Ich richtete mich auf. »In meiner Tunika«, sagte ich, »trage ich zwei Briefe bei mir, die mein Anliegen klarstellen müßten.«
»Beweg dich behutsam!« sagte Kungumi daraufhin.
Langsam und ohne die beiden Speerspitzen aus den Augen zu lassen, zog ich die beiden Briefe heraus. Natürlich hatte ich weder den Ring noch die Kreditbriefe bei mir.
Ich reichte dem Mann an der Tür die beiden Briefe. Er warf einen Blick darauf.
»Der eine«, sagte ich, »ist für einen Mann namens Msaliti.«
»Ich bin Msaliti«, sagte der Mann, den man Kungumi genannt hatte. »Tritt ein!« fuhr er fort.
Ich folgte ihm in das Gebäude, durch den kleinen Vorraum in das größere Zimmer, in das ich durch den Deckengrill geschaut hatte. Die beiden fellgekleideten Riesen traten hinter mir ein.
Drinnen bemerkte ich in einer Ecke die blonde Sklavin. Rückhaltlos hatte sie offenbart, was sie wußte. Das andere Mädchen, die dunkelhaarige Schönheit mit der Peitsche, zeigte sich von meinem Eintreten überrascht. Sie hatte nicht mit mir gerechnet. Anscheinend hatten die Männer sie nicht ins Vertrauen gezogen. Ich begrüßte sie nicht.
Mein Blick richtete sich auf den Mann, der mit untergeschlagenen Beinen hinter dem Tisch saß. Er war ein großer, hagerer Mann. Er hatte lange, dünne Hände mit schmalen Fingern. Sein Gesicht wirkte vornehm, sein Blick aber war hart und stechend. Ich nahm nicht an, daß er der Kriegerkaste angehörte, zweifelte aber nicht daran, daß er mit Stahl umgehen konnte. Selten hatte ich ein Gesicht gesehen, das solche Sensibilität, doch zugleich soviel Intelligenz und unbeugsame Willenskraft widerspiegelte. Der Linie der Wangenknochen folgte eine punktierte Stammestätowierung. Er trug eine grünbraune Robe, in die schwarze Flecke eingearbeitet worden waren – ein Muster, das im Dschungel nur schwer auszumachen gewesen wäre. Er trug eine runde flache Mütze aus ähnlichem Material. Am Zeigefinger der linken Hand funkelte ein Ring, der sicher ein Gift enthielt, wahrscheinlich das der tödlichen Kandapflanze.
Der zweite Brief, den ich Msaliti ausgehändigt hatte, lag jetzt vor dem Mann auf dem Tisch.
»Dieser Brief«, sagte ich, »ist für Shaba, den Geographen aus Anango.«
»Ich bin Shaba«, sagte er und griff nach dem Brief, »der Geograph aus Anango.«
12
»Ich bin gekommen, um wegen des Ringes zu verhandeln«, sagte ich.
»Hast du den falschen Ring und die Kreditbriefe bei dir?« fragte Shaba.
»Nein«, antwortete ich.
»Sind sie in Schendi?« wollte Shaba wissen.
»Vielleicht«, erwiderte ich. »Hast du den Ring bei dir?«
»Vielleicht«, sagte Shaba lächelnd.
Ich bezweifelte nicht, daß er den Ring bei sich trug. Das Schmuckstück war viel zu wertvoll, als daß man es ungeschützt herumliegen ließ. Da er den Ring bei sich hatte, war er natürlich auch äußerst gefährlich.
»Kommst du zu uns als Agent Bejars, eines Kapitäns aus Port Kar?« fragte Shaba weiter.
»Vielleicht«, sagte ich.
»Nein«, stellte Shaba fest, »das stimmt nicht, denn du kennst den Wert des Rings, der Bejar unbekannt sein müßte.« Er musterte mich. »Auf ähnliche Weise könnte man beweisen, daß du kein einfacher Spekulant bist, der sich für den Weiterverkauf der Kreditbriefe interessiert.«
Ich zuckte die Achseln. »In dem Fall könnte man immer darauf warten, daß sie für ungültig erklärt und neu ausgestellt werden«, sagte ich.
»Ja«, sagte er, »vorausgesetzt, sie würden neu ausgestellt und wir hätten viel Zeit zu verschenken.«
»Du hast ein Projekt im Sinn?« fragte ich.
»Vielleicht«, meinte Shaba.
»Und du möchtest es schnellstens in Gang bringen?«
»Ja.«
»Was ist das für ein Projekt?« fragte ich.
Msaliti musterte den Mann neugierig.
»Eine persönliche Sache«, sagte Shaba.
»Ich verstehe«, sagte ich.
»Da du weder von Bejar kommst noch ein einfacher Spekulant bist«, fuhr Shaba fort, »können wir wohl davon ausgehen, daß du einen von zwei Ausgangspunkten hast. Entweder wurdest du von den Kurii zu uns geschickt – oder von den Priesterkönigen.«
Ich warf einen unbehaglichen Blick auf die beiden stämmigen Männer mit den Schilden und dem Federschmuck, die dicht bei uns standen.
»Sei unbesorgt!« sagte Msaliti. »Meine Askaris sprechen kein Goreanisch.« Das Wort ›Askari‹ stammt aus dem Binnenland und läßt sich etwa mit ›Soldat‹ und ›Wächter‹ übersetzen.
»Einmal abgesehen davon, aus welchem Lager ich komme«, sagte ich, »du hast auf jeden Fall, was wir wollen – den Ring.«
»Der Ring«, sagte Msaliti, »darf um keinen Preis den Priesterkönigen zurückgegeben werden. Er muß an die Kurii gehen.«
»Wenn ich zurückkehre«, sagte ich, »bringe ich natürlich den falschen Ring mit, damit er ins Sardargebirge geschafft wird.«
»Er gehört zu uns«, sagte Msaliti. »Kein Agent der Priesterkönige würde wollen, daß der falsche Ring ins Sardargebirge kommt.«
Damit bestätigte er mir Samos’ Verdacht, daß sich mit dem falschen Ring irgendeine Drohung oder Gefahr verband.
»Du wirst also als Agent der Priesterkönige den Ring ins Sardargebirge bringen«, sagte ich zu Shaba.
»Meinst du nicht, daß es dafür ein wenig zu spät ist?« fragte dieser.
»Wir müssen es versuchen«, sagte ich.
»Ja, so war es geplant«, äußerte Msaliti ernsthaft.
»Du mußt deinen Teil der Vereinbarungen einhalten«, sagte das dunkelhaarige Mädchen.
Shaba wandte sich zu ihr um.
»Halt den Mund!« sagte Msaliti zornig zu ihr.
Aufgebracht trat sie einen Schritt zurück.
»Du siehst nicht aus wie ein Mann, der den Kurii dienen würde«, sagte Shaba lächelnd zu mir.
»Du siehst nicht aus wie jemand, der die Priesterkönige verrät«, gab ich zurück.
»Ah«, sagte er leise und lehnte sich zurück. »Wie schwierig und verwickelt ist doch die menschliche Natur!« meinte er nachdenklich.
»Wie hast du uns hier gefunden?« erkundigte sich das Mädchen.
»Natürlich ist er dir gefolgt, kleine Närrin!« erwiderte Msaliti. »Warum mußtest du wohl noch einen weiteren Abend in Pembes Taverne arbeiten?«
»Ihr hättet es mir sagen können«, sagte sie.
Msaliti antwortete ihr nicht.
»Woher wußtet ihr, daß ich auf dem Dach war?« fragte ich. Die Askaris hatten mir aufgelauert.
»Ein alter Schendi-Trick«, antwortete Shaba. »Schau dort hinauf. Siehst du die kleinen Fäden herabhängen?«
»Ja«, sagte ich. Mehrere Fäden, jeweils etwa einen Fuß lang, baumelten an der Decke des Zimmers. An jedem Ende war ein kleines rundes Gebilde befestigt.
»Es ist nicht ungewöhnlich, daß Einbrecher durch die Lüftungsroste eindringen«, erklärte Shaba. »Du siehst dort oben getrocknete Erbsen an Fäden. Sie werden an der Decke unter bestimmten Brettern angebracht oder in bestimmte Risse gesteckt. Wenn dann jemand auf das Dach tritt, werden die Erbsen durch die Bewegung der Dachbalken freigegeben. Dann weiß man sofort, daß jemand auf dem Dach ist oder war.«
»Eine lautlose Warnung!« sagte ich.
»Ja«, fuhr er fort. »Der Hauseigentümer kann sich dann überlegen, ob er den Dieb abschrecken oder festnehmen will, sobald er in das Haus eindringt.«
»Was ist, wenn die Hausbewohner schlafen?« fragte ich.
»An einzelnen Streben der Roste werden Glocken befestigt, die dicht über dem Lager der Schlafenden hängen. Versucht jemand, die Schnüre zu durchtrennen oder die Glocken hochzuziehen, genügt meistens der Lärm, die Hausbewohner zu wecken.«
»Sehr raffiniert!« stellte ich fest.
»Du hast dich eigentlich recht gut geschlagen«, sagte Shaba. »Nur wenige Erbsen sind herabgefallen. Du hast einen leichten Schritt. Im Grunde wurden wir erst gewarnt, als du das Dach verließest.«
Ich nickte. Es stimmte, bei meinem Rückzug hatte ich weniger Vorsicht walten lassen als zuvor. Ich war relativ unbesorgt gewesen, hatte ich doch mit keinen weiteren Gefahren gerechnet. Von dem einfachen Trick mit den Fäden und den Erbsen hatte ich keine Ahnung gehabt.