- Und Sie sagen, man habe ihn, den geheimnißvollen Agitator, auf der Insel Montreal gesehen?
- Man behauptet das wenigstens, antwortete Herr Rip, obwohl ich anfange daran zu zweifeln.
- O, wenn er dahin gekommen ist, wird er auch schon wieder über alle Berge sein, versetzte Meister Nick; oder wenn er noch da wäre, wird er sich nicht mehr lange aufhalten. Johann ohne Namen ist nicht so leicht zu haschen!
- Ein wahres Irrlicht, fiel hier der Reisende ein, sich an den jungen Schreiber wendend.
- Ah, gut, sehr gut! rief Herr Nick; bedanke Dich, Lionel! -Doch was ich sagen wollte, Herr Rip, wenn Sie auf ein Irrlicht treffen sollten, so suchen Sie es am Kragen zu nehmen, um es meinem Schreiber zu überbringen. Es müßte einer solchen wandelnden Flamme einen Heidenspaß machen, zu hören, wie ein solcher Schüler Apoll's sie behandelt.
- Das würde mit Vergnügen geschehen, antwortete Rip, wenn wir nicht verpflichtet wären, ohne Verzug nach Montreal zurückzukehren, wo ich neue Instructionen erwarte.«
Dann wandte er sich an den jungen Mann.
»Und dieser Herr begleitet Sie?.
- Bis nach Laval, sagte der Unbekannte.
- Wohin zu kommen, ich große Eile habe, setzte der Notar hinzu. Auf Wiedersehen, Herr Rip; wenn es mir unmöglich ist, Ihnen guten Erfolg zu wünschen, denn die Gefangennahme Johanns ohne Namen würde den Patrioten zu viel Schmerz bereiten, so wünsch' ich Ihnen wenigstens guten Tag.
- Und ich Ihnen glückliche Reise, Herr Nick!«
Die Pferde setzten sich wieder in Trab; Rip und seine Leute verschwanden hinter der Biegung der Straße.
Einige Augenblicke später sagte der Notar zu seinem Gefährten, der sich wieder in die Ecke des Wagens geworfen hatte:
»Ja, ich hoffe wirklich, daß sich jener Johann ohne Namen nicht fangen läßt! Seit der langen Zeit, da man ihn sacht.
- Man soll ihn nur suchen! rief Lionel. Dieser vermaledeite Rip wird schon noch den Ruf seiner Gewandtheit zu Markte tragen!
- Mund halten, Lionel, so etwas geht Dich nichts an.
- Dieser Johann ohne Namen ist ohne Zweifel gewöhnt, der Polizei ein Schnippchen zu schlagen? fragte der Reisende.
- Wie Sie sagen, mein Herr. Wenn er sich fangen ließe, wäre es ein großer Verlust für die franco-canadische Partei.
- Thatkräftige Leute werden ihm nicht fehlen, Herr Nick.
- Mag sein, antwortete der Notar. Ich habe mir indeß sagen lassen, daß das sehr bedauerlich wäre. Uebrigens bekümmere ich mich nicht mehr um Politik als Lionel, und es ist am besten, von diesem Thema nicht zu reden.
- Doch, nahm der junge Mann das Wort, wir sind in dem Augenblick unterbrochen worden, wo Ihr junger Schreiber sich seiner poetischen Begeisterung ganz überließ.
- Er wird mit seiner Begeisterung hoffentlich zu Ende sein, denke ich?.
- Nein, Herr Nick, erwiderte Lionel, dem wohlwollenden Zuhörer durch ein Lächeln dankend.
- Was, Du hast Dich damit ganz außer Athem gelaufen?. rief der Notar. Da haben wir ein Irrlicht, das nach und nach Sylphide, Kobold, Fee, Gespenst, leuchtende Seele, Spiegel, Blitz, Feuerkugel, Strahl, Banner, Leuchtfeuer, Liebesfunken geworden ist; ist das noch nicht genug? Wahrlich, ich frage mich vergeblich, was es dann noch werden könnte.
- Ich wäre begierig, das zu hören, bemerkte der Reisende.
- Na, so fahre denn fort, Lionel, fahre fort und höre auf, wenn diese Nomenclatur überhaupt einmal ein Ende findet.«
An die Scherzreden seines Principals gewöhnt, fühlte sich Lionel hiervon nicht besonders getroffen und las weiter wie folgt:
Was du auch seist, Blitz, Windhauch, Seele, Um dein Geheimniß aufzuhell'n, Du Wunderfeuer, würd' ich gerne Aufgehen ganz in deiner Flamme, Um dir zu folgen allerwärts.
Ob du nun klimmst zur Bäumekrone, Mit deiner Flügelstirn sie schmückst, Ob du, geheimem Winke folgend, Den kalten Marmor still umschmeichelst, Der auf verlass'nem Friedhof steht,
»Traurig! Traurig!« murmelte der Notar.
Ob du nun längst der Raaen kletterst, Auf Schiffen, die der Welle Sturm, Der heulende, zum Wrack geschlagen, Und ob du durch das Tauwerk huschest, fast einer glüh'nden Möve gleich.
Doch ganz würd' ich mich erst vereinen Mit dir, wär' mir das Schicksal hold, Und könnte ich, so wie ich's wünschte Mit dir entsteh'n, du Wandelflamme, Mit dir vergeh'n, du irrend Licht!
»Was sagen Sie dazu, mein Herr?
- Mein Herr, erwiderte der Reisende, ich mache dem jungen Poeten mein Compliment und wünsche, daß ihm der Lorbeerkranz in der Freundes-Lyra zufalle. Doch, wie dem auch sei, seine Verse haben uns ein Stündchen angenehm hinweggetäuscht, und ich erinnere mich kaum der Fahrt, die mir, mein' ich, nie so kurz vorgekommen wäre.«
Höchst geschmeichelt, steckte Lionel die Lobsprüche, die der junge Fremde ihm ertheilte, mit großer Selbstzufriedenheit ein. Im Grunde war auch Herr Nick recht zufrieden mit den Erfolgen, die seinem jungen Schreiber zutheil wurden.
Während dessen war der Wagen ziemlich schnell vorwärts gekommen, und es schlug kaum elf Uhr, als er den nördlichen Arm des Stromes erreichte.
Zu jener Zeit waren schon die ersten Dampfschiffe auf dem St. Lorenzo erschienen.
Sie waren weder stark noch besonders schnell und erinnerten mit ihren beschränkten Größenverhältnissen mehr an die Dampfschaluppen, die man in Canada heutzutage mit dem Namen »Tug-boat« oder kurz mit dem Worte »Toc« bezeichnet.
Binnen wenigen Minuten hatte ein solcher Toc Herrn Nick nebst seinem Schreiber und den Fremdling über den Mittellauf des Stromes befördert, dessen grünliches Wasser sich noch mit den mehr schwärzlichen Fluthen des Ottawa vermengte. Hier trennte man sich nach Austausch einiger höflicher Redensarten und warmer Händedrücke. Während der Reisende sich geraden Wegs nach den Straßen von Laval wandte, umschritten Herr Nick und Lionel die Stadt und begaben sich nach dem Osten der Insel Jesus.
Viertes Capitel
Die Villa Montcalm
Die Insel Jesus, zwischen den beiden oberen Armen des St. Lorenzo gelegen und minder umfangreich als die Insel Montreal, enthält immerhin mehrere Kirchspiele. Sie umfaßt die Grafschaft Laval - deren Namen auch die große katholische Universität von Quebec, und zwar zur Erinnerung an ihren ersten, im canadischen Lande eingesetzten Bischof, trägt.
Laval ist ebenso der Name der Hauptortschaft der Insel Jesus und liegt an deren südlichem Ufer. Die Wohnung des Herrn de Vaudreuil gehörte zwar zu demselben Kirchspiele, lag aber eine Lieue am St. Lorenzo stromaufwärts.
Es war das ein Haus von freundlichem Aussehen, umgeben mit einer Parkanlage von etwa fünfzig Acker Ausdehnung und bedeckt mit Wiesengründen und hohem Baumbestande, dessen Grenze das Ufer des Stromes selbst bildete. Durch seine architektonische Anordnung wie durch die Einzelheiten der Ausschmückung unterschied es sich deutlich von jener angelsächsischen Gothik, welche einst vielfach zu Ehren Großbritanniens beliebt war. Hier war der französische Geschmack vorherrschend, und wäre nicht der rasche gurgelnde Wasserlauf gewesen, der zu ihren Füßen hintoste, so hätte man glauben können, daß die Villa Montcalm - so hieß das Gebäude - sich an den Ufern der Loire, in der Nachbarschaft von Chenonceaux oder von Amboise erhebe.
Stark betheiligt bei den letzten reformatorischen Erhebungen in Canada, hatte Herr de Vaudreuil auch zu dem Complot gehört, dem der Verrath jenes Simon Morgaz ein so tragisches Ende bereitete, indem dadurch Walter Hodge, Robert Farran, Francis Clerc das Leben und die übrigen Verschworenen die Freiheit einbüßten.
Einige Jahre später wurden den Letzteren übrigens in Folge eines allgemeinen Gnadenerlasses die Kerkerthüren wieder geöffnet, und Herr de Vaudreuil war nach seiner Besitzung auf der Insel zurückgekehrt.
Die Villa Montcalm war am Ufer des Stromes erbaut. In den Wellen der Ebbe und Flut badeten sich die ersten Stufen der vorderen Terrasse, welche eine elegante Veranda vor der Front des eigentlichen Wohnhauses überdeckte. Weiter rückwärts unter dem stillen Schatten des Parkes unterhielt der Luftzug vom Flusse her eine erquickende Frische, welche die heißen Tage des canadischen Sommers erträglicher machte. Wer Liebhaber der Jagd oder des Fischfanges war, hätte diesen Zerstreuungen hier vom Morgen bis zum Abend nachgehen können. An Wild gab es Ueberfluß auf den Ebenen der Insel, ebenso wie an Fischen in den Buchten des St. Lorenzo, der auf den langen Wellenlinien der Laurentidenkette am linken Ufer von einem breiten grünen Rahmen eingefaßt war.