Robert Silverberg
Die Erbschaft des Todes
Der Planet mußte wenigstens eine Million Jahre tot gewesen sein. Das war unser erster Eindruck, als unser Schiff sich aus seiner Kreisbahn auf die braune Oberfläche senkte, und es stellte sich heraus, daß unser erster Eindruck richtig war. Früher mußte es hier eine Zivilisation gegeben haben, aber seitdem waren Ewigkeiten vergangen.
»Ein toter Planet«, rief Colonel Mattern bitter aus. »Nichts hier, das für uns von Wert wäre. Am besten wäre es, wir zögen gleich weiter.«
Es war kaum überraschend, daß Mattern so dachte. Mit seinem Drängen auf schnelle Abfahrt und die Suche nach einem nützlicheren Planeten handelte er sicher im Interesse seiner Dienststelle. Sein Vorgesetzter war der Generalstab der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie erwarteten von Mattern und jener Hälfte der Besatzung, die ihm unterstand, Resultate, und unter Resultaten verstanden sie neue Waffen und militärische Bündnisse. Der Generalstab hatte sich nicht mit 70 Prozent der Kosten beteiligt, um den Archäologen Gelegenheit zum Austoben zu geben.
Zum Glück für unsere Hälfte der Besatzung — die Archäologen nämlich — lag die Entscheidungsgewalt nicht allein in Matterns Händen. Mochte der Generalstab auch den größten Teil des Budgets tragen, so hatten die vorsichtigen Männer, die als Verbindungsleute fungierten, doch dafür gesorgt, daß wir zumindest einige Rechte genossen.
Dr. Leopold, Leiter der nichtmilitärischen Gruppe der Expedition, sagte kurz: »Tut mir leid, Mattern, aber ich muß Sie an die Klausel erinnern, nach der wir…«
Mattern unterbrach ihn. »Aber…«
»Nichts aber, Mattern. Wir sind hier. Wir haben einen tüchtigen Batzen amerikanisches Geld verpulvert, um hierher zu gelangen. Ich bestehe darauf, daß wir die uns zur Verfügung stehende Mindestzeit für wissenschaftliche Forschungen ausnutzen.«
Mattern machte ein finsteres Gesicht. Er war verärgert, aber klug genug, um zu wissen, daß er gegen Leopolds Forderung nicht angehen konnte.
Wir anderen — vier Archäologen und sieben Offiziere — beobachteten neugierig, wie unsere Chefs sich in den Haaren lagen. Mein Blick schweifte durch das Bullauge und registrierte die Erhebungen auf der trockenen, vom Wind zerfurchten Ebene, die vor Jahrtausenden einmal ragende Gebäude gewesen sein mochten.
Mattern sagte gereizt: »Diese Welt ist von keinerlei strategischem Wert. Sie ist so alt, daß selbst die Spuren ihrer Zivilisation zu Staub zerfallen sind.«
»Trotzdem mache ich Gebrauch von dem mir zugestandenen Recht, jede Welt, auf der wir landen, für die Mindestdauer von sieben Tagen zu erforschen«, erwiderte Leopold ruhig.
»Warum, verdammt?« entfuhr es Mattern hitzig. »Nur um uns vor den Kopf zu stoßen? Nur um zu beweisen, daß der Wissenschaftler dem Soldaten überlegen ist?«
»Mattern, ich habe mich bemüht, nicht persönlich zu werden.«
»Dann möchte ich wissen, worauf Sie hinauswollen. Wir sind hier auf einer Welt, die offensichtlich für Sie ebenso uninteressant ist wie für mich. Sie reiten auf einer Klausel herum und zwingen mich, eine volle Woche in den Wind zu schreiben. Warum, frage ich Sie?«
»Bis jetzt haben wir uns mit einer ganz oberflächlichen Erkundung begnügt«, sagte Leopold. »Wie können wir wissen, ob diese Welt uns nicht die Antworten auf die vielen Fragen bringt, die in der Geschichte der Milchstraße noch offen sind? Vielleicht ist sie sogar ein Hort für Superbomben, von denen wir…«
»Kommen Sie mir nicht mit diesem Unsinn!« explodierte Mattern. Er maß die wissenschaftlichen Mitglieder der Besatzung mit funkelndem Blick. Seine ganze Haltung verriet, was er dachte: daß im Namen der Wissenschaft kostbare Zeit und kostbares Geld vergeudet wurde.
»Also gut«, sagte er schließlich. »Ich habe protestiert und verloren, Leopold. Sie sind im Recht, wenn Sie fordern, eine Woche hierzubleiben. Aber ich gebe Ihnen keine Minute länger, wenn Ihre Zeit um ist.«
Natürlich waren alle Bedingungen vorher festgelegt worden. Wir waren ausgeschickt worden, um einen Sektor am Rand der Milchstraße zu erforschen, der schon flüchtig von einem Vermessungstrupp aufgenommen worden war.
Die Vermesser hatten sich damit begnügt, nach Zeichen von Leben Ausschau zu halten und hatten die Fahrt fortgesetzt, als sie keine fanden. Unsere Aufgabe war es, sich intensiver mit den in Frage kommenden Welten zu befassen. Nach den Meldungen des Vermessungstrupps waren einige der Welten früher bewohnt gewesen. Zur Zeit jedoch gab es kein Leben auf ihnen.
Unser Auftrag bestand darin, die uns zugewiesenen Welten wissenschaftlich zu erforschen. Leopold, der Leiter unserer Gruppe, sollte sich um die archäologische Forschung kümmern, während Mattern sich für spaltbares Material, zurückgebliebene fremdartige Waffen und etwa vorhandene Quellen Lithium oder Tritium interessieren sollte. Genaugenommen stimmte es, daß unsere Gruppe nur auf Kosten der militärischen Gruppe mitgeschleppt wurde. Aber die öffentliche Meinung in Amerika hielt nicht mehr viel von rein militärischen Raumflügen, und so hatte man, wenn auch widerstrebend, unsere Teilnahme gestattet.
Mattern hatte von Anfang an keinen Zweifel darüber gelassen, daß seine Gruppe die wichtigere sei, und daß wir nur als Ballast zu betrachten seien. Wir wußten also, daß wir ihm zuvorkommen mußten, wenn es dort draußen etwas von militärischem Wert gab.
Der Planet hatte keinen Namen, und wir gaben ihm auch keinen. Eine Sonderkommission der UN schlug sich mit dem Problem herum, den Hunderten von Welten in der Milchstraße Namen zu geben, wobei sie mit Vorliebe auf die Erdmythologie zurückgriff. Wahrscheinlich würde diese Welt eines Tages auf den Namen Toth oder Bel-Marduk oder Avalokites vara hören. Wir kannten sie nur als Planet Vier des Systems, das zu einer gelbweißen F5 IV Prokyonoid-Sonne, erweiterter HD-Katalog, Nr. 170861, gehörte.
Die Welt ähnelte etwa dem Erdtyp, hatte einen Durchmesser von 6100 Meilen, einen Schwerkraftindex von 0,93 und eine durchschnittliche Temperatur von 9 Grad. Ihre dünne Atmosphäre bestand zum größten Teil aus Kohlendioxyd, vermischt mit wenig Helium und Wasserstoff und ganz minimalen Mengen von Sauerstoff. Wahrscheinlich war die Luft vor Millionen Jahren atembar gewesen, aber das war Millionen von Jahren her. Wir hatten nicht versäumt, uns mit dem Gebrauch unserer Atemmasken vertraut zu machen, bevor wir das Schiff verließen.
Die Sonne war, wie schon erwähnt, eine F5 IV Sonne und ziemlich heiß, aber Planet Vier lag 185 Millionen Meilen entfernt, und die gute alte Keplersche Ellipse nahm es in diesem System nicht so genau. Planet Vier erinnerte mich in vieler Hinsicht an den Mars, wenn man davon absah, daß der Mars nie intelligentes Leben irgendeiner Art hervorgebracht hatte, während dieser Planet zu einer Zeit, als der Pithecanthropus das höchstentwickelte Wesen auf Erden war, eine blühende Zivilisation gekannt hatte.
Da nun entschieden war, daß wir bleiben würden, machten wir uns sofort an die Arbeit. Wir wußten, daß wir nur eine Woche Zeit hatten — Mattern würde uns nie eine Fristverlängerung zugestehen, es sei denn, wir stießen auf Entdeckungen, die ihn anderen Sinnes werden ließen. Wir wollten in dieser einen Woche soviel hinter uns bringen, wie nur möglich war. Der Himmel war voller Welten, und diese Welt mochte nie wieder von Menschen besucht werden.
Wir schafften die drei mitgeführten Halbraupenschlepper hinaus und machten sie startfertig. Dann verluden wir unsere Ausrüstung und setzten uns die Atemmasken auf. Matterns Männer halfen uns, wenn auch unwillig. Sie bildeten einen Halbkreis um uns und warteten auf unsere Abfahrt.
»Will keiner von Ihnen uns begleiten?« fragte Leopold. Die Raupenschlepper waren für je vier Mann bestimmt.
Mattern schüttelte den Kopf. »Ziehen Sie los und lassen Sie uns wissen, was Sie entdecken«, sagte er. »Wir nutzen die Zwangspause dazu aus, das Logbuch zu vervollständigen.«