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»Das ist durchaus möglich«, sagte ich.

Ayari stammte aus Schendi und war dort als Dieb verhaftet worden. Man hatte ihn in die Gruppe der Arbeiter gesteckt, die für Bila Huruma am Kanal arbeiten mußten. Schendi nutzte die lästige Verpflichtung, sich mit Arbeitskräften an dem Projekt zu beteiligen, um sich seiner weniger gern gesehenen Bürger zu entledigen. Vermutlich konnte man das dem Kaufmannsrat nicht verübeln. Da er aus Schendi stammte, sprach Ayari natürlich Goreanisch. Für mich war es ein Glück, daß er zugleich die Sprache beherrschte, die am Hof Bila Hurumas gesprochen wurde. Sein Vater war vor vielen Jahren aus einem Dorf des Binnenlandes geflohen, am Nordufer des Ushindi-Sees gelegen. Das Dorf hieß Nyuki und war wegen seines Honigs berühmt. Es war dabei um den Diebstahl mehrerer Melonen vom Feld des Häuptlings gegangen. Sein Vater war etwa fünf Jahre später zurückgekehrt, um seine Mutter zu kaufen. Anschließend hatte die Familie in Schendi gelebt. Zu Hause hatte man sich in der Sprache des Binnenlandes verständigt. Es wird geschätzt, daß fünf bis acht Prozent aller Bürger Schendis die Binnensprache kennen.

»Kannst du arbeiten?« fragte der Askari noch einmal.

Dank Ayaris Unterricht vermochte ich solche einfachen Sätze inzwischen zu verstehen.

Noch mehr beeindruckte mich allerdings Ayaris Fähigkeit, die Botschaften der Trommeln zu entziffern, obwohl behauptet wird, daß dies für jemanden, der die Binnensprache fließend beherrscht, kein großes Problem ist. Ähnlichkeiten zu den wichtigsten Vokallauten der Binnensprache finden sich in bestimmten Trommeltönen, die variiert werden können, indem der ausgehöhlte Trommelstamm an verschiedenen Stellen bearbeitet wird. Natürlich ist der Rhythmus der Trommelbotschaft identisch mit dem Rhythmus der Sprache, da sich mit der Trommel gewissermaßen Vokale und Betonung von Sätzen der Binnensprache nachahmen lassen. Fügte man gewisse zusätzliche Trommelsignale hinzu, die bestimmte andere Zeichen und Konsonantenlaute wiedergeben, so verfügte man über eine raffinierte Möglichkeit, über weite Strecken Informationen zu vermitteln, denn natürlich wurden die Trommelbotschaften über zahlreiche Relaisstationen weitergegeben. So läßt sich mit Hilfe der Trommeln eine Nachricht in weniger als einer Ahn über viele hundert Pasang befördern. Ich muß nicht betonen, daß Bila Huruma dieses Signalgerät übernommen und verbessert hatte, das für die Wirksamkeit seines Militärs und der Verwaltung seines Ubarats von großer Bedeutung war. Als Kommunikationsmittel war es den Rauchzeichen des Nordens eindeutig überlegen. Soweit ich wußte, ließ sich auf Gor nichts damit vergleichen, wenn man einmal von den fortschrittlichen technologischen Geräten absah, die den Priesterkönigen und Kurii zur Verfügung standen, Gerätschaften, die den meisten Goreanern im Rahmen der Waffen- und Kommunikationsgesetze verboten waren. Ich fand es erstaunlich – und nehme an, daß dies für die meisten Goreaner galt, sogar für die Bewohner Schendis –, daß ein Ubarat von der Größe und Entwicklung des Huruma-Reiches im äquatorialen Landesinneren zu existieren vermochte. Eines der erstaunlichsten Anzeichen für den weitreichenden Ehrgeiz dieses Landes war das Projekt, an dem ich hier gegen meinen Willen teilnahm, der visionäre Versuch, die Ushindi- und Ngao-Seen, die gut vierhundert Pasang voneinander entfernt waren, durch einen großen Kanal miteinander zu verbinden, einen Kanal, der den geheimnisvollen Ua-Fluß über den Ngao-See, den Ushindi, dann den Nyoko- und Kamba-Fluß mit dem schimmernden Thassa verbinden würde – eine Verbindung, die der zivilisierten Welt die Reichtümer des Landesinneren erschließen würden, Reichtümer, die sodann durch das Ubarat Bila Hurumas geschafft werden mußten.

»Kannst du arbeiten?« fragte der Askari noch einmal.

»Nein«, antwortete Ayari.

»Dann muß ich dich töten lassen«, stellte der Askari fest.

»Ich habe mich soeben erholt«, sagte Ayari.

»Gut«, meinte der Askari und watete weiter, wobei er seine Fackel hoch über das Wasser hielt. Der zweite Askari, der seine Tharlarionlanze geschultert hatte, begleitete ihn.

Minuten später wurde das Schlammfloß aus Baumstämmen, die mit Lianen verknüpft waren, wieder in unsere Nähe geschoben. Es war beladen mit dem Schlamm, den wir mühsam ausgehoben hatten.

»Kannst du graben?« fragte ich Ayari.

»Nein«, sagte er.

»Ich grabe für dich«, sagte ich.

»Das würdest du tun?« fragte er.

»Ja.«

»Ich grabe selbst.«

»Wie geht es deinem Bein?«

»Es ist noch vorhanden«, antwortete er.

Die meisten Kanalarbeiter waren nicht angekettet. Die meisten waren freie Männer, die zum Dienst gepreßt worden waren.

Wasser, das aus dem Ngao-See abfloß, gelangte in den ausgedehnten Sumpf zwischen Ngao- und Ushindi-See und wanderte von dort über den Kamba- und den Nyoka-Fluß ins schimmernde Thassa, das Meer. Bila Hurumas Ingenieure hatten nun vor, zwei parallele Wälle zu errichten, zwischen fünf und sechs Fuß hoch, etwa zweihundert Meter voneinander entfernt. Das Gebiet zwischen diesen Wällen, von dem das Sumpfwasser mittels der Wälle ferngehalten wurde, sollte dann entwässert und auf den Aushub des eigentlichen Kanals vorbereitet werden. Für diese Arbeit sollten Zug-Tharlarion und riesige Bagger eingesetzt werden, die man aus dem Norden holte, ganz abgesehen von den Heerscharen der Arbeiter. Sollte, wie vermutet wurde, der Zentralkanal nach seiner Fertigstellung nicht ausreichen, den Abfluß aus dem Ngao-See aufzunehmen, plante man die Anlage von Nebenkanälen. Letztlich liefen Bila Hurumas Pläne darauf hinaus, nicht nur die Regenwälder des Landesinneren kommerziell und militärisch zu erschließen und damit das unbekannte System des Ua-Flusses und seiner Zuläufe, sondern auch die Sümpfe zwischen den beiden großen Seen trockenzulegen, ein Territorium von vielen tausend Quadrat-Pasang, das sich irgendwann einmal landwirtschaftlich nutzen ließ. Bila Huruma wollte nicht nur sein Ubarat befestigen, sondern eine ganze Zivilisation gründen.

Ich schlug nach lästigen Insekten.

»Arbeitet!« rief ein vorbeiwatender Askari.

Ich schaufelte eine neue Ladung Schlamm aus dem Sumpf und beförderte sie auf das Floß.

»Arbeitet, arbeitet!« rief der Askari den anderen Gefangenen an unserer Kette zu.

Ich sah mich um, ich schaute auf die vielen hundert Männer, die ich ausmachen konnte. »Ein eindrucksvolles Projekt«, sagte ich zu Ayari.

»Sicher können wir uns freuen, unser Scherflein zu einem so gewaltigen Unternehmen beizutragen«, sagte er nachdenklich.

»Da hast du wohl recht«, erwiderte ich.

»Andererseits wäre ich bereit, meine Rolle in diesem edlen Schauspiel anderen zu überlassen, die würdiger sind als ich.«

»Ich auch«, pflichtete ich ihm bei.

»Grabt!« sagte ein Askari.

Wir schaufelten Schlamm auf das Floß.

»Unsere einzige Hoffnung«, sagte ein Mann zu meiner Linken, der wie Ayari aus Schendi stammte, »sind die feindlichen Eingeborenenstämme dieser Gegend.«

»Eine schöne Hoffnung!« stellte Ayari fest. »Wenn die Askaris nicht wären, würden sie mit ihren tödlichen Messern über uns herfallen.«

»Es muß doch Widerstand gegen den Kanal geben«, sagte ich.

»Zum Beispiel in den Dörfern der Ngao-Region, am Nordufer«, sagte Ayari. »Dort braut sich etwas zusammen.«

»Das ist der bestorganisierte Widerstand«, sagte der Mann links von mir.

»Der Kanal ist teuer. Ich bin sicher, daß er sich in den Ubaratskassen Bila Hurumas unangenehm bemerkbar macht. Daraus folgert, daß es auch am Hofe Unzufriedenheit geben müßte. Ferner dürften die Dörfer etwas dagegen haben, Arbeitskolonnen abstellen zu müssen.«

»Die Bürger Schendis«, sagte Ayari, »sind auch nicht gerade glücklich über das Vorhaben.«

»Sie haben Angst vor Bila Huruma«, stellte ich fest.

»Ja«, sagte Ayari.

»Man sieht die Sache in Schendi mit gemischten Gefühlen«, sagte der Mann zu meiner Linken. »Natürlich brächte es der Stadt auch Vorteile, würde der Kanal vollendet.«