Inzwischen beobachteten Herr de Vaudreuil und seine Freunde mit Aufmerksamkeit die Bewegung der Geister in den canadischen Provinzen. Bezüglich der Loyalisten hatte sich die öffentliche Meinung zum Glühen erhitzt. Sie ging jetzt nicht mehr auf ein sogenanntes Complot allein hinaus wie 1825, wo es sich nur um einen Gewaltstreich gegen den Gouverneur handelte - jetzt hatte sich noch, unter dem Schleier verhüllt, eine allgemeine Verschwörung herausgebildet. Zum Losbrechen derselben fehlte nur noch, daß ein Anführer der Rebellion in den verschiedenen Kirchspielen zu den Waffen rief; auch unterlag es keinem Zweifel, daß Herr de Vaudreuil und seine Freunde dann sofort in die vorderen Reihen der Insurgenten einspringen würden.
Wirklich waren die Umstände fast nie so günstig gewesen. Die Reformer, welche sich kaum noch zu halten vermochten, schleuderten die heftigsten Worte gegen die Verfügungen der Colonialregierung, welche sich durch das englische Cabinet für befugt hielt, ohne Zustimmung der Volksvertretung über die öffentlichen Einkünfte zu verfügen. Die Zeitungen - darunter der schon 1806 gegründete »Canadier« und der erst später erschienene »Vindicator« - donnerten gegen die Krone und die von ihr ernannten Beamten. Sie veröffentlichten die Verhandlungen der Kammer ebenso wie die in öffentlichen Versammlungen gehaltenen Reden eines Papineau, Viges Quesnel, St. Real, Bourdages und vieler Anderer, welche an Talent und Kühnheit in ihren patriotischen Auslassungen und Forderungen mit einander um die Palme stritten. Unter diesen Verhältnissen mußte ein Funke hinreichen, die Explosion im Volke herbeizuführen. Das wußte Lord Gosford sehr gut, nicht minder gut wie die Parteigänger der Reformbestrebungen selbst.
So war die Lage der Sachen, als am 3. September in der Villa Montcalm ein Brief eintraf. Dieser am Vortage auf dem Postamte zu Montreal eingelieferte Brief meldete Herrn de Vaudreuil, daß seine Freunde Vincent Hodge, Andre Farran und William Clerc eingeladen seien, sich am Abend genannten Tages bei ihm einzufinden. Herr de Vaudreuil erkannte nicht die Hand, welche diese Zeilen geschrieben und dieselbe mit der Unterschrift »ein Sohn der Freiheit« unterzeichnet hatte.
Herr de Vaudreuil war über diese Mittheilung nicht wenig erstaunt, und nicht weniger über die Art und Weise, wie sie ihm gemacht wurde. Am Abend vorher hatte er seine Freunde in Montreal gesehen und man hatte sich da getrennt, ohne ein Wiederzusammentreffen für den folgenden Tag zu verabreden. Wahrscheinlich mußten also Vincent Hodge, Farran und Clerc einen ähnlich lautenden Brief erhalten haben, der sie erst nach der Villa Montcalm einlud; doch lag die Befürchtung nahe, daß hierhinter vielleicht ein Angriff der Polizei zu suchen war. Ein solches Mißtrauen schien seit der Geschichte mit Simon Morgaz vollständig gerechtfertigt.
Herrn de Vaudreuil blieb auf jeden Fall nichts übrig, als der Dinge zu warten, die da kommen sollten. Waren Vincent Hodge, Farran und Clerc in der Villa eingetroffen - wenn sie überhaupt dahin kamen - so würden sie ihm ohne Zweifel erklären, was ihm bei dieser seltsamen Zusammenkunft noch unerklärlich blieb. Dahin ging der Rath Clarys, als sie von jenem Briefe Kenntniß erhalten hatte.
Die Augen auf das geheimnißvolle Schreiben geheftet, prüfte sie dasselbe mit größter Aufmerksamkeit. Wunderbar! Wo ihr Vater eine seinen politischen Freunden und ihm gestellte Falle witterte, schien sie vielmehr an einen bevorstehenden mächtigen Eingriff in die nationale Sache zu glauben. Vielleicht zeigte sich jetzt endlich die Hand, welche die Fäden einer neuen Bewegung hielt, welche diese leiten und zu Ende führen sollte.
»Lieber Vater, sagte sie, ich habe volles Vertrauen!«
Da die Versammlung indeß erst für den Abend bestimmt war, wollte Herr de Vaudreuil sich vorher noch nach Laval begeben. Vielleicht vernahm er dort eine Nachricht, welche die Dringlichkeit der geplanten Versammlung erklärte. Gleichzeitig konnte er daselbst Vincent Hodge und dessen beide Freunde empfangen, wenn diese an der Landungsbrücke der Insel Jesus ausstiegen. In der Minute aber, wo er Auftrag geben wollte, anzuspannen, meldete ihm ein Diener, daß soeben ein Besucher der Villa Montcalm eingetroffen sei.
»Wer ist es? fragte Herr de Vaudreuil lebhaft.
- Hier seine Karte,« antwortete der Diener.
Herr de Vaudreuil nahm die Karte in Empfang, las den Namen derselben und rief sogleich:
»Ah, der vortreffliche Meister Nick?. Er ist stets willkommen. Lass' ihn eintreten.«
Einen Augenblick später stand der Notar Herrn de Vaudreuil und dessen Tochter gegenüber.
»Sie, Herr Nick? sagte Herr de Vaudreuil.
- In Person, und bereit, Ihnen ebenso wie dem Fräulein Clary zu dienen!« antwortete der Notar verbindlich.
Er drückte die Hand des Herrn de Vaudreuil, nachdem er das junge Mädchen mit einer mehr förmlichen Verbeugung begrüßt, wie sie die früheren Geschichtschreiber nach alter Ueberlieferung bewahrt hatten.
»Das ist ja ein recht unerwarteter, doch deshalb um so angenehmerer Besuch, Herr Nick, nahm Herr de Vaudreuil wieder das Wort.
- Angenehm, vorzüglich für mich, antwortete Herr Nick. Und wie befinden Sie sich, mein Fräulein?. Und Sie, Herr de Vaudreuil?. Sie haben Beide ein blühendes Aussehen. - Nun ja, in der Villa Montcalm mag sich's ja gut leben. Ich möchte in mein Haus am Bon-Secours-Markte wohl etwas von der Luft, wie man sie hier athmet, mitnehmen.
- Jede beliebige Menge davon steht Ihnen zur Verfügung, Herr Nick. Besuchen Sie uns nur öfter.
- Und bleiben Sie gleich einige Tage hier, setzte Clary hinzu.
- Und meine Expedition. meine Acten! rief der zungenfertige Notar. Ach, die lassen mir keine Zeit zu einem angenehmen Landaufenthalt. Die Testamente wären daran weniger Schuld. Die Leute in Canada werden so schrecklich alt, daß ich fürchte, sie hören überhaupt einmal auf zu sterben. Was haben wir an Achtzigjährigen und sogar an Hundertjährigen!. Das überschreitet die gewohnten Grenzen der Statistik.. Die Heiratscontracte dagegen, ja, die machen mir mehr zu schaffen! - Doch halt, in sechs Wochen habe ich in Laprairie zu thun bei einem meiner Klienten - einem meiner guten Klienten, das dürfen Sie glauben - wo der Contract seines neunzehnten Sprößlings aufgesetzt werden soll.
- Das muß ja, ich möchte darauf wetten, mein Pächter Thomas Harcher sein, antwortete Herr de Vaudreuil.
- Ganz recht, und in Ihrem Pachthofe zu Chipogan ist es, wo ich erwartet werde.
- Eine recht hübsche Familie, Herr Nick!
- Ohne Zweifel, Herr de Vaudreuil, und bedenken Sie, daß ich mit den, dieselbe betreffenden Urkunden immer noch nicht zu Ende bin.
- Nun, Herr Nick, fiel Clary ein, es ist nicht unmöglich, daß wir Sie im Pachthofe von Chipogan treffen. Thomas Harcher bestand so dringlich darauf, uns der Vermählung seiner Tochter beiwohnen zu sehen, daß wir, mein Vater und ich, wenn uns nichts Besonderes zurückhält, uns das kleine Vergnügen gern machen werden.
- Und mir bereiten Sie damit ein wohl noch größeres, antwortete Meister Nick. Ist es nicht stets eine Freude für mich, Sie zu sehen?. Ihnen, Fräulein Clary, habe ich nur einen einzigen Vorwurf zu machen.