Dom Modeste Gorenflot nahm mit großem Gepränge Besitz von seiner Priorei der Jakobiner. Ehicot wählte die Nacht, um in Paris einzuschlüpfen. Er kaufte bei der Porte Bussy ein kleines Haus, das ihn dreihundert Taler kostete, und wenn er Gorenflot besuchen wollte, so hatte er drei Wege, den durch die Stadt, der der kürzeste, den am Rande des Wassers, der der poetischste, und den längs der Mauern, der der sicherste war.
Aber Chicot, ein Träumer, wählte fast immer den an der Seine, und da der Fluß in jener Zeit noch nicht zwischen steinerne Mauern eingeschachtet war, so leckte das Wasser, wie der Dichter sagt, seine breiten Ufer, an denen die Bewohner der Cité mehr als einmal die lange Silhouette Chicots bei schönem Mondschein sich hervorheben sehen konnten.
Nachdem Chicot eingezogen war und seinen Namen verändert hatte, war er bemüht, auch sein Gesicht zu verändern; er nannte sich Robert Briquet und ging leicht vorwärts gebeugt; dann hatte ihn die beständige Unruhe und der Verlauf der letzten sechs Jahre beinahe kahl gemacht, so daß sein sonst krauses schwarzes Haar sich, wie das Meer bei der Ebbe, von seiner Stirn gegen sein Genick zurückgezogen. Überdies trieb er mimische Studien, indem er durch geschicktes Zusammenziehen das natürliche Spiel der Muskeln und das gewöhnliche Spiel der Physiognomie zu verändern suchte.
Die Folge war, daß Chicot, am hellen Tage gesehen, wenn er sich Mühe geben wollte, als ein wahrhafter Robert Briquet, das heißt, als ein Mensch erschien, dessen Mund von einem Ohr zum andern ging, dessen Kinn die Nase berührte und dessen Augen schielten, daß einem bange werden konnte.
Nur seine langen Arme und seine ungeheuren Beine konnte Chicot nicht verkürzen; da er aber sehr erfindungsreich war, so bog er, wie gesagt, seinen Rücken, so daß die Arme beinahe so lang waren wie seine Beine.
Mit diesen Übungen verband er die Vorsicht, daß er mit niemand eine Bekanntschaft anknüpfte. So ausgerenkt Chicot auch war, so konnte er doch nicht immer die gleiche Stellung behalten. Er führte also ein Klausnerleben, was übrigens seinem Geschmacke entsprach; seine ganze Zerstreuung bestand darin, daß er Gorenflot besuchte, mit dem er vollends den ausgezeichneten 1550er trank, den der würdige Prior gewissenhaft aus den Kellern von Beaune mitgenommen hatte.
Doch die gemeinen Geister sind Veränderungen unterworfen, wie die großen Geister; Gorenflot veränderte sich, Gott sei Dank! nicht physisch, aber moralisch. Er sah den, der bisher sein Geschick in seinen Händen hatte, in seine Macht und Diskretion gegeben. Chicot, der zum Mittagessen in die Priorei, kam, erschien ihm als ein Chicot-Sklave, und Gorenflot hielt von diesem Augenblick an zu viel von sich und nicht genug von Chicot.
Chicot sah die Veränderung seines Freundes, ohne sich dadurch beleidigt zu fühlen. Er hatte sich durch ähnliche Erfahrungen bei König Heinrich zu einer solchen Philosophie aufgeschwungen. Er hielt sich mehr zurück, das war alles. Statt alle zwei Tage in die Priorei zu gehen, ging er nur noch einmal in der Woche, dann alle vierzehn Tage, dann alle Monate dahin, Gorenflot war so aufgeblasen, daß er es gar nicht bemerkte.
Chicot war zu sehr Philosoph, um empfindlich zu sein; er lachte im Stillen über die Undankbarkeit Gorenflots und kratzte sich nach seiner Gewohnheit an der Nase und am Kinn.
»Das Wasser und die Zeit,« sagte er, »sind die zwei mächtigsten auflösenden Mittel, die ich kenne. Das eine löst den Stein auf und die andere die Eitelkeit. Warten wir.« Und er wartete.
Er war in diesem Warten begriffen, als die von uns erzählten Ereignisse eintraten. Da nun sein König, den er immer noch liebte, obwohl er gestorben war, ihm unter den neuen Verhältnissen einigen Gefahren preisgegeben zu sein schien, so entschloß er sich, ihm als Gespenst zu erscheinen und ihm in dieser Absicht allein die Zukunft vorherzusagen. Wir haben gesehen, wie geschickt sich Chicot dieser Aufgabe entledigte, und wollen ihm nun bei seinem Ausgang aus dem Louvre bis zu seinem kleinen Hause folgen. Die Serenade.
Um vom Louvre nach Hause zu kommen, hatte Chicot keinen weiten Weg zu gehen. Er stieg an dem steilen Ufer hinab und fuhr über den Fluß mit einem kleinen Schiffe, das er selbst lenkte und von der Rive de Nesle an den verlassenen Kai des Louvre gebracht hatte.
Unterwegs dachte er darüber nach, daß der König noch immer derselbe schwache und erhabene, phantastische und poetische Geist sei, ewig die selbstsüchtige Seele, die stets mehr verlange, als man ihr geben könne, ein unglücklicher König, ein armer König, mehr zu bedauern als irgendein Mensch seines Reiches. »Ich glaube,« sagte er bei sich, »nur ich habe diese seltsame Mischung von Üppigkeit und von Reue, von Gottlosigkeit und Aberglauben ergründet, wie nur ich allein den Louvre kenne, durch dessen Gemächer so viele Günstlinge gezogen sind, um in das Grab, in die Verbannung oder in die Vergessenheit zu wandern; wie ich auch nur allein ohne Gefahr mit dieser Krone spiele, die einstweilen den Geist von so vielen Leuten verbrennt, bis sie ihnen auch die Finger verbrennen wird.«
Als Chicot gelandet war und in die nahe Rue des Augustins kam, war er, sehr erstaunt, Stimmen und Instrumente zu hören, die das in so vorgerückter Stunde sonst so friedliche Viertel mit Harmonie erfüllten.
»Es ist also eine Hochzeit hier,« dachte er anfangs; »alle Wetter! Ich habe nur fünf Stunden geschlafen und werde nun wachen müssen, ich, der ich keine Hochzeit halte.«
Während er sich näherte, sah er einen großen Schein auf den Fensterscheiben der wenigen Häuser tanzen, die sich in dieser Straße fanden; der Schein wurde durch ein Dutzend Fackeln hervorgebracht, die Pagen und Lakaien trugen, indes vierundzwanzig Musiker unter den Befehlen eines besessenen Italieners aus Leibeskräften mit ihren Violen, Psaltern, Geigen, Zithern, Trompeten und Trommeln aufspielten.
Dieses Heer von Lärmmachern war in schöner Ordnung zu Chicots Verwunderung vor seinem eigenen Hause aufgestellt. Der unsichtbare General, der das Manöver leitete, hatte Musiker und Pagen so aufgestellt, daß alle gegen die Wohnung Robert Briquets gewendet waren.
Chicot schaute diese Erscheinung einen Augenblick erstaunt an und horchte auf das sonderbare Getöse. Dann schlug er mit seinen knochigen Händen auf seine Schenkel und sagte: »Das ist ein Irrtum, es ist nicht möglich, daß man für mich einen solchen Lärm macht.«
Hierauf trat er näher, mengte sich unter die Neugierigen, die die Serenade herbeigezogen hatte, und versicherte sich, aufmerksam umherschauend, daß alles Licht der Fackeln sich an seinem Hause abspielte, und daß niemand in der Menge sich im geringsten um das Haus gegenüber oder um die benachbarten Häuser kümmerte.
»In der Tat,« sagte Chicot zu sich selbst, »es ist für mich; sollte sich etwa eine unbekannte Prinzessin in mich verliebt haben?«
Diese Annahme, so schmeichelhaft sie auch war, schien indessen Chicot keineswegs zu überzeugen. Er wandte sich nach dem Hause um, das dem seinigen gegenüber stand.
Nur zwei Fenster dieses Hauses, die einzigen, die keine Läden hatten, fingen zuweilen Lichtblitze auf, während das arme Haus selbst alles Lebens beraubt zu sein schien.
»Man muß einen sehr harten Schlaf in diesem Hause haben,« sagte Chicot, »alle Teufel! ein solches Bacchanal müßte Tote erwecken.«
Währenddessen setzte das Orchester seine Symphonie fort, als ob es vor einer Versammlung von Königen und Kaisern gespielt hätte.
»Verzeiht, Freund,« fragte Chicot, sich an einen Fackelträger wendend, »könnt Ihr mir nicht sagen, für wen diese ganze Musik?«
»Für den Bürger, der hier wohnt,« antwortete der Diener, indem er Chicot Robert Briquets Haus bezeichnete.
»Es ist für mich, entschieden für mich,« dachte Chicot.