»Ah! ah! Du schleppst also die alte Lardille immer noch nach?« –»Sie wollte mir folgen.«
»Konntest du nicht insgeheim abreisen, statt dich mit diesem Volke zu beschweren, das an ihrem Rocke hängt?« – »Unmöglich, sie hat den Brief des Anwaltes geöffnet.«
»Ah! Du hast die Nachricht von der Erbschaft durch einen Brief erhalten?« – »Ja,« antwortete Miradoux. Dann rief er, hastig das Gespräch wechselnd: »Ist es nicht seltsam, daß dieses Gasthaus voll, und zwar von Landsleuten voll ist?«
»Nein, das ist nicht seltsam, das Schild macht Leuten von Ehre Appetit,« unterbrach ihn unser alter Bekannter Perducas von Pincorney, sich in das Gespräch mischend.
»Oh! Ihr seid es, Kamerad,« versetzte Sainte-Maline, »Ihr habt mir noch immer nicht erklärt, was Ihr mir bei der Grève erzählen wolltet, als uns die Menge trennte.«
»Und was wollte ich Euch erklären?« fragte Pincorney, ein wenig errötend.
»Wie es kommt, daß ich Euch zwischen Angoulême und Angers begegnet bin, und daß ich Euch heute zu Fuß, ein Stöckchen in der Hand und ohne Hut sehe?« – »Das ist ganz einfach.«
»Ich finde das nicht.« – »Doch wohl, und Ihr werdet es begreifen. Mein Vater hat zwei prächtige Pferde, auf die er so große Stücke hält, daß er imstande ist, mich zu enterben nach dem Unglück, das mir begegnete.«
»Welches Unglück ist Euch begegnet?« – »Ich ritt auf dem schönsten spazieren, als plötzlich zehn Schritte von mir ein Büchsenschuß losgeht, mein Pferd scheu wird und auf der Straße nach der Dordogne fortrennt.« »Wo es hineinstürzt?« – »Ja.«
»Mit Euch?« – »Nein, zum Glück hatte ich noch Zeit gehabt, zu Boden zu gleiten, sonst wäre ich mit ihm ertrunken.«
»Ah! ah! das arme Tier ist ertrunken!« –»Pardioux! Ihr kennt die Dordogne, eine halbe Meile breit.«
»Und dann?« – »Dann beschloß ich, nicht nach Hause zurückzukehren und mich soweit als möglich dem väterlichen Zorne zu entziehen.«
»Aber Euer Hut?« – »Wartet doch beim Teufel! Mein Hut war herabgefallen.«
»Wie Ihr?« – »Ich war nicht herabgefallen, ich hatte mich zu Boden gleiten lassen; ein Pincorney fällt nicht vom Pferde, die Pincorney sind Stallmeister in der Wiege.«
»Das ist bekannt,« sagte Sainte-Maline, »aber Euer Hut?« – »Mein Hut war also herabgefallen, ich suchte ihn, denn es war meine einzige Hilfsquelle, da ich mich ohne Geld von Hause wegbegeben hatte.«
»Wie konnte Euer Hut eine Hilfsquelle für Euch sein?« fragte Sainte-Maline, entschlossen, Pincorney durch seine Beharrlichkeit in die Enge zu treiben. – »Sandioux! und zwar eine große! Ich muß Euch sagen, daß die Feder dieses Hutes von einer Diamantenagraffe gehalten wurde, die Seine Majestät Kaiser Karl V. meinem Großvater schenkte, als er auf seiner Reise von Spanien nach Flandern in unserem Schlosse anhielt.«
»Ah! Ihr habt die Agraffe verkauft und den Hut damit. Dann, mein Freund, müßt Ihr der Reichste von uns allen sein.« – »Wartet doch! in dem Augenblick, wo ich mich umdrehe, um meinen Hut zu suchen, sehe ich einen ungeheuren Raben, der darüber herfällt.«
»Über Euren Hut?« –, »Oder vielmehr über meinen Diamanten; Ihr wißt, daß dieses Tier alles stiehlt, was glänzt; es fällt also über meinen Diamanten her und stiehlt Ihn.« »Euern Diamanten?« – »Ja, mein Herr. Ich folge ihm zuerst mit den Augen, dann laufe ich ihm nach und rufe: ›haltet den Dieb!‹ Die Pest! nach fünf Minuten war er verschwunden, und ich habe nie mehr von ihm sprechen hören.«
»Und durch diesen doppelten Verlust niedergebeugt ...« – »Wagte ich es nicht mehr, in das elterliche Haus zurückzukehren und entschloß mich, mein Glück in Paris zu suchen.«
»Schön!« sagte ein dritter, »der Wind hat sich also in einen Raben verwandelt? Ich habe Euch, glaube ich, Herrn von Loignac erzählen hören, beschäftigt, einen Brief Eurer Geliebten zu lesen, habe Euch der Wind Brief und Hut fortgenommen, als wahrer Amadis wäret Ihr dem Brief nachgelaufen und hättet den Hut Hut sein lassen.«
Halb unterdrücktes Gelächter machte sich hörbar.
»Ei! ei! meine Herren,« sagte der reizbare Gaskogner, »sollte man etwa über mich lachen?«
Jeder wandte sich ab, um bequemer lachen zu können.
Perducas schaute forschend umher und erblickte am Kamin einen jungen Mann, der seinen Kopf in seinen Händen verbarg.
Er ging auf ihn zu und sagte: »Ei! mein Herr, wenn Ihr lacht, lacht mir wenigstens ins Gesicht, damit man Euer Antlitz sieht.«
Und er klopfte dem jungen Mann auf die Schulter, der ganz ernst und nachdenkend seine Stirn erhob, es war kein anderer als unser Freund Ernauton von Carmainges, der sich von dem Abenteuer auf der Grève noch ganz betäubt fühlte.
»Ich bitte Euch, mich in Ruhe zu lassen,« erwiderte er, »und besonders, wenn Ihr mich noch einmal berührt, mich mit der Hand zu berühren, an der Ihr einen Handschuh habt; Ihr seht wohl, daß ich mich nicht mit Euch beschäftige.«
»Wenn Ihr Euch nicht mit mir beschäftigt,« brummte Pincorney, »so habe ich nichts zu sagen.« »Ah! mein Herr,« sagte Eustache von Miradoux zu Carmainges, »bei den versöhnlichsten Absichten seid Ihr nicht höflich gegen unsern Landsmann.«
»Worein, zum Teufel, mischt Ihr Euch?« entgegnete Ernauton immer ärgerlicher.
»Ihr habt recht, mein Herr,« sagte Miradoux, sich verbeugend, »das geht mich nichts an.«
Und er wandte sich auf den Absätzen um und wollte zu Lardille zurückkehren, die in einer Ecke am großen Kamin saß, aber es versperrte ihm jemand den Weg.
Es war Militor, mit seinen beiden Händen im Gürtel und mit seinem höhnischen Lächeln auf den Lippen.
»Sagt doch, Stiefvater,« machte der Taugenichts. »Was sagt Ihr zu der Art und Weise, wie dieser Edelmann Euch abgeführt hat? Er hat Euch gehörig gebeutelt.«
»Ah! Du hast das bemerkt?« erwiderte Eustache, indem er Militor auf die Seite zu schieben suchte.
»Nicht nur ich,« sagte Militor ihm wieder entgegen, »sondern jeder, seht nur, wie alle um uns her lachen.«
Man lachte wirklich, doch nicht mehr hierüber, sondern über andere Dinge.
Eustache wurde rot wie eine glühende Kohle.
»Auf, auf, Stiefvater, laßt die Sache nicht kalt werden,« sagte Militor.
Eustache warf sich in die Brust, ging auf Carmainges zu und sagte zu ihm: »Mein Herr, man behauptet, Ihr hättet besonders unangenehm gegen mich sein wollen?«
»Wann dies?« – »Soeben.«
»Gegen Euch?« – »Gegen mich.«
»Wer behauptet dies?« – »Dieser Herr,« antwortete Eustache, auf Militor deutend.
»Dann ist dieser Herr,« entgegnete Carmainges mit einem besonderen Nachdruck auf die Betitelung, »dann ist dieser Herr ein Starmatz.« – »Oh! oh!« machte Militor wütend. »Und ich fordere ihn auf,« fuhr Carmainges fort, »mit dem Schnabel fern von mir zu bleiben, oder ich werde mich an Loignacs Rat erinnern.«
»Herr von Loignac hat nicht gesagt, ich wäre ein Starmatz.«
»Nein, er hat gesagt, Ihr wäret ein Esel, zieht Ihr das etwa vor? Mir ist wenig daran gelegen; seid Ihr ein Esel, so gebe ich Euch die Peitsche, seid Ihr ein Starmatz, so rupfe ich Euch.«
»Mein Herr,« sagte Eustache, »es ist mein Stiefsohn; ich bitte Euch, behandelt ihn besser aus Rücksicht für mich.«
»Ah! so verteidigt Ihr mich, Stiefvater,« rief Militor außer sich; »da werde ich mich besser allein verteidigen.«
»In die Schule mit diesen Kindern, in die Schule!« sagte Ernauton.
»In die Schule?« rief Militor, mit aufgehobener Faust gegen Herrn von Carmainges vorrückend, »ich bin siebzehn Jahre alt, versteht Ihr wohl, mein Herr?«
»Und ich bin fünfundzwanzig,« entgegnete Ernauton, »und deshalb will ich Euch, wie Ihr es verdient, zurechtweisen.«