»Nun mach schon!« sagte der Askari drohend.
Natürlich hatte sich auf dem Floß außer den Mädchen eine Truhe mit weiteren Schätzen für Tende befunden, Dinge, zu denen nach Angaben des Askaris, mit dem Ayari eine gute Beziehung pflegte, auch Stoffballen, Geschmeide, Kosmetika, Münzen und Parfums gehörten. So etwas war logisch und unterstrich die Großzügigkeit des Ubars Bila Huruma. Er wäre sicher als geizig angesehen worden, hätten sich seine Geschenke auf die Übersendung zweier weißhäutiger Sklavinnen beschränkt.
Wieder traf mich der Griff des kurzen Speers schmerzhaft an der Schulter.
»Grab weiter!« forderte der Askari.
»Na schön«, erwiderte ich und stieß die Schaufel in den Schlamm zu meinen Füßen.
»Du auch!« rief der Aufseher einem Mann weiter unten an der Kette zu. »Grab! Grab!«
Der Mann an der Kette, eine große majestätische Erscheinung, musterte ihn verächtlich. Dann wandte er sich noch einmal zu dem Floß um, das die Geschenke für Tende beförderte. Der Askari hämmerte mit dem Schaft seines Speers mehrmals auf ihn ein. Ohne den Aufseher eines Blickes zu würdigen, setzte der Mann schließlich die Arbeit fort.
Dieser Mann war Kisu, der ehemalige Anführer der Ukungu-Rebellen.
Als sich die Askaris nach einiger Zeit weiter zurückgezogen hatten, sagte ich zu Ayari: »Bitte übermittle Kisu meine Empfehlung.« Ich hatte gesehen, wie er hinter dem Floß herschaute. Seine Körperhaltung hatte mir verraten, welch kalte Wut ihn erfüllte.
Die Kette mitschleppend, wateten wir auf Kisu zu. Die Männer hinter uns gingen auf unser Zeichen ein und bewegten sich mit uns.
Ayari wandte sich an Kisu, er hob den Kopf und musterte mich verächtlich.
»Ich habe Kisu deine Grüße ausgerichtet«, sagte Ayari auf Goreanisch zu mir.
»Er hat aber gar nichts gesagt«, erwiderte ich.
»Natürlich nicht«, entgegnete Ayari. »Er ist der Mfalme von Ukungu. Er spricht nicht mit gewöhnlichen Leuten.«
»Sag ihm, er sei nicht mehr Mfalme von Ukungu!« sagte ich. »Sag ihm, er sei gestürzt worden. Wenn es überhaupt noch einen Mfalme von Ukungu gibt, dann ist es der edle Aibu.«
Genaugenommen mußte Aibu als hoher Häuptling Ukungus Distriktsverwalter sein, der Oberherrschaft Bila Hurumas unterstellt.
»Halt deine Schaufel bereit!« sagte Ayari auf Goreanisch zu mir.
»Keine Sorge!«
Aber Kisu griff mich nicht an, als er meine Worte übersetzt bekam. Sein Körper erstarrte, und er musterte mich zornig, doch er machte keine Anstalten, mich mit seiner Schaufel zu schlagen. Für einen stolzen Mann, der von sich selbst überzeugt und sehr kräftig war, legte er eine bemerkenswerte Selbstbeherrschung an den Tag.
»Sag ihm, ich möchte mit ihm reden«, sagte ich. »Wenn nötig, kann er mich ja als Mfalme von Ukungu in den Adelsstand erheben.«
Frohgemut machte sich Ayari an die Übersetzung.
Wieder hielt Kisu sich zurück. Dann wandte er mir den Rücken zu und begann zu graben.
»Sag ihm«, forderte ich Ayari auf, »Bila Huruma, sein eigener Ubar, spreche ohne weiteres mit gewöhnlichen Bürgern. Sag ihm, ein echter Mfalme hört sich alle Menschen an und spricht mit ihnen.«
Kisu richtete sich auf und fuhr zu mir herum. Die Knöchel seiner Hände, die die Schaufel hielten, waren vor Anspannung weiß geworden.
»Ich habe ihm übersetzt, was du gesagt hast«, meinte Ayari. Die Sprache, die Kisu benutzte, war mit der Binnensprache eng verwandt, so daß Ayari mit der Verständigung keine Probleme hatte. Mir ging es nicht ganz so gut, denn ich kannte die Sprache der Binnenländer noch nicht gut genug.
»Sag ihm«, fuhr ich fort, »es täte ihm sicher gut, sich von einem wahrlich großen Anführer zeigen zu lassen, wie man ein Volk leitet – und damit meine ich Bila Huruma.«
Diese Worte wurden Kisu übermittelt.
Mit einem Wutschrei sprang Kisu auf mich los, und die Schaufel schwang auf meinen Kopf zu. Ich wehrte den Hieb ab, ließ meinen Schaufelgriff herumschwingen und versetzte ihm einen heftigen Schlag gegen die Seite des Kopfes. Der Hieb hätte einen Kailiauk fällen können. Zu meinem Erstaunen ging er nicht zu Boden. Und schon hatte ich alle Hände voll zu tun, seine Hiebe abzuwehren. Ein Schlag oder Schnitt seiner scharfen Schaufel hätte meinem Leben ein Ende gesetzt. Zweimal vermochte ich ihn mit meinem Schaufelgriff abzuwehren – und bohrte ihm das Holz beim zweiten Mal tief in den Solarplexus. Unvermutet hielt er inne; der Schlag hatte ihn gelähmt. Er konnte sich nicht mehr verteidigen. Ich atmete schwer. Natürlich schlug ich nicht weiter zu. Jener bestimmte Körperpunkt gehört zu den wichtigen Zielen, die sich Krieger bei ihrer Ausbildung einprägen müssen, besonders für den Nahkampf.
Kein Zweifel, was die Kräfte anging, war mir Kisu recht ähnlich. Doch er war kein ausgebildeter Krieger. Und so erstaunte es mich nicht, daß er und seine Kämpfer von den Askaris Bila Hurumas besiegt worden waren.
Er hob den Kopf und blickte mich erstaunt an. Er verstand nicht, wie ein Schlag von mir einen Mann von seiner Kraft hatte lähmen können. Dann erbrach er sich ins Wasser.
Zornig rufend kamen die Askaris auf uns zu. Sie schlugen mit den Schäften ihrer Speere auf uns beide ein.
Wir wurden getrennt und wieder an unseren Platz an der Kette zurückgeschickt.
Nach einiger Zeit drehte sich Kisu um und rief Ayari etwas zu. Ayari wandte sich daraufhin an mich. »Er will wissen, warum du ihn nicht umgebracht hast«, sagte er.
»Ich wollte ihn nicht töten«, sagte ich. »Ich wollte nur mit ihm sprechen.«
Dies wurde Kisu übermittelt, der eine Antwort gab.
»Er war Mfalme von Ukungu«, übersetzte Ayari. »Er kann nicht mit einfachen Menschen sprechen.«
»Na schön«, sagte ich, und meine Zustimmung wurde Kisu übermittelt.
»Grab weiter!« befahl der Askari neben mir.
Wir machten uns wieder an die Arbeit.
21
»Aufwachen!« sagte Ayari und stieß mich an.
Ich ließ mich auf dem Floß herumrollen, soweit es die Kette erlaubte.
»Es kommt etwas«, sagte er.
»Eingeborene?« fragte ich.
»Ich glaube es nicht«, erwiderte er.
Ich kämpfte mich in eine hockende Stellung hoch. Der Eisenring mitsamt der Kette belastete meinen Nacken sehr. Das Floß, auf dem wir an der Gaunerkette schliefen, war ein langes Gebilde mit einem gitterartigen Käfig, der sorgfältig verschlossen wurde.
Ich blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit hinaus.
»Ich sehe nichts«, sagte ich.
»Eben habe ich den Schein einer Laterne gesehen, die einen Moment lang aufgedeckt wurde«, sagte Ayari.
»Wer immer da kommt, hat also etwas zu verbergen«, sagte ich. Und Eingeborene besaßen keine solchen Nachtlaternen.
»Hör doch«, sagte Ayari.
Plötzlich stieß die Schnauze eines Tharlarion, der sich halb auf den Rand unseres Floßes stützte, gegen die Gitterstäbe. Ich zuckte zurück. Das Wassertier grunzte und ließ seine Schnauze eine Zeitlang auf dem Holzrand liegen. Mit leisem Plätschern ließ es sich schließlich wieder in das flache dunkle Wasser gleiten.
»Hör mal!« wiederholte Ayari.
»Ich hör’s«, erwiderte ich. »Umwickelte Ruder, sogar mehrere.«
»Wie viele Boote?« wollte er wissen.
»Mindestens zwei«, entgegnete ich, »und sie bewegen sich im Tandem.« Ein wenig aus dem Takt, war das leise Eintauchen einer zweiten Gruppe von Rudern auszumachen.
»Askaris können das nicht sein«, meinte Ayari.
»Nein«, stimmte ich ihm zu. Askaris benutzen keine Ruder, sondern Paddel, die auch besser zu ihren Kanus passen. Und wenn es zu einem Nachtmarsch kommt, halten die Paddel des Kanus genau den Rhythmus des Führungsbootes ein. Auf diese Weise ist es schwierig, die Zahl der näherkommenden Boote zu schätzen. Natürlich ist es üblich, beim Nachtrudern im Tandem zu fahren, wobei das erste Boot den sicheren Fahrweg anzeigt – oder Hindernisse, wenn es nicht weiterkommt.