch wahrnehmen, keine Sorge. Dekarta muss darüber kein Wort verlieren.«

Mit diesen Worten nickte er, und ich betrat das Mosaik.

Einen verschwommenen, beängstigenden Übergang später befand ich mich in einem schönen Raum voller Marmor und stand auf einem Mosaik aus Schwarzholz-Intarsien. Drei Gehilfen des Konsortiums — diesmal nicht ganz so grün hinter den Ohren und auch nicht so überrascht — standen dort, um mich zu begrüßen und zu begleiten. Ich folgte ihnen durch einen schattigen Gang und eine mit Teppich ausgelegte Rampe hinauf in die Privatloge der Arameri.

Dekarta saß auf seinem angestammten Platz und drehte sich bei meiner Ankunft nicht um. Scimina saß zu seiner Rechten. Sie sah sich um und lächelte mir zu. Es gelang mir, sie nicht anzustarren, was allerdings einiger Anstrengung meinerseits bedurfte. Ich war mir der versammelten Adligen sehr bewusst, die im Plenarsaal des Salons herumliefen, während sie darauf warteten, dass der Aufseher die Sitzung eröffnete. Ich sah mehr als nur ein paar Blicke, die sich auf die Privatloge richteten — sie beobachteten uns.

Also neigte ich meinen Kopf grüßend in Seiminas Richtung, obwohl ich mich nicht dazu durchringen konnte, ihr Lächeln zu erwidern.

Zwei Stühle auf der linken Seite Dekartas waren noch frei. Ich nahm an, dass der Sitz, der sich direkt neben ihm befand, für meinen bisher noch nicht in Erscheinung getretenen Cousin Relad reserviert war, und ging auf den hinteren der beiden zu. Dann bemerkte ich Dekartas Handbewegung — er sah mich nicht an, aber er winkte mich heran. Also nahm ich stattdessen auf dem Stuhl an seiner Seite Platz, gerade noch rechtzeitig, denn der Aufseher rief die Versammlung zur Ordnung.

Diesmal widmete ich den Vorgängen mehr Aufmerksamkeit. Man ging nach den Regionen vor und begann mit den Senmite- Nationen. Jede Region hatte ihren Vertreter, Adlige, die vom Konsortium dazu bestimmt wurden, für sich selbst und die benachbarten Länder zu sprechen. Die Fairness dieser Vertretungen unterschied sich jedoch beträchtlich, und es erschloss sich mir beim besten Willen nicht, wie sie geregelt wurden. Die Stadt Elysium hatte zum Beispiel ihren eigenen Vertreter — alle Staaten des Hochnordkontinents zusammen dagegen nur zwei. Das Letztere überraschte mich nicht, Hochnord war noch nie gut angesehen gewesen. Uber das Erstere war ich schon eher erstaunt, denn keine andere Stadt hatte ihren eigenen Sprecher. So wichtig war Elysium nun auch wieder nicht.

Aber im Verlauf der Sitzung wurde mir klar, dass ich etwas missverstanden hatte. Als ich genau darauf achtete, welche Verordnungen der Vertreter Elysiums einbrachte und unterstützte, wurde mir klar, dass er nicht nur für die Stadt Elysium, sondern auch für den Palast Elysium sprach. Das machte die Sache dann verständlich, wenn auch ungerecht, denn Dekarta hatte sowieso schon die Befehlsgewalt über die ganze Welt. Das Konsortium existierte doch nur, um die hässliche Schmutzarbeit der Weltregierung zu erledigen, mit der die Arameri sich nicht abgeben wollten. Jeder wusste das. Worin lag nun der Sinn, in einem Regierungsgremium überrepräsentiert zu sein, das von Anfang an nur ein vorgeschobenes Marionettentheater war?

Aber vielleicht verhielt sich das bei Machthabern einfach so: Nichts kann je zu viel sein.

Ich fand die Vertreter Hochnords viel interessanter. Bisher hatte ich noch keinen von ihnen getroffen, obwohl ich mich daran erinnern konnte, dass der Rat der Darrekrieger sich über sie beschwert hatte. Die erste, Wohi Ubm — ich glaube, der zweite Name war eine Art Titel — stammte aus der größten Nation des Kontinents, einem verschlafenen Bauernland namens Rue. Vor der Hochzeit meiner Eltern war es einer der stärksten Verbündeten der Darr gewesen. Danach kam jegliche Korrespondenz, die wir dorthin schickten, ungeöffnet zurück, was nicht gerade für mein Volk spricht. Ich merkte, dass sie mich während der Sitzung ab und zu anschaute und sich dabei ausgesprochen unwohl fühlte. Wäre ich eine hübschere Frau, hätte ich ihr Unbehagen wohl amüsant gefunden.

Die andere Hochnorderin war Ras Onchi, eine ehrwürdige Älteste, die für die östlichen Königreiche und die inneren Inseln sprach. Sie sagte nicht viel, da sie eigentlich schon längst das Alter erreicht hatte, in dem man sich zur Ruhe setzt, und es gab Gerüchte, dass sie auch schon ein wenig senil war. Trotzdem war sie eine der wenigen Adligen im Plenarsaal, die mich fast die ganze Sitzung hindurch offen anstarrte. Ihr Volk war mit meinem verwandt, und wir hatten ähnliche Sitten, und so starrte ich, um meinen Respekt zum Ausdruck zu bringen, zurück, was sie zu erfreuen schien. Sie nickte einmal exakt in dem Moment, als Dekartas Gesicht abgewandt war. Ich wagte es nicht, zurückzunicken, da so viele Augen jede meiner Bewegungen genau beobachteten, aber die Geste faszinierte mich dennoch.

Dann war die Sitzung vorüber, und der Aufseher brachte mit einem Glockenläuten das Tagesgeschäft zum Abschluss. Ich bemühte mich, nicht erleichtert auszuatmen, weil das Ganze doch fast vier Stunden gedauert hatte. Ich hatte Hunger, musste dringend die Damentoilette aufsuchen und warte unruhig darauf, mir die Beine vertreten zu dürfen. Trotzdem tat ich es Dekarta und Scimina gleich und erhob mich erst dann, als sie es taten, ging in demselben, gemäßigten Schritt hinaus und nickte höflich, als sich eine ganze Phalanx von Gehilfen auf uns stürzte, um uns zu begleiten.

»Onkel«, sagte Scimina, als wir zu dem Mosaikzimmer zurückgingen, »vielleicht würde Cousine Yeine gerne im Salon herumgeführt werden? Sie hat doch bisher sicherlich nicht viel davon gesehen.«

Nichts auf der Welt hätte mich nach dieser gönnerhaften Bemerkung dazu veranlassen können, dem zuzustimmen. »Nein danke«, sagte ich mit einem erzwungenen Lächeln. »Aber ich wüsste gerne, wo sich die Damentoilette befindet.«

»Oh ... hier entlang, Lady Yeine«, sagte einer der Gehilfen, trat beiseite und gestikulierte, dass ich vorgehen möge.

Ich blieb stehen und bemerkte, dass Dekarta weiterging, ohne sich anmerken zu lassen, ob er mich oder Scimina gehört hatte. So lief das hier also. Ich neigte meinen Kopf in Seiminas Richtung, die ebenfalls stehenblieb. »Es ist nicht notwendig, auf mich zu warten.«

»Wie du willst«, sagte sie und drehte sich anmutig herum, um Dekarta zu folgen.

Ich folgte dem Gehilfen durch den längsten Korridor der Stadt — wenigstens fühlte er sich so an, weil jetzt, da ich mich in aufrechter Haltung befand, meine Blase darauf bestand, möglichst rasch geleert zu werden. Als wir endlich den Raum erreichten — auf der Tür stand Privat in Senmite, was meiner Meinung nach heißen sollte Nur für die höchstrangigen Gäste des Salons —, bedurfte es all meiner Willenskraft, dass ich nicht äußerst würdelos in die fast zimmergroße Kabine stürzte.