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Tende hatte sich eine Peitsche um den linken Unterarm gebunden.

»Steht strammer!« befahl ein Askari.

Wir gehorchten.

In Tendes Nähe standen vier Askaris in der Aufmachung, die ich von Bila Hurumas Hof kannte – es waren seine Abgesandten. Wie die meisten Askaris waren sie mit fransenversehenen langen Schilden und kurzen Stoßspeeren bewaffnet. Die Tochter Aibus wurde gut bewacht. Weitere Askaris wateten unweit der Plattform durch das Wasser.

Neben den Askaris hielt sich ein weiterer Mann auf der Plattform auf. Es war Mwoga, der Wesir Aibus, der Tende zur Feier ihrer Gefährtenschaft geleitete. Ich erkannte ihn sofort, denn ich kannte ihn aus Bila Hurumas Palast. Wie so viele Menschen aus dem Landesinnern und den benachbarten Ebenen und Savannen im Norden und Süden der Äquatorzone besaß er lange, gestreckte Glieder und war hochgewachsen – eine körperliche Besonderheit, die die Abstrahlung von Körperhitze erleichterte. Sein Gesicht wies Tätowierungen auf, wie sie hier im Landesinnern üblich waren. Nach den Mustern lassen sich natürlich einzelne Stämme erkennen, manchmal sogar Dörfer und Distrikte. Er trug eine lange schwarze Robe, die mit Goldfäden bestickt war, und eine weiche flache Mütze, ähnlich dem in Schendi gebräuchlichen Kleidungsstück. Ich zweifelte nicht daran, daß ihm diese Gewandung am Hof Bila Hurumas zum Geschenk gemacht worden war. Trotz der Internationalität seines Hofes trug Bila Huruma selbst meistens die Häute, Federn und das Gold der Askaris. Das ging nicht nur darauf zurück, daß sie die Grundlage seiner Macht bildeten und er ihnen schmeicheln wollte. Vielmehr war er selbst Askari und sah sich als Askari. Im Hinblick auf seine Kraft, Geschicklichkeit und Intelligenz gab es nichts dagegen zu sagen, daß er der erste unter ihnen war. Er war ein Askari unter Askaris.

»Sieh nur, meine Dame!« sagte Mwoga jetzt und deutete auf Kisu. »Hier steht der Feind deines Vaters und auch dein Feind, hilflos angekettet im Sumpf. Schau ihn dir an, untersuch ihn! Er widersetzte sich deinem Vater. Jetzt hängt er an einer Gaunerkette und gräbt für deinen künftigen Gefährten, den großen Bila Huruma, im Schlamm herum.«

Der Ukungu-Dialekt ist mit der Ushindi-Sprache eng verwandt. Leise übersetzte mir Ayari das Gespräch. Doch hätte ich auch ohne ihn dem Dialog einigermaßen folgen können.

Kisu blickte der lässig dasitzenden Frau kühn in die Augen.

»Du bist die Tochter des Verräters Aibu«, sagte er.

Tendes Gesichtsausdruck veränderte sich nicht.

»Wie mutig der Rebell hier spricht!« sagte Mwoga spöttisch.

»Wie ich sehe«, wandte sich Kisu an Mwoga, »du bist jetzt ein wichtiger Wesir. Du hast deine Position als unbedeutender Häuptlingslakai verlassen und bist aufgestiegen. Solche Glücksfälle gibt es eben in der Politik immer wieder.«

»Manche haben dabei mehr Glück als andere«, erwiderte Mwoga. »Du, Kisu, warst zu dumm, um die Politik zu verstehen. Du bist halsstarrig und töricht, du verstandest dich nur auf den Speer und die Kriegstrommel. Du greifst an wie ein Kailiauk. Ich verhielt mich klüger; ich wartete die richtige Zeit ab – so wie es die Ost tut. Der Kailiauk läßt sich in der Palisade einsperren. Die Ost schlüpft zwischen den Stämmen des Zauns hindurch.«

»Du hast Ukungu an das Imperium verraten«, sagte Kisu.

»Ukungu ist ein Distrikt in diesem Reich«, erwiderte Mwoga. »Ein Aufstand war gegen das Gesetz.«

»Du verdrehst Worte!« fauchte Kisu.

»Wie stets bei solchen Fragen hat der Speer entschieden, wo in dieser Sache das Recht liegt«, sagte Mwoga lächelnd.

»Wie wird sich das später in den Geschichten anhören?« wollte Kisu wissen.

»Wir werden die Überlebenden sein, die diese Geschichten erzählen«, sagte Mwoga.

Kisu trat einen Schritt vor, doch ein Askari neben ihm hielt ihn zurück.

»Es kann kein Volk verraten werden«, sagte Mwoga, »das nicht damit einverstanden ist.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Kisu.

»Das Reich bedeutet Sicherheit und Zivilisation«, erklärte Mwoga. »Die Menschen sind der Stammesfehden überdrüssig. Die Menschen wünschen sich Ruhe und Frieden, um ungestört ihre Ernte einfahren zu können. Wie können sich Menschen frei nennen, wenn sie jeden Tag das Einsetzen der Dämmerung fürchten müssen?«

»Das verstehe ich nicht«, wiederholte Kisu.

»Das liegt daran, daß du ein Jäger bist, ein Mann, der tötet«, sagte Mwoga. »Du lebst nach dem Speer, du kennst Überfälle, Gegenattacken, den Rachedurst, die Schatten des Waldes. Stahl ist dein Werkzeug, die Dunkelheit dein Verbündeter. Bei den meisten Menschen jedoch ist das anders. Die meisten wünschen sich den Frieden.«

»Alle Menschen wünschen sich den Frieden«, sagte Kisu.

»Wenn das so wäre, gäbe es keinen Krieg«, sagte Mwoga.

Kisu musterte ihn aufgebracht. »Bila Huruma ist ein Tyrann«, sagte er.

»Natürlich«, entgegnete Mwoga.

»Man muß sich ihm widersetzen.«

»Dann widersetz dich ihm doch!«

»Man muß ihn stürzen.«

»Dann stürz ihn!«

»Du siehst dich als Held, der du mein Volk ins Licht der Zivilisation führen willst?« fragte Kisu.

»Nein«, sagte Mwoga. »Ich gehorche den Umständen. Ich diene mir selbst und meinen Vorgesetzten.«

»Jetzt endlich sprichst du ehrliche Worte!«

»Die Politik, die Bedürfnisse, die Zeit – dies alles bringt Männer wie mich in den Vordergrund«, fuhr Mwoga fort. »Ohne Männer wie mich könnte es keine Veränderung geben.«

»Der Tharlarion und die Ost haben ihren Platz im Palast der Natur.«

»Und ich werde den meinen am Hof von Ubars finden«, ergänzte Mwoga.

»Stell dich mit dem Speer zum Kampf!« forderte Kisu.

»Wie wenig du doch begreifst!« sagte Mwoga. »Wie naiv siehst du doch die Dinge! Wie sehr sich dein Herz nach solchen Vereinfachungen sehnt!«

»Ich möchte dein Blut an meinem Speer sehen«, sagte Kisu.

»Das Reich würde trotzdem weiterbestehen«, sagte Mwoga.

»Das Reich ist etwas Böses«, sagte Kisu.

»Wie schlicht du doch denkst!« rief Mwoga staunend. »Wie betäubt und verwirrt mußt du sein, wenn du gelegentlich einmal auf die Wahrheit stößt.«

»Das Reich muß vernichtet werden«, sagte Kisu.

»Dann vernichte es doch!« rief Mwoga.

»Geh und diene deinem Herrn Bila Huruma!« sagte Kisu. »Ich entlasse dich.«

»Deine Großzügigkeit stimmt uns dankbar«, sagte Mwoga lächelnd.

»Und nimm diese Sklavinnen mit, Geschenke für Seine Hoheit Bila Huruma«, fuhr Kisu fort und deutete auf Tende und ihre beiden Dienstboten.

»Lady Tende, Tochter Aibus, des hohen Häuptlings von Ukungu, wird ehrenvoll zur Feier der Gefährtenschaft geleitet, die sie mit Seiner Majestät Bila Huruma eingeht.«

»Sie wird verkauft, um einen Kuhhandel zu besiegeln«, sagte Kisu. »Klarer könnte sie nicht als Sklavin dastehen.«

Tendes Gesicht blieb ausdruckslos.

»Aus eigener Willensentscheidung«, sagte Mwoga, »beeilt sich die Lady Tende, Bila Hurumas Ubara zu werden.«

»Eine von gut zweihundert Ubaras!« rief Kisu spöttisch.

»Sie handelt aus eigenem Entschluß«, wandte Mwoga ein.

»Ausgezeichnet!« rief Kisu. »Dann verkauft sie sich also selbst. Gut gemacht, Sklavin!« rief er dem Mädchen zu.

»Sie wird in eine ehrenvolle Gefährtenschaft eintreten«, sagte Mwoga.

»Ich habe Bila Huruma gesehen«, bemerkte Kisu. »Für ihn ist keine Frau etwas anderes als eine Sklavin. In seinem Palast habe ich viele reizvolle Sklavinnen gesehen, schwarz, weiß und orientalisch. Mädchen, die es wahrlich verstehen, einem Mann zu gefallen, und die das Bedürfnis dazu in sich spüren. Bila Huruma kann zwischen zahlreichen heißblütigen ausgebildeten Sklavenschönheiten wählen. Wenn du an seinem prächtigen Hof nicht allein und unbeachtet dahinsiechen willst, wirst du es lernen müssen, mit ihnen zu wetteifern. Du wirst dich daran gewöhnen, vor ihm auf dem Boden herumzukriechen und ihm mit der uneingeschränkten, wohlig schaudernden Hingabe einer ausgebildeten Sklavin deine Dienste anzubieten.«