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Während der Tafel wurde von dem so ungeduldig erwarteten Eintreffen des Unbekannten nicht gesprochen. Es erschien ja rathsamer, davon nichts in Gegenwart der Dienerschaft des Hauses verlauten zu lassen, obwohl diese aus verläßlichen und schon lange im Dienste der Familie de Vaudreuil befindlichen Leuten bestand.

Nach der Tafel war der Abend so schön, die Temperatur so mild, daß Clary unter der Veranda Platz nahm. Der St. Lorenzo bespülte die untersten Stufen der Terrasse, indem er sie in seinen Wellen badete, welche die steigende Fluth in der Dunkelheit fast auf der Stelle hielt. Herr de Vaudreuil, Vincent Hodge, Clerc und Farran standen rauchend längs der Balustrade; sie wechselten kaum ein Wort und höchstens nur mit ganz leiser Stimme.

Es war jetzt ein wenig über sieben Uhr. Die Nacht begann die tiefen Theile des Thales zu verhüllen, und während die lange Dämmerung sich nach den Ebenen des Westens zurückzog, begannen schon die Sterne an der entgegengesetzten Seite des Himmelsgewölbes aufzuflammen.

Clary schaute den St. Lorenzo stromauf und stromab, da es ihr wahrscheinlich war, daß der Fremde, wenn er keine Spuren hinterlassen wollte, den Wasserweg benützen würde. Für ein leichtes Boot war es ja keine besondere Aufgabe, längs des Ufers hinzugleiten und durch das Gesträuch und das Schilf des Strandes zu schleichen. Erst an der Terrasse gelandet, konnte jene geheimnißvolle Person nach der Villa gelangen, ohne gesehen worden zu sein, und sie auch verlassen, ehe einer von den Leuten des Hauses nur den geringsten Verdacht schöpfen konnte.

Da es aber doch möglich war, daß der Erwartete nicht auf dem St. Lorenzo kam, hatte Herr de Vaudreuil Befehl ertheilt, Jedermann, der sich in der Villa zeigen würde, ohne Zögern einzuführen. Eine im Salon brennende Lampe ließ durch die dichten Vorhänge der Fenster nur ein schwaches Licht dringen und jene selbst noch wurden durch die Veranda den Blicken ganz entzogen. Von außen konnte mithin Niemand sehen, was im Innern des Salons vorging.

Wenn auf der Seite des Parkes aber Alles ruhig war, so ließ sich das von der des Stromes nicht sagen. Von Zeit zu Zeit erschienen einige Boote, welche bald an dem rechten, bald an dem linken Ufer hinglitten. Sie stießen manchmal sogar ganz an das Land, worauf zwischen deren Insassen einige Worte gewechselt wurden, und dann entfernten sie sich wieder in verschiedenen Richtungen.

Herr de Vaudreuil und seine Freunde beobachteten aufmerksam diese Bewegungen, deren Veranlassung sie recht wohl durchschauten.

»Das sind Beamte der Polizei, sagte William Clerc.

- Jawohl, antwortete Vincent Hodge; sie überwachen den Strom jetzt schärfer, als es bisher geschehen.

- Und auch vielleicht die Villa Montcalm.«

Diese letzten Worte waren von einer leisen Stimme gemurmelt worden, doch nicht von der des Herrn de Vaudreuil oder seiner Tochter, auch nicht von einem der Gäste.

Gleichzeitig erhob sich aus dem ihn bisher verbergenden Gebüsche vor der Balustrade auf der rechten Seite der Treppe ein Mann, der die Stufen emporstieg, schnellen Schrittes über die Terrasse ging, seine Tuque lüftete und mit einer leichten Verbeugung sagte:

»Der Sohn der Freiheit, der an Sie geschrieben hatte, meine Herren.«

Herr de Vaudreuil, Clary, Clerc und Farran suchten, erstaunt über das plötzliche Erscheinen, das Gesicht des Mannes zu erkennen, der sich auf so eigenartige Weise in der Villa eingeführt hatte. Seine Stimme erschien ihnen übrigens ebenso unbekannt, wie seine Person.

»Sie werden mir verzeihen, Herr de Vaudreuil, mich unter diesen Verhältnissen Ihnen vorzustellen. Es lag mir aber viel daran, mich beim Eintreten in die Villa Montcalm nicht sehen zu lassen, wie es auch von Wichtigkeit sein wird, dieselbe wieder ungesehen zu verlassen.

- Bitte, treten Sie ein, mein Herr«, antwortete Herr de Vaudreuil.

Damit begaben sich Alle in den Salon, dessen Thür hinter ihnen geschlossen wurde.

Der eben in der Villa Montcalm eingetroffene Mann war der junge Reisende, in dessen Gesellschaft Meister Nick die Fahrt von Montreal bis zur Insel Jesus zurückgelegt hatte. Herr de Vaudreuil und seine Freunde bemerkten ebenso, wie es auch der Notar schon bemerkte, daß er der französisch-canadischen Race angehörte.

Nach seinem Abschiede von Meister Nick und nach dem Betreten der Straßen von Laval hatte er Folgendes gethan:

Ganz zuerst begab er sich nach einem bescheidenen Gasthaus in den unteren Quartieren der Stadt. Daselbst hatte er, in eine Ecke des Gastzimmers zurückgezogen, die Essensstunde abgewartet und die ihm zugänglichen Zeitungen durchflogen. Sein jetzt gleichgiltig erscheinendes Gesicht ließ nichts von den ihn bei der Lectüre bestürmenden Empfindungen ahnen, obwohl die damaligen Blätter alle in schärfster Weise für oder gegen die Krone Partei nahmen. Die Königin Victoria war ihrem Oheim Wilhelm IV. auf dem Throne gefolgt, und von beiden Seiten wurden eben lebhaft die Veränderungen besprochen, welche die neue Staatsregierung der Verwaltung der canadischen Provinzen aufnöthigen würde. Doch obwohl es nur die Hand einer Frau war, welche das Scepter des Vereinigten Königreichs führte, mußte man doch fürchten, daß dieselbe gleichschwer wie die früheren auf der überseeischen Colonie lasten würde.

Bis sechs Uhr Abends hatte der junge Mann in der Gaststube verweilt; dann wurde das Essen aufgetragen. Um acht Uhr hatte er sich wieder auf den Weg gemacht.

Wäre ihm da ein Spion gefolgt, so hätte er gesehen, wie jener sich nach dem steilen Flußufer wandte und unter demselben hinschlich, bis er dreiviertel Stunden später die Villa Montcalm erreichte. Dort hatte der Unbekannte einen geeigneten Augenblick abgewartet, um die Terrasse hinanzugehen, und der Leser weiß ja, wie er mitten in der Unterhaltung des Herrn de Vaudreuil und seiner Freunde eingetreten war.

Jetzt konnten Alle in dem Salon, dessen Fenster und Thüren verwahrt worden waren, sich ohne Scheu aussprechen.

»Mein Herr, begann da Herr de Vaudreuil, sich an den neuen Gast wendend, Sie werden es entschuldbar finden, wenn ich vor Allem frage, wer Sie sind.

- Das hab' ich bei der Ankunft gesagt, Herr de Vaudreuil. Ich bin - wie Sie Alle das sind - ein Sohn der Freiheit!«

Clary machte unwillkürlich ein Zeichen der Enttäuschung. Vielleicht erwartete sie einen anderen Namen, als diese unbestimmte Bezeichnung, welche jenerzeit übrigens unter den Anhängern der franco-canadischen Sache sehr verbreitet war. Sie begriff nicht, warum der junge Mann auch in der Villa Montcalm sein Incognito noch länger aufrecht erhalten wollte.

»Wenn Sie uns, mein Herr, sagte jetzt Andre Farran, zu einer Zusammenkunft bei Herrn de Vaudreuil veranlaßt haben, so geschah das doch gewiß, um hier über eine wichtige Angelegenheit zu verhandeln. Ehe wir uns aber offen erklären, werden Sie es ganz natürlich finden, daß wir zu wissen wünschen, mit wem wir es zu thun haben.

- Sie würden unklug gewesen sein, meine Herren, wenn Sie diese Frage an mich unterlassen hätten, erwiderte der junge Mann, und von mir wäre es unverzeihlich, dieselbe nicht zu beantworten.«

Bei diesen Worten legte er ihnen einen Brief vor.

Dieser Brief unterrichtete Herrn de Vaudreuil von dem Besuche des Unbekannten, dem er und seine Gesinnungsgenossen unbedingtes Vertrauen schenken könnten, »auch wenn er seinen Namen nicht nannte«.

Unterzeichnet war das Schreiben von einem der Hauptopponenten im Parlamente, von dem Advocaten Grammont, dem Abgeordneten für Quebec, einem Manne, der mit Herrn de Vaudreuil in politischen Dingen ganz eines Sinnes war. Der Advocat Grammont fügte noch hinzu, daß Herr de Vaudreuil, im Falle jener Gast ihn um Unterkommen während einiger Tage ersuchen sollte, das im vollen Vertrauen und im Interesse ihrer Sache gewähren möge.

Herr de Vaudreuil übergab diesen Brief seiner Tochter, Clerc und Farran, dann sagte er:

»Mein Herr, Sie sind hier ganz zu Hause und können in der Villa Montcalm so lange bleiben, wie es Ihnen beliebt.