- Ja, ich sehe mir die Augen müde, kann aber auf der ganzen Ebene keines entdecken.
- Das liegt an der Helligkeit des Tages, Herr Nick, erklärte Lionel, entschlossen auf diesen scherzenden Ton einzugehen.
- Wenn wir vielleicht das alte Lied anstimmten:
Vorwärts, lustig, Bruder Kobold,
Vorwärts, lustig, Nachbar mein!.
Doch nein, der »Bruder« gibt keine Antwort. - Ei, Lionel, Du kennst doch wohl das Mittel, sich vor den Neckereien der Irrlichter zu schützen?
- Gewiß, Herr Nick. Man braucht sie nur zu fragen, der wievielste Tag nach Weihnachten ist, und da sie das nicht gleich wissen, hat man Zeit, sich zu retten, während sie auf eine Antwort sinnen.
- Ich sehe, daß Du in den Ueberlieferungen bewandert bist. Nun vielleicht zeigt sich uns doch eines im Laufe der Fahrt, wenn wir ein wenig von dem plaudern, das Du in der Tasche eingesperrt hast«
Lionel erröthete leicht.
»Sie wollten. Herr Nick?. versetzte er.
- Natürlich, mein Junge, das wird uns immerhin eine oder zwei Viertelstunden vertreiben.«
Dann wandte sich der Notar direct an den jungen Mann:
»Einige Verse werden Sie nicht belästigen, mein Herr? fragte er lächelnd.
- Nicht im mindesten! versetzte der Reisende.
- Es handelt sich um ein Gedicht, welches mein Schreiber angefertigt hat, um an einem Wettbewerbe in der FreundesLyra theilzunehmen. Diese jungen Bursche halten sich zu Allem fähig. Vorwärts denn, junger Poet; schieße los. wie die Artilleristen sagen!«
Lionel, aufs höchste befriedigt einen Zuhörer zu haben, der vielleicht etwas nachsichtiger war, als Herr Nick, zog das bläuliche Papier hervor und las wie folgt:
Das Irrlicht.
Der unfaßbare Geisterlichschein,
Der Abends leuchtend sich erhebt,
Und der in tiefen nächt'gen Schatten, Nicht auf dem Meer, nicht auf dem Land Die schwächsten Spuren hinterläßt.
Dies Licht, bereit stets zu verlöschen, Hier bläulichen, dort fahlen Scheins. Um zu erloschen, was es wäre, Müßt' Einer er erst fangen können, Doch fangt mir nur ein Irrlicht ein!
- Ja, fiel Herr Nick ein, fange es nur und ziehe es auf Flaschen. Na, fahre nur fort, Lionel.
Man sagt - wer mag genau es wissen? Der Wasserstoff des Bodens sei's; Ich glaube eh'r, daß es im Fluge Von himmelweiten Sternen herkommt Von Vega, Lyra, von Algol.
- Das sieht Dir ähnlich, mein Junge, sagte Meister Nick kopfnickend. Ja, das ist so Deine Sache! Lionel fuhr fort:
Doch ist's nicht einer Sylphe Athem, Nicht eines Kobolds glüh'nder Hauch, Der leuchtend aufzieht und verschwindet, Wenn sich verhüllt die weite Eb'ne Im Dämmerlicht des Morgenscheins?
Ist es etwa von Geisterfackeln Ein feiner Strahl, der sich auf's Stroh Des Kelterhauses niedersenkte, Sobald der Mond mit fahlem Glanze Am Abendhorizont sich hebt?
Vielleicht die leuchtend reine Seele Von einer Fee, die Frieden sucht Weit außerhalb der bösen Erde, Und gleich der Sammlerin von Aehren, Die furchtlos suchend weiter zieht?
- Vortrefflich, fiel Herr Nick ein. Bist Du zu Ende mit Deinen beschreibenden Vergleichen?
- O nein, Herr Nick«, antwortete der junge Schreiber. Dann fuhr er mit folgenden Worten fort:
Wär's nur die Wirkung eines Spiegels, Die Folge von bewegter Luft Am minder hellen Horizonte, Wär' es nach tobendem Gewitter Der letzte Schein von einem Blitz?
Stammt es von einer Feuerkugel, Von einem Himmelsmeteor, Das bei dem Fluge durch die Lüfte Ein glüh'nder Körper erst gewesen, Von dem nun gar nichts übrig blieb?
Ach, oder ist es auf dem Felde, Dess' Furchen es so schwach bescheint, Aus fernen Nordlichts Farbenkranze Verirrt nur eine Strahlenlanze, Gleich einem nächt'gen Schmetterling?
»Was denken Sie wohl über diesen Troubadour-Wortschwall, mein Herr? fragte Meister Nick hier den Reisenden.
- Ich denke, mein Herr, erwiderte dieser, daß Ihr junger Schreiber mit nicht geringer Phantasie begabt ist, und bin wirklich neugierig, womit er sein Irrlicht noch weiter vergleichen könnte.
- Lies weiter, Lionel!«
Lionel hatte leise erröthend den Lobspruch des jungen Mannes angehört, und mit schwach zitternder Stimme fuhr er fort:
Wär' es in diesen Todesstunden, Wo, was da lebt, ermattet schläft, Ein Banner mit gebroch'nen Falten, Das hier ein Engel zum Gedächtniß Der Hingeschied'nen flattern läßt?
»Brr!.« machte Herr Nick.
Ach, oder ist's in dunklen Nächten, Wenn die bestimmte Stunde kam, Ein deutungsvolles Flammenzeichen, Das uns're Erde aus dem Schatten Zum unbekannten Himmel schickt?
Das wie ein Leuchtthurm am Gestande Den Geistern, die die Weltenräume Verirrt durchwandern, hilflos suchend, Die fernen, weiten Himmelsthore, Den Hafen alles Ird'schen zeigt?
»Sehr gut, junger Dichter! sagte der Fremde.
- Ja, ja, nicht gerade schlecht, fügte Herr Nick hinzu. Wo der Teufel, Lionel, wo nimmst Du denn das Alles her?. Es ist nun wohl zu Ende?
- Nein, Herr Nick, entgegnete Lionel, und mit mehr gehobener Stimme las er:
Doch wär's die Liebe, junge Dirne, Die deine Augen blendensoll - -Beeile dich, um zu entfliehen, Behüt' das Herze dein - das Feuer Des Irrlicht's glänzt, doch wärmt es nicht!
»Da hätten wir sie ja, die jungen Mädels! rief Herr Nick; es hätte mich auch schier verwundert, wenn in diesen anakreontischen Accorden ganz und gar nicht von Liebe die Rede gewesen wäre. Nun freilich, bei seinen Jahren!. Was denken Sie darüber, mein Herr?
- Nun, in der That, antwortete der Reisende, ich hege die Ueberzeugung.«
Der junge Mann unterbrach sich beim Anblick einer Gruppe an der Böschung der Straße stehender Männer, von denen einer dem Kutscher ein Zeichen gab, anzuhalten.
Dieser parirte die Pferde und die Männer näherten sich dem Wagen.
»Ah, da ist ja Herr Nick, wenn ich nicht irre, rief einer der Leute, höflich den Hut ziehend.
- Und da der Herr Rip!« erwiderte der Notar, der heimlich hinzu setzte:
»Alle Teufel, jetzt heißt's sich in Acht nehmen!«
Zum Glück bemerkten weder Herr Nick noch sein Schreiber oder der Führer des Wagens die Veränderung, welche in der Physiognomie des Unbekannten vor sich ging, als der Name Rip ausgesprochen wurde. Sein Gesicht war blaß geworden, zeigte aber nicht die Blässe des Schreckens, sondern die, welche durch einen entsetzlichen Abscheu erzeugt wird. Augenscheinlich durchzuckte ihn der Gedanke, sich auf den Mann zu stürzen. - Er wandte aber den Kopf ab, und so gelang es ihm, sich zu beherrschen.
»Sie sind wohl auf dem Wege nach Laval, Herr Notar? nahm Rip wieder das Wort.
- Wie Sie sehen, Herr Rip; Geschäfte, die mich dort wenige Stunden aufhalten werden, doch hoff ich, noch diesen Abend in Montreal zurück zu sein.
- Das liegt ja ganz bei Ihnen.
- Und was machen Sie da mit Ihren Leuten? fragte Meister Nick. Immer auf der Lauer zum Besten der Regierung! Hatten Sie etwa Missethäter verhaftet? Bah, da ist leicht verhaften, wenn diese sich wie das Unkraut vermehren! Wahrlich, diese Sorte thäte besser, sich einmal zu achtbaren Leuten zu verwandeln.
- Ganz recht, mein Herr Nick, doch dazu fehlt ihnen der Beruf.
- Der Beruf! Immer der alte Witzbold, der Herr Rip. Sind Sie vielleicht aber auf der Spur eines Staatsverbrechers?
- Verbrecher für die Einen und Held für die Anderen, erklärte Rip, das kommt auf den Gesichtspunkt an.
- Was haben Sie denn läuten hören?
- Man hat von der Insel aus die Anwesenheit des berüchtigten Johann ohne Namen gemeldet.
- Ah, der berühmte Johann ohne Namen! Ja, die Patrioten haben ihn zum Helden gestempelt, und das mit gutem Grunde. Es scheint jedoch, Ihre allergnädigste Majestät ist nicht derselben Ansicht, da der Minister Gilbert Argall Sie auf die Suche nach ihm geschickt hat.
- Ganz richtig, Herr Nick.