Meine Hand begann zu zittern.
»Shaba«, fuhr Bila Huruma fort, »hat mich gebeten, dir seinen Dank auszurichten – und seine Entschuldigung. Er brauchte den Ring, weißt du. Am Ua-Fluß hat er ihm gute Dienste geleistet, wie du dir vorstellen kannst.«
»Seinen Dank?« fragte ich. »Seine Entschuldigung?«
»Er hatte den Ring gewissermaßen geliehen«, fuhr Bila Huruma fort. »Er wollte ihn nicht für immer behalten. Er hoffte, daß es dir nichts ausmachen würde.«
Ich brachte kein Wort heraus.
»Er hatte die Absicht, dir den Ring persönlich zurückzugeben«, erklärte Bila Huruma, »aber der überraschende Angriff der Ungeheuer kam ihm dazwischen.«
Ich schloß die Hand um den Ring. »Weißt du, was du mir da gibst?« fragte ich.
»Ein Ring von großer Macht«, sagte Bila Huruma, »ein Schmuckstück, das seinem Besitzer den Mantel der Unsichtbarkeit umlegen kann.«
»Mit einem solchen Ring könntest auch du selbst unsichtbar sein«, sagte ich.
»Mag sein«, sagte Bila Huruma lächelnd.
»Warum gibst du ihn mir?«
»Es war Shabas Wunsch«, antwortete Bila Huruma.
»Ich hatte es kaum für möglich gehalten, daß es solche Freundschaften gibt«, sagte ich.
»Ich bin ein Ubar«, sagte Bila Huruma. »In meinem ganzen Leben habe ich nur zwei Freunde gehabt. Jetzt sind beide tot.«
»Shaba war der eine«, sagte ich.
»Natürlich«, sagte Bila Huruma.
»Wer war der andere?« wollte ich wissen.
»Den anderen habe ich töten lassen«, sagte er.
»Und wie hieß er?«
»Msaliti«, antwortete er.
55
»Fahren wir!« rief Kisu.
Der Ubar und ich stiegen gemeinsam die mächtige Treppe hinab.
In diesem Augenblick gab es die Explosion. Sie ereignete sich in mehreren Pasang Entfernung. Ein greller Lichtblitz zuckte auf. Eine gewaltige Feuersäule stürmte vor dem tropischen Himmel empor. Eine riesige Staubund Blätterwolke breitete sich aus. Die Erde bebte, das Wasser des Shaba-Sees geriet in Bewegung. Männer schrien auf, Mädchen kreischten. Wir spürten eine heiße Luftwelle und sahen Bäume umstürzen. Felsbrocken, Äste und andere Bruchstücke regneten hernieder.
Dann war es wieder still, bis auf die Wellen, die gegen die Kaimauern und die hölzernen Schiffsflanken klatschten. Im Südwesten breitete sich am Himmel ein dunkler Fleck aus. Hier und dort brannten die Wipfel noch stehender Bäume. Dann verschwanden die Brände einer nach dem anderen, denn sie kamen gegen die lebendige Frische des Holzes nicht lange an.
»Was war das?« fragte Kisu.
»So etwas wird Explosion genannt«, erklärte ich.
»Und was hat das zu bedeuten?« fragte Bila Huruma.
»Es bedeutet, glaube ich, daß wir nun wohl auf der Fahrt flußabwärts nichts mehr zu befürchten haben«, sagte ich.
Ich lächelte vor mich hin. Der falsche Ring würde nicht mehr im Sardargebirge abgeliefert werden.
»Dann wollen wir ablegen«, sagte Bila Huruma.
»Leinen loswerfen!« rief ich den Männern zu.
Nach kurzer Zeit standen die vier Galeeren und die Kanus, zu denen auch unser Boot zählte, wieder auf dem See.
Ich band mir den Tahari-Ring um den Hals, wo er der goldenen Kette Bila Hurumas Gesellschaft leistete. Dicht neben mir, in wasserdichte Ölfelle eingewickelt, an ein schwimmfähiges Floß gebunden, ruhten das Kartenbehältnis und die Notizen Shabas.
Ich blickte zur Stadt zurück und auch auf die dunkle Stelle am südwestlichen Himmel.
Dann tauchte ich das Paddel ins Wasser und trieb unser Kanu an.
56
»Wo ist Aibu?« rief Kisu.
Wir standen auf dem großen Platz Nyundus, des Hauptdorfes der Ukungu-Region.
Mwoga, einen Speer in der Hand, einen Schild am Arm, kam ins Freie, um uns zu begrüßen. »Er ist tot«, sagte Mwoga.
Tende, die hinter Kisu stand, schrie bekümmert auf.
»Wie ist er gestorben?« fragte Kisu.
»Durch Gift«, antwortete Mwoga. »Ich bin jetzt der Häuptling von Ukungu.«
»Mein Speer behauptet, daß das nicht stimmt«, sagte Kisu.
»Mein Speer behauptet, daß es die Wahrheit ist«, gab Mwoga zurück.
»Dann sollen die Waffen entscheiden«, sagte Kisu.
Normalerweise werden die Schneiden der Ukungu-Speere durch kleine Lederstreifen geschützt. Mwoga und Kisu hatten diese Binden von den Waffen genommen. Die Schneiden der Lanzen schimmerten. Beide Männer trugen Schilde. Der Ukungu-Schild ist gewöhnlich mit einem Federbüschel verziert.
»Ich würde einen besseren Mfalme abgeben als Aibu«, sagte Mwoga. »Deswegen habe ich ihn umbringen lassen.«
Der Kampf war kurz, und schon zog Kisu seine blutige Speerspitze aus Mwogas Brust, der vor ihm am Boden lag.
»Du kämpfst gut«, sagte Bila Huruma. »Sorgst du nun dafür, daß jene, die Mwoga unterstützt haben, umgebracht werden?«
»Nein«, antwortete Kisu. »Gegen sie habe ich nichts. Es sind meine Stammesgenossen. Sie dürfen friedlich in den Dörfern von Ukungu weiterleben.«
»Es gab einmal eine Zeit«, sagte Bila Huruma zu Kisu, »da warst du kaum mehr als ein Kailiauk und übtest die Sturheit und Grobheit dieses Tiers, schnell zu erzürnen, gedankenlos in deinen Attacken. Jetzt sehe ich, daß du etwas von der Weisheit gelernt hast, die einen Mfalme auszeichnet.«
Kisu zuckte die Achseln.
»Begleite uns weiter nach Ushindi«, sagte Bila Huruma. »Msaliti ist tot. Ich brauche einen Mann, der in meinem Reich die zweite Position übernimmt.«
»Es ist besser, in Ukungu an erster Stelle zu stehen«, sagte Kisu, »als im Reich an zweiter.«
»Du stehst in Ukungu an erster Stelle«, sagte Bila Huruma und gab dem anderen damit seine Macht zurück.
»Ich werde dich von Ukungu aus bekämpfen«, kündigte Kisu an.
»Warum?« fragte Bila Huruma.
»Ich will, daß Ukungu frei ist.«
Bila Huruma lächelte. »Ukungu ist frei«, sagte er.
Ringsum wurden Rufe des Erstaunens laut.
»Säubere jetzt die Klinge deines Speers«, sagte Bila Huruma. »Stecke sie wieder in die schützenden Lederstreifen.«
»Das soll geschehen«, sagte Kisu.
Kisu reichte einem der Dorfbewohner seine Waffen. Dann umarmten sich er und Bila Huruma.
So kam Frieden nach Ukungu und in das Reich.
57
»Sei gegrüßt«, sagte Kapitän Ulafi zu mir.
»Sei gegrüßt«, antwortete ich.
»Ist das die kleine Unruhestifterin?« fragte er und betrachtete Janice, die am Kai von Schendi kniete.
Janice senkte den Kopf. »Verzeih mir, Herr«, sagte sie, »wenn ich dir einmal mißfallen habe.«
»Wie schön sie geworden ist«, sagte Ulafi. »Man kann sich kaum vorstellen, daß es dasselbe Mädchen ist.« Er betrachtete sie. »Sie ist ein sinnlicher Traum«, sagte er.
»Sie ist Sklavin«, antwortete ich achselzuckend.
»Wie dumm doch Männer sind, die einer Frau die Freiheit schenken«, sagte er.
»Mag sein«, äußerte ich.
»Du möchtest wieder auf der Schendi-Palme fahren?« fragte er. »Zurück nach Port Kar?«
»Mit deiner Erlaubnis, Kapitän«, sagte ich.
»Es ist alles arrangiert«, sagte er, und ich drückte ihm den vereinbarten Betrag in die Hand.
»Wir legen bald ab«, sagte er. »Mit der Flut.«
Als ich nach Schendi zurückkehrte, hatte ich Botschaften vom Hofe Bila Hurumas bei mir. Die Beträge, die ich bei meiner Verhaftung in Schendi verloren hatte, waren mir zurückerstattet worden. Außerdem hatte ich meinen Seesack samt Inhalt zurückerhalten, und zwar von der Frau, die mir an der Straße der Gewerbe das Zimmer vermietet hatte. Der Seesack lag jetzt zu meinen Füßen. Darin befand sich unter anderem eine Goldkette, die ich vor langer Zeit von Bila Huruma zum Geschenk erhalten hatte. Sie hatte mich auf meiner äquatorialen Odyssee ein gutes Stück begleitet. Auf der Brust trug ich unter meiner Tunika den Tahari-Ring, an einer Lederschnur hängend, die um meinen Hals führte.