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»He, ich dachte schon, er würde gar nicht mehr gehen«, sagte Si’eh und grinste mich von der Mitte meines Bettes aus an.

Ich atmete langsam und tief ein. »Guten Tag, Lord Si’eh.«

Er schmollte, ließ sich nach vorne auf seinen Bauch plumpsen und betrachtete mich über seine verschränkten Arme hinweg. »Du bist nicht begeistert, mich zu sehen.«

»Ich frage mich, womit ich diese Aufmerksamkeit eines Gottes der Spielchen und Streiche verdient habe.«

»Ich bin kein Gott, du erinnerst dich?« Er machte ein finsteres Gesicht. »Nur eine Waffe. Das Wort war passender, als du dir vorstellen kannst, Yeine, und es bereitet den Arameri Schmerzen, es zu hören. Kein Wunder, dass sie dich als Barbarin bezeichnen.«

Ich setzte mich in den Lesesessel neben dem Bett. »Meine Mutter sagte oft, dass ich zu direkt bin«, sagte ich. »Warum bist du hier?«

»Brauche ich einen Grund? Vielleicht bin ich einfach gerne bei dir.«

»Ich würde mich geehrt fühlen, wenn es so wäre«, erwiderte ich.

Er lachte, hell und sorglos. »Es ist wahr, Yeine, ob du es glaubst oder nicht.« Er stand auf und hüpfte auf dem Bett herum. Der Gedanke, ob man jemals versucht hatte, ihm einen Klaps zu geben, schoss mir flüchtig durch den Kopf.

»Aber?« Ich war sicher, dass es ein »Aber« gab.

Er hörte nach seinem dritten Sprung auf und warf mir verschwörerisch grinsend einen Blick über die Schulter hinweg zu. »Aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich hergekommen bin. Die anderen haben mich geschickt.«

»Aus welchem Grund?«

Er hopste vom Bett, kam zu meinem Sessel, legte die Hände auf meine Knie und beugte sich zu mir herüber. Er grinste immer noch, aber in seinem Lächeln lag wieder dieses undefinierbare Etwas, das nicht kindlich war. Uberhaupt nicht kindlich.

»Relad wird sich nicht mit dir verbünden.«

Mein Magen krampfte sich besorgt zusammen. War er die ganze Zeit hier gewesen und hatte meine Unterhaltung mitT’vril belauscht? Oder war meine Uberlebensstrategie so dermaßen offensichtlich? »Bist du dir da sicher?«

Er zuckte mit den Schultern. »Wieso sollte er? Du bist für ihn nicht von Nutzen. Er hat genug mit Scimina zu tun und kann sich keine Ablenkungen leisten. Der Zeitpunkt der Nachfolge ist fast greifbar.«

Etwas Ähnliches hatte ich mir selber schon gedacht. Das war mit ziemlicher Sicherheit auch der Grund, warum er mich hergeholt hatte. Deswegen hatte die Familie wahrscheinlich ihren hauseigenen Schreiber. Er sollte sicherstellen, dass Dekarta nicht außerplanmäßig starb. Es könnte sogar der Grund für den Mord an meiner Mutter zu ausgerechnet diesem Zeitpunkt sein, nachdem sie zwanzig Jahre in Freiheit gelebt hatte. Dekarta hatte nicht mehr viel Zeit, um seine Angelegenheiten zu ordnen.

Plötzlich kletterte Si’eh zu mir auf den Sessel und setzte sich rittlings auf meinen Schoß, seine Knie ruhten neben meinen Hüften. Ich zuckte überrascht zusammen und gleich noch einmal, als er sich gegen mich fallen ließ und seinen Kopf an meine Schulter legte.

»Was machst du ...?«

»Bitte, Yeine«, flüsterte er. Ich spürte, wie seine Finger sich an meinen Seiten in den Stoff meiner Jacke krallten. Das war die Geste eines trostsuchenden Kindes, und ich konnte nicht anders, die Starre wich aus meinem Körper. Er seufzte, kuschelte sich noch dichter an mich und genoss mein schweigendes Einverständnis. »Lass mich nur einen Moment so sitzen.«

Und so saß ich bewegungslos da und stellte mir viele Fragen.

Ich dachte schon, dass er eingeschlafen sei, als er endlich sprach.

»Kurue — meine Schwester Kurue, unsere Anführerin, insoweit wir eine haben — lädt dich zu einem Treffen ein.«

»Warum.«

»Du suchst Verbündete.«

Ich schubste ihn, und er setzte sich aufrecht auf meine Knie. »Was willst du damit sagen? Bietet ihr euch an?«

»Vielleicht.« Der verschlagene Blick war wieder da. »Du wirst dich mit uns treffen müssen, um es herauszufinden.«

Ich kniff meine Augen zusammen und hoffte, dass das ein einschüchternder Anblick war. »Wieso? Wie du schon sagtest, ich bin nutzlos. Was hättet ihr von einem Bündnis mit mir?«

»Du hast etwas sehr Wichtiges«, sagte er ernsthaft. »Wir könnten dich zwingen, es uns zu geben, aber das wollen wir nicht. Wir sind keine Arameri. Du hast bewiesen, dass du Respekt verdienst, und deshalb werden wir dich darum bitten, es uns freiwillig zu überlassen.«

Ich fragte nicht, was sie wollten. Das war ihr Verhandlungsdruckmittel, und sie würden es mir sagen, wenn ich bei ihnen war. Allerdings war ich rasend neugierig — und aufgeregt, weil er recht hatte. Die Enefadeh wären mächtige, erfahrene Verbündete, trotz ihrer Einschränkungen. Aber ich wagte es nicht, meinen Eifer zu zeigen. Si’eh war längst nicht so kindlich oder neutral, wie er vorgab.

»Ich werde ein Treffen mit euch in Erwägung ziehen«, sagte ich in meinem würdevollsten Tonfall. »Bitte lasst Lady Kurue wissen, dass sie meine Antwort innerhalb von drei Tagen erhalten wird.«

Si’eh lachte, sprang von mir herunter und kehrte zum Bett zurück. Er rollte sich in der Mitte zusammen und grinste mich an. »Kurue wird dich hassen. Sie war davon überzeugt, dass du die Chance sofort ergreifen wirst, und du lässt sie warten!«

»Ein Bündnis, das aus Angst oder überhastet geschlossen wird, ist nicht von Dauer«, sagte ich. »Ich muss erst einmal meine Position besser verstehen, bevor ich etwas tue, das sie stärkt oder schwächt. Das müssen die Enefadeh einsehen.«

»Das tue ich«, sagte er, »aber Kurue ist weise und ich bin es nicht. Sie tut das, was schlau ist. Ich tue das, was Spaß macht.« Er zuckte mit den Schultern und gähnte dann. »Kann ich manchmal hier schlafen, bei dir?«

Ich öffnete meinen Mund und fing mich dann gerade noch. Er gab sich so überzeugend unschuldig, dass ich fast reflexartig mit Ja geantwortet hätte.

»Ich glaube nicht, dass das angemessen wäre«, sagte ich schließlich. »Du bist wesentlich älter als ich, aber trotzdem offensichtlich minderjährig. Es wäre in jedem Fall ein Skandal.«

Seine Augenbrauen schnellten fast bis zum Haaransatz hoch. Dann brach er in Gelächter aus, rollte sich auf den Rücken und hielt sich den Bauch. Er lachte sehr lange. Nach einiger Zeit stand ich leicht verärgert auf, ging zur Tür, rief einen Diener herbei und bestellte etwas zu essen. Aus reiner Höflichkeit bestellte ich zwei Portionen, obwohl ich nicht wusste, ob und was Götter aßen.

Als ich mich herumdrehte, hatte Si’eh endlich aufgehört zu lachen. Er saß auf dem Bettrand und sah mich nachdenklich an.

»Ich könnte älter sein«, sagte er sanft. »Also, wenn du mich lieber älter hättest. Ich muss kein Kind sein.«

Ich starrte ihn an und wusste nicht, ob ich Mitleid oder Übelkeit empfinden sollte — oder beides gleichzeitig.

»Ich möchte, dass du ganz du selbst bist«, sagte ich.

Sein Ausdruck wurde ernst. »Das ist nicht möglich. Nicht, solange ich in diesem Gefängnis bin.« Er berührte seine Brust.

»Schreibt...« Ich wollte sie nicht meine Familie nennen. »Schreiben andere dir vor, dass du älter sein sollst?«

Er lächelte. Es war auf furchtbare Art das Lächeln eines Kindes. »Im Allgemeinen soll ich jünger sein.«

Die Übelkeit behielt die Oberhand. Ich legte eine Hand vor meinen Mund und wandte mich ab. Es war mir egal, was Ras Onchi dachte. Ich würde mich niemals Arameri nennen, niemals.

Er seufzte und kam zu mir, schlang seine Arme von hinten um mich und legte seinen Kopf auf meine Schulter. Ich verstand sein ständiges Bedürfnis, mich zu berühren, nicht. Es machte mir nichts aus, aber ich fragte mich, mit wem er kuschelte, wenn ich nicht da war. Ich fragte mich, welchen Preis man im Gegenzug von ihm verlangte.

»Ich war bereits uralt, als deine Art lernte, zu sprechen und Feuer zu benutzen, Yeine. Diese lächerlichen Schikanen machen mir nichts aus.«