Das Mädchen hörte mich kommen, zog hastig die Beine an, sprang auf und drehte sich zu mir um. Sie lächelte strahlend. Ihr Gesicht war hübsch.
»Tal«, sagte sie.
»Tal«, gab ich zurück.
»Du bist kräftig«, bemerkte sie.
Wir befanden uns in der Nähe des Piers der Roten Urt – in keinem sehr einladenden Bezirk.
Ich stellte meinen Seesack ab. »Es ist gefährlich hier«, sagte ich. »Du müßtest längst zu Hause sein.«
»Ich habe kein Zuhause«, antwortete sie und fuhr mir mit der Fingerspitze spielerisch über die Schulter. »Wer würde schon einem kleinen Urt-Mädchen etwas tun?«
»Was willst du?« fragte ich. Das leise Geräusch hinter mir hatte ich nicht überhört.
»Für einen Tarsk bin ich dir zu Gefallen«, sagte sie, »auch als Sklavin, wenn du möchtest.«
»Wenn ich eine Sklavin will«, antwortete ich, »nehme ich mir eine echte Sklavin und keine freie Frau, die so tut, als wäre sie versklavt.«
Zornig richtete sie sich auf. »Ich bin willig und hübsch«, sagte sie. »Versuch’s doch mal mit mir!«
Ich berührte sie an der Hüfte. Sie fühlte sich gut an. Anschließend faßte ich sie an den Oberarmen und blickte ihr in die Augen. Sie hob die Lippen meinem Mund entgegen.
»Nein!« schrie sie mit flackerndem Blick, als ich sie urplötzlich hochriß und mich dabei drehte – sie wußte sofort, daß sie damit in die Bahn des Hiebes gebracht wurde. Ihren schlaffen Körper ließ ich sofort zu Boden fallen.
»Du solltest den Atem anhalten«, sagte ich zu dem Mann, »wenn du dich anschleichst. Außerdem solltest du schon frühzeitig den Arm heben, damit das Rascheln deines Ärmels dich nicht verrät. Schließlich müßte das Mädchen die Augen geschlossen halten, damit sie nicht als Spiegel dienen.« Es hatte mir keine Mühe gemacht, seine Annäherung zu erspüren. Die Sinne eines Kriegers sind nun mal geübt – schließlich mag das Leben davon abhängen.
Mit einem Wutschrei griff der Mann an. Ich umfaßte seine ungeschickte rechte Hand, die den Knüppel hielt, drehte sie herum und schleuderte ihn mit dem Gesicht nach unten zu Boden. Bewußtlos blieb er liegen. Ich nahm ein Stück Schnur aus meinem Seesack und fesselte ihn. Dann wandte ich mich dem Mädchen zu. Sie hielt ich einen Augenblick lang in das kalte Kanalwasser. Als ich sie wieder hochzerrte, schnappte sie nach Luft. Ihr Haar und ihre kurze Tunika waren tropfnaß. »Bitte laß mich gehen!« flehte sie. »Man würde mich versklaven!«
»Weißt du noch, was du zu mir sagtest, ehe ich dich umdrehte?« fragte ich.
»Nein.«
»Komm, sag’s noch einmal!«
»Ich bin willig und hübsch«, stammelte sie. »Probier’s mal mit mir …«
»Na schön«, sagte ich.
Ich zwang sie, mir zu dienen, soweit eine freie Frau dazu in der Lage ist.
Sie blickte zu mir auf. »Habe ich dir gut gedient?« fragte sie. Tränen funkelten in ihren Augen.
»Ja.«
»Dann laß mich frei!«
Anstelle einer Antwort begann ich sie an den Mann zu fesseln, der noch bewußtlos am Kanalufer lag. So würden die Wächter die beiden finden.
»Man wird ihn verbannen und mir den Sklavenkragen anlegen«, sagte sie.
»Ja«, gab ich zurück.
Ich kniete neben ihr nieder. Aus dem Beutel nahm ich eine Tarskmünze und steckte sie ihr in den Mund. Da ich nicht die Absicht hatte, sie selbst zur Sklavin zu machen, erschien es mir angebracht, sie für ihre Dienste zu entlohnen. Ich zahlte ihr den Preis, den sie selbst genannt hatte.
Ich richtete mich auf, schulterte meinen Seesack und setzte pfeifend meinen Weg zur Pier der Roten Urt fort, wo Ulafis Schiff zu finden war, die Schendi-Palme.
Gleich darauf beschleunigte ich meine Schritte, denn ein Alarm wurde angeschlagen.
Hinter mir ertönten eilige Schritte, und ich drehte mich um. Ein dunkelhäutiger Seemann eilte an mir vorbei in Richtung Hafen. Ich folgte ihm.
4
»Wie lange wird sie schon vermißt?« fragte ich.
»Gut eine Ahn«, antwortete ein Mann. »Der Alarm ist aber erst jetzt geläutet worden.«
Wir standen in der Nähe des hohen Pults, an dem der Pier-Praetor seines Amtes waltete.
»Es schien kein Grund zu bestehen, früher darauf aufmerksam zu machen«, sagte der Mann. »Man konnte davon ausgehen, daß Wächter oder die Besatzung der Schendi-Palme sie recht bald aufspüren würden.«
»Sie sollte an Bord dieses Schiffes gehen?« fragte ich.
»Ja«, entgegnete der Mann. »Jetzt muß man ihr wohl die Füße abhacken.«
»Ist es ihr erster Fluchtversuch?« erkundigte sich jemand.
»Keine Ahnung«, lautete die Antwort.
»Was soll die ganze Aufregung um eine geflohene Sklavin?« rief ein Mann mit zerrissener Kleidung dem ein Ohr blutete. »Mich hat man ausgeraubt! Was tust du dagegen?«
»Geduld!« sagte der Pier-Praetor. »Wir kennen das Pärchen. Seit Wochen suchen wir nach den beiden.« Der Praetor reichte einem seiner Wächter ein Stück Papier. Etliche Männer standen in unserer Gruppe. Ein anderer Wächter hörte auf, die Alarmstange zu schlagen, die auf einem benachbarten Lagerhaus an einem Mast hing.
»Haltet nach einer geflohenen Sklavin Ausschau!« rief der Wächter. »Sie ist blond und hat blaue Augen. Sie ist eine Barbarin. Als man sie zuletzt sah, war sie nackt.«
Ich nahm nicht an, daß es lange dauern würde, sie wieder einzufangen. Es war dumm von ihr, die Flucht zu wagen. Für ein Mädchen wie sie gab es kein Entkommen. Andererseits trug sie noch kein Brandzeichen und keinen Sklavenkragen. Es mochte problematisch sein, sie sofort zu finden.
»Wie ist sie denn entkommen?« fragte ich einen Mann neben mir.
»Varts Helfer hat sie auf der Pier abgeliefert«, lautete die Antwort. »Er ließ sie inmitten der Fracht niederknien, die auf die Schendi-Palme verladen werden sollte. Man gab ihm eine Quittung für sie, und dann zog er wieder ab.«
»Er hat sie nicht an Händen und Füßen gefesselt?« fragte ich.
»Nein«, antwortete der Mann. »Aber wer hätte das auch für nötig gehalten?«
Ich nickte. Seine Worte waren logisch. Innerlich aber lächelte ich. Sie hatte einfach die Ladezone verlassen, sobald niemand mehr auf sie achtete, sie hatte sich unbemerkt entfernt. Wären ihre Kenntnisse über Gor ausgedehnter gewesen, hätte sie es nicht ohne weiteres gewagt zu fliehen. Sie begriff noch nicht, daß sie jetzt eine Sklavin war. Sie hatte noch nicht erfaßt, daß die Flucht einem Wesen wie ihr für alle Zeit verboten war.
»Bringt das Mädchen zum Praetor dieser Pier zurück!« setzte der Wächter seine Ausrufung fort.
»Was ist mit den beiden, die mich ausgeraubt haben?« rief der Mann mit der zerrissenen Kleidung und dem blutigen Ohr.
»Du bist nicht der erste«, sagte der Praetor von der Höhe seines Pultes herab. »Auf sie gibt es längst einen Steckbrief.«
»Wer hat dich ausgeraubt?« fragte ich den Mann.
»Ich glaube, es waren zwei«, antwortete er. »Ein dunkelhaariges Urt-Mädchen in einer braunen Tunika. Ich wurde von hinten niedergeschlagen. Anscheinend hat sie einen männlichen Komplizen.«
»Sie verwickelte dich in ein Gespräch?« fragte ich. »Und als du dann abgelenkt warst, wurdest du von hinten angegriffen?«
»Ja«, antwortete der Mann mürrisch.
»Ich habe vorhin zwei Personen gesehen, auf die die Beschreibung paßt«, sagte ich. »Und zwar auf dem Nordweg des Rand-Kanals, der ganz in der Nähe dieser Pier mündet.«
»Wir schicken zwei Wächter los«, sagte der Praetor. »Vielen Dank für die Information, Bürger!«
»Sicher sind sie längst fort«, meinte der Überfallene.
»Vielleicht noch nicht«, mutmaßte ich.
Der Praetor schickte zwei Mann los, die sich schnellen Schrittes in Richtung Rand-Kanal entfernten.
»Haltet nach einer entflohenen Sklavin Ausschau!« rief der Wächter über die Menge hinweg. Ich hörte, wie er weitere Informationen hinzufügte, die ihm offenbar soeben von einem Pier-Läufer übermittelt worden waren. Sie umfaßten aber kaum mehr als die Maße des Mädchens, die Varts Verkaufsunterlagen entnommen werden konnten.