- Höchstens zwei Tage, Herr de Vaudreuil, erwiderte der junge Mann. In vier Tagen muß ich wieder mit meinen Genossen an der Mündung des St. Lorenzo zusammengetroffen sein; ich danke Ihnen jedoch für den wohlwollenden Empfang, und nun, meine Herren, bitte ich Sie, mich gefälligst anzuhören.«
Der Unbekannte nahm das Wort. Er sprach mit Sicherheit über den damaligen Zustand der Gemüther in den canadischen Provinzen, er zeigte, daß das Land bereit sei, sich gegen die Bedrückung seitens der Loyalisten und der Kronbeamten zu erheben. Diese Ueberzeugung schöpfte er aus eigener Erfahrung, als er zur Verbreitung reformatorischer Ideen während mehrerer Wochen die Grafschaften des oberen St. Lorenzo und des Ottawa durchzogen hatte. Nach wenigen Tagen beabsichtigte er zum letzten Male durch die Grafschaften des Ostens zu reisen, um die Elemente zur demnächstigen Empörung zu sammeln, einer Empörung, welche gleichzeitig von der Mündung des Stromes bis zum Gebiete von Ontario hin auflodern sollte. Einem solchen Massenaufstande würden weder Lord Gosford mit den Vertretern der Staatsgewalt, noch der General Colborne mit wenigen tausend Rothröcken - dem ganzen Truppenbestand in Canada - hinreichende Kräfte entgegensetzen können, und Canada - daran zweifelte er nicht - mußte sich endlich vom Joche seiner Unterdrücker befreien.
»Eine ihrer Heimat entrissene Provinz, setzte er hinzu, gleicht dem Kinde, das seiner Mutter geraubt ist. Das muß der Gegenstand der Zurückforderung ohne Waffenstillstand, des Kampfes ohne Gnade sein! So etwas läßt sich niemals vergessen!« Als er diese Verhältnisse erwähnte, sprach der Unbekannte mit einer Kaltblütigkeit, welche bewies, daß er stets und überall die Herrschaft über sich behielt. Dennoch fühlte man es, daß ein Feuer in seiner Seele lohte, daß seine Gedanken vom brennendsten Patriotismus erfüllt waren. Während er noch mehrere Einzelheiten über das, was er noch thun wollte, mittheilte, wandte Clary kein Auge von dem jungen Manne. Alles sagte ihr, daß hier ein Held vor ihr stehe, der in seinem Gedankenfluge die canadische Revolution verkörperte. Als die Herren de Vaudreuil, Vincent Hodge, Clerc und Farran so über seine Schritte unterrichtet waren, setzte er hinzu:
»Alle jene Parteigänger unserer Unabhängigkeit, meine Herren, brauchen aber einen Führer, und dieser Führer wird auferstehen, wenn die Stunde gekommen, an deren Spitze zu treten. Bis dahin erscheint es nothwendig, daß sich ein Actionscomite bildet, um die Einzelkräfte zusammenzufassen. Nehmen Sie, Herr de Vaudreuil, und Ihre Freunde es an, sich an diesem Comite zu betheiligen? Sie Alle haben ja schon in Ihren Familien oder persönlich für die nationale Sache gelitten.
Diese Sache hat unseren besten Patrioten, Ihrem Vater, Vincent Hodge, wie Ihren Brüdern, William Clerc und Andre Farran, das Leben gekostet.
- In Folge des Verrathes eines Schurken, mein Herr! antwortete Vincent Hodge.
- Ja. eines Schurken«. wiederholte der junge Mann langsam.
Clary glaubte dabei eine eigenthümliche Wandlung seiner bis dahin so klaren Stimme zu bemerken.
»Indeß, fügte er hinzu, dieser Mann ist todt.
- Wissen Sie das bestimmt? fragte William Clerc.
- Er ist todt, erwiderte der Unbekannte, der nicht zögerte, bestätigend bezüglich einer Thatsache zu antworten, welche bisher noch Keiner zu beweisen vermocht hatte.
- Todt!. Jener Simon Morgaz!. Und ich. ich habe an ihm nicht Vergeltung üben können! rief Vincent Hodge.
- Sprechen wir nicht mehr von jenem Verräther, liebe Freunde, mischte sich Herr de Vaudreuil wieder ein, und überlaßt es mir, auf den eben gehörten Vorschlag zu antworten. Mein Herr, fuhr er fort, sich an seinen Gast wendend, was die Unsrigen einst gethan, das sind wir bereit auch noch einmal zu thun. Wir werden unser Leben wagen, wie sie das ihrige gewagt haben. Sie können also über uns verfügen, und wir übernehmen die Aufgabe, den Anstrengungen, welche Sie bereits gemacht haben, in der Villa Montcalm ein Ziel, einen Mittelpunkt zu geben. Wir stehen in täglicher Verbindung mit den verschiedensten Comites des Bezirks, und auf das erste Signal hin werden wir mit unserer Person eintreten. Ihre Absicht, wie Sie sagten, ist es, nach zwei Tagen weiter zu reisen, um die Kirchspiele des Ostens zu besuchen? Nun gut! Bei Ihrer Rückkehr werden Sie uns bereit finden, dem Führer -sei er wer es will - zu folgen, der die Fahne der Unabhängigkeit entfalten wird.
- Vaudreuil hat für uns gesprochen, fügte Vincent Hodge hinzu. Wir haben nur den einen Gedanken, unser Land von der Unterdrückung zu befreien und ihm das Recht, frei zu sein, wieder zu geben!
- Ein Recht, welches es diesmal zu erlangen wissen wird,« sagte Clary de Vaudreuil, während sie auf den jungen Mann zuging.
Dieser wandte sich aber schon nach der Thür des Salons, die zur Terrasse führte.
»Horchen Sie, meine Herren,« flüsterte er.
Ein unbestimmtes Geräusch ließ sich in der Richtung von Laval her vernehmen, ein entferntes Getöse, dessen Art und Ursache kaum zu erkennen war.
»Was bedeutet das? fragte William Clerc.
- Sollte es schon zu einem vereinzelten Aufstand gekommen sein?. bemerkte Andre Farran.
- Gott gebe, daß das nicht der Fall ist, murmelte Clary. Das wäre vorzeitig gehandelt!
- Ja. zu zeitig! erklärte auch der junge Mann.
- Was kann das aber zu bedeuten haben? fragte Herr de Vaudreuil. Hören Sie nur, das Geräusch kommt näher.
- Es klingt wie der Ton von Signalhörnern,« meinte Andre Farran.
Wirklich drangen jetzt deutlich metallische Töne in die Luft, welche in regelmäßigen Zwischenräumen bis zur Villa Montcalm hin hörbar wurden. Handelte es sich etwa um eine Abtheilung Bewaffneter, welche nach der Villa des Herrn de Vaudreuil vordrang?
Dieser hatte die Thür des Salons geöffnet, und seine Freunde folgten ihm auf die Terrasse.
Alle sahen scharf nach Westen hinaus, doch ließ sich nach dieser Richtung hin kein verdächtiges Licht wahrnehmen. Offenbar rührte dieses Geräusch nicht von den Ebenen der Insel Jesus her, und doch drang ein jetzt näher erscheinendes Getöse bis zur Villa, und gleichzeitig hörte man die Töne von Trompeten.
»Da. da ist es.« sagte Vincent Hodge.
Er wies mit dem Finger nach dem Laufe des St. Lorenzo gegen Laval hin. In dieser Richtung bemerkte man jetzt wirklich das Flackern einzelner Flammen, welche sich in dem von seinem Nebel bedeckten Wasser des Stromes schwach widerspiegelten.
Zwei oder drei Minuten verstrichen.
Ein Boot, welches mit der Ebbe herabfloß, schnitt eben in die Wirbel des Stromes nahe dem Ufer und etwa eine Viertelmeile aufwärts ein. Dieses Boot trug gegen zehn Personen, deren Uniform man beim Scheine der Fackeln leicht erkennen konnte. Es waren das ein Constabler und eine Abtheilung der Polizei.
Von Zeit zu Zeit hielt die Barke an. Sofort erhob sich gleich nach einem Hornsignal eine laute Stimme, doch war es in der Villa Montcalm noch unmöglich, die Worte zu verstehen.
»Das muß sich um eine Proclamation handeln, sagte William Clerc.
- Und zwar um eine von hervorragender Wichtigkeit, setzte Andre Farran hinzu, da sie seitens der Behörde zu so ungewöhnlicher Stunde bekannt gegeben wird.
- Warten wir es ab, meinte Herr de Vaudreuil, das wird sich ja bald zeigen. Wäre es nicht rathsam, in den Salon zurückzukehren? ließ sich da Clary an den jungen Mann gewendet, vernehmen.
- Warum sollten wir uns verstecken, Fräulein de Vaudreuil? antwortete dieser Was die Behörde bekannt zu machen für angezeigt hält, das müssen wir doch auch hören.«
Inzwischen war die Barke, welcher einige kleinere Kähne folgten, gegenüber der Terrasse angelangt.
Wieder erscholl ein Trompetenstoß, und jetzt konnten Herr de Vaudreuil und seine Freunde deutlich die Stimme vernehmen.
Bekanntmachung des Lord-General-Gouverneurs der canadischen Provinzen Am 3. September 1837.