»Dieses Geheimnis könnte zweifellos von den Bewohnern des Sardargebirges gelöst werden«, sagte ich. »Welchen Fortschritt hat man fortan mit dem Ring aus der Tahari gemacht?«
»Der Tahari-Ring ist nie im Sardargebirge eingetroffen«, antwortete Samos. »Das erfuhr ich erst vor einem Monat.«
Ich bezwang meine Zunge. Wie betäubt saß ich hinter dem Tisch.
»Wem hattest du den Ring anvertraut, um ihn ins Sardargebirge zu bringen?«
»Einem unserer zuverlässigsten Agenten«, erwiderte Samos.
»Wem?«
»Shaba, dem Geographen aus Anango, dem Erforscher des Ushindi-Sees, dem Entdecker des Ngao-Sees und Ua-Flusses.«
»Zweifellos ist ihm etwas Übles zugestoßen«, sagte ich.
»Ich nehme es nicht an.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Dieser Ring«, antwortete Samos und deutete auf das Schmuckstück vor uns, »wurde in der Habe des Mädchens gefunden, das sich jetzt unten in der Tharlarionzelle befindet. Sie hatte den Ring in Besitz, als Bejar ihr Schiff kaperte.«
»Dann ist es bestimmt nicht der fünfte Ring.«
»Aber was will man damit?« fragte Samos.
Ich zuckte die Achseln. »Keine Ahnung!«
»Schau mal«, sagte Samos und legte die Hand auf einen flachen schwarzen Kasten von der Art, wie sie oft zur Aufbewahrung von Papieren verwendet werden. In den Kasten war ein Tintenfaß und eine Rinne für Schreibfedern eingebaut. Er öffnete das Behältnis und zog mehrere zusammengefaltete Papiere heraus, Briefe, deren Siegel erbrochen waren.
»Diese Papiere wurden ebenfalls bei unserer blonden Gefangenen gefunden«, sagte Samos.
»Was sind das für Dokumente?« fragte ich.
»Hier haben wir Reisepapiere«, antwortete er, »und eine Cos-Bürgerschaftsbescheinigung zweifellos gefälscht. Am wichtigsten aber sind Empfehlungsbriefe und Kreditbriefe auf verschiedene Banken in Schendis Straße der Münzen.«
»An wen sind die Empfehlungsschreiben gerichtet?« fragte ich. »Und auf wen lauten die Kreditbriefe?«
»Ein Brief ist an einen gewissen Msaliti gerichtet«, antwortete Samos, »und der andere an Shaba.«
»Und die Kreditbriefe?«
»Sie lauten auf Shaba.«
»Dann sieht es ganz so aus«, sagte ich, »als hätte Shaba die Absicht, den Agenten der Kurii den Brief auszuhändigen, dafür ein Honorar entgegenzunehmen und dann den Ring, den wir vor uns liegen haben, ins Sardargebirge weiterzubefördern.«
»Ja«, sagte Samos.
»Die Priesterkönige würden aber beim Drücken des Schalters sofort merken, daß der Ring falsch ist«, sagte ich. »Ach so!« fügte ich hinzu.
»Ja, das befürchte ich auch«, sagte Samos. »Ich nehme an, wenn der Schalter gedrückt wird, ereignet sich eine Explosion.«
»Der Ring dürfte eine Bombe sein.«
Samos nickte. Infolge von Gesprächen mit mir und seiner Arbeit für das Sardargebirge war er natürlich mit bestimmten technologischen Möglichkeiten vertraut. Wie die meisten Goreaner hatte er jedoch noch nie eine Detonation selbst erlebt.
»Es wäre wohl wie ein Blitz«, sagte er langsam.
»Es könnten Priesterkönige ums Leben kommen«, sagte ich.
»Ein Keil des Mißtrauens könnte sich zwischen Menschen und Priesterkönige schieben«, erklärte Samos.
»Und dafür hätten die Kurii den Ring zurück, und Shaba wäre ein reicher Mann.«
»Sieht so aus«, sagte Samos.
»Das Schiff hatte Schendi zum Ziel?«
»Natürlich.«
»Glaubst du, das Mädchen da unten weiß von diesen Dingen?«
»Nein«, gab Samos zurück, »ich glaube, sie ist sorgfältig dafür ausgesucht worden, den Ring und die Papiere zu überbringen und sonst nichts. Wahrscheinlich warten in Schendi schon erfahrenere Kur-Agenten, um den Ring, sobald er ausgehändigt worden ist, in Empfang zu nehmen.«
»Vielleicht sogar Kurii«, sagte ich.
»Das Klima würde einem Kur sehr zu schaffen machen«, meinte er, »aber unmöglich ist es nicht.«
»Bestimmt hat Shaba sich versteckt«, fuhr ich fort. »Ich halte es nicht für wahrscheinlich, daß ich ihn ausfindig machen kann, indem ich einfach nach Schendi reise.«
»Wahrscheinlich kann man ihn über Msaliti aufspüren«, sagte er.
»Das mag eine schwierige Sache werden«, vermutete ich.
Samos nickte. »Shaba ist ein sehr intelligenter Mann. Msaliti weiß vermutlich nicht, wo er steckt. Allerdings können wir davon ausgehen, daß Shaba sich mit Msaliti in Verbindung setzt und nicht umgekehrt – und wenn Shaba einen Verdacht schöpft, läßt er sich vielleicht nicht mehr blicken.«
»Folglich ist das Mädchen der Schlüssel zum Aufenthaltsort Shabas«, sagte ich. »Und das ist auch der Grund, warum ich sie nicht verhören durfte. Das ist der Grund, warum sie nicht einmal wissen darf, daß sie in deiner Gewalt gewesen ist.«
»Genau«, sagte Samos. »Sie darf keinerlei Informationen über ihre derzeitige Gefangenschaft haben.«
»Es ist bekannt oder wird sich bald herumsprechen, daß Bejar ihr Schiff aufgebracht hat«, fuhr ich fort. »Zweifellos liegt es längst als Prise an seiner Pier. So kann man sie nicht einfach freilassen und wegschicken. Niemand würde das glauben. Man würde vielmehr gleich eine List vermuten, man würde sie als Lockvogel für Shaba ansehen.«
»Wir müssen versuchen, den Ring zurückzubekommen«, sagte Samos, »oder schlimmstenfalls verhindern, daß er in die Hände der Kurii fällt.«
»Shaba wird Wert auf die Kreditbriefe legen«, sagte ich, »während es den Kurii auf den Ring ankommt. Ich glaube, er oder sie oder beide werden sehr daran interessiert sein, mit unserer hübschen Gefangenen in Kontakt zu kommen.«
»Genau das habe ich mir auch gesagt«, meinte Samos.
»Es dürfte bald bekannt sein, daß sie von Bejar gefangengenommen wurde«, sagte ich. »Wenn seine anderen weiblichen Gefangenen zur Auktion kommen, sollte sie als eine unter vielen mit dabei sein.«
»Die Gefangenen werden als Sklavinnen verkauft«, sagte Samos. »Ich lasse das Mädchen in einen Sklavensack stecken und zu Bejar zurückschicken.«
»Richtig. Und ich nehme verkleidet an dem Verkauf teil«, sagte ich, »und beobachte, wer sie ersteht.«
»Das könnte irgend jemand sein«, sagte Samos. »Vielleicht wird sie von einem Urt-Jäger oder einem Rudermacher gekauft. Was dann?«
»Na, dann gehört sie eben einem Urt-Jäger oder einem Rudermacher«, sagte ich. »Wenn es dazu kommt, legen wir uns einen neuen Plan zurecht.«
»Gut«, sagte Samos und reichte mir den Ring und die Papiere.
»Die Sachen brauchst du vielleicht«, sagte er, »falls du Shaba begegnest. Vielleicht kannst du dich als Kur-Agent ausgeben – er kennt dich ja nicht – und die Kur-Kreditbriefe gegen den echten Ring eintauschen. Wir könnten dann das Sardargebirge warnen, damit man auf Shaba mit dem falschen Ring gefaßt ist und mit ihm nach Belieben verfährt.«
»Ausgezeichnet«, sagte ich. »Diese Unterlagen verbreitern natürlich die Grundlage für unsere Strategie.« Ich brachte Ring und Papiere in meiner Robe unter.
»Ich bin optimistisch«, sagte Samos.
»Ich auch«, gab ich zurück.
»Aber hüte dich vor Shaba!« meinte er. »Er ist ein gewiefter Mann. Er läßt sich bestimmt nicht so ohne weiteres hinters Licht führen.«
Samos und ich standen auf.
»Seltsam«, sagte ich, »daß die Ringe nie nachgebaut wurden.«
»Dafür gibt es sicher einen Grund«, meinte Samos.
An der Tür blieb Samos stehen.
»Du darfst nicht über Schendi hinaus ins Landesinnere vordringen«, sagte er. »Das ist Bila Hurumas Reich.«
»Soviel ich weiß, ist er ein großer Ubar.«
»Er ist aber auch ein sehr gefährlicher Mann«, gab Samos zurück, »und wir leben in schwierigen Zeiten.«
»Er ist ein Mann mit Weitblick«, sagte ich.
»Und läßt sich von einer Gier lenken, die kein Erbarmen kennt.«
»Aber sein Weitblick führt immerhin dazu, daß er den Ushindi- und den Ngao-See mit einem Kanal durch die Sümpfe verbinden will, die dadurch trockengelegt werden, nicht wahr?«