Es waren das fünf Brüder - die Aeltesten ein Zwillingspaar, Pierre und Remy, dreißig Jahre alt, und die drei anderen, Michel, Tony und Jacques, neunundzwanzig, achtundzwanzig und siebenundzwanzig zählend. - fünf der zahlreichen Kinder Harcher's und seiner Gattin Catharina aus der Grafschaft Laprairie, der Pächter von Chipogan.
Einige Jahre früher, bei Gelegenheit des Aufstandes von 1831, hatte Johann ohne Namen, dem die Polizei dicht an den Fersen war, in jenem Pachthofe Zuflucht gefunden; doch wußte er damals nicht, daß dieser Herrn de Vaudreuil gehörte. Thomas Harcher nahm den Flüchtling auf und betrachtete ihn, als ob er zu seiner Familie gehörte. Wenn er auch wußte, daß es einer der Patrioten war, dem er ein Asyl gewährte, so wußte er mindestens nicht, daß das Johann ohne Namen war.
Während der Zeit seines Verweilens auf dem Pachthofe knüpfte Johann - nur unter diesem Namen hatte er sich vorgestellt - ein festes Freundschaftsband mit dem älteren Sohne Thomas Harcher's. Was sie empfanden, das fand in seinem Herzen Widerhall. Es waren unerschrockene Anhänger der Reform, mit jenem eingefleischten Haß gegen Alles, was angelsächsischer Race war, »was nach England roch,« wie man jener Zeit in Canada sagte.
Als Johann Chipogan verließ, geschah das an Bord des Kutters der fünf Brüder, welcher vom April bis zum September den Strom besuchte. Er betrieb auffällig das Gewerbe eines Fischers, was ihm in alle Häuser der Uferkirchspiele Eingang verschaffte. So hatte er den Nachforschungen aus dem Wege gehen und eine neue aufständische Bewegung vorbereiten können. Vor seinem Eintreffen in der Villa Montcalm waren es die Grafschaften am Ottawa gewesen, die er in der Provinz Ontario besuchte. Und während er jetzt den Strom von dessen Mündung bis Montreal hinausging, wollte er an die Bewohner der Grafschaften Unter-Canadas die letzte Parole ausgeben, jener Bewohner, welche so gern in Erinnerung an die Franzosen von ehedem fragten: »Wann werden wir unsere braven Leute wiedersehen?«
Das Fahrzeug hatte eben den Hafen von St. Anna verlassen. Trotz der abfallenden Flut gestattete eine aus Osten wehende frische Brise ihr entgegen zu laufen, als Pierre Harcher, der Führer des »Champlain«, das Segel und die Klüver hatte hissen lassen; »Champlain« war der Name des Kutters.
Das Klima von Canada ist minder gemäßigt als das der Vereinigten Staaten und im Sommer sehr heiß, im Winter sehr kalt, obgleich das Land etwa mit Frankreich in gleicher Breite liegt. Es rührt das wahrscheinlich daher, daß die warmen Gewässer des von seinen Küsten abgelenkten Golfstromes diese Excesse seiner Temperatur nicht abmindern.
Während der ersten Hälfte des Monats September war die Wärme noch sehr hoch gewesen und die Segel des »Champlain« blähten sich nur unter einer glühenden Brise.
»Das wird einen harten Tag geben, meinte Pierre, vorzüglich, wenn der Wind nach Süden umspringen sollte.
- Ja, und der Teufel fricassire die Schnaken und Muskitos, von denen es hier am Strande von St. Anna wahrlich Myriaden gibt.
- O, diese Hitze wird schon aufhören und bald erfreuen wir uns der Milde des echten Indianersommers, liebe Brüder!«
Es war Johann gewesen, der seinen Gefährten diesen, ihrer würdigen brüderlichen Namen gegeben hatte; und er hatte auch Recht, die Schönheit des »Indianersommers« von Canada zu preisen, der speciell die Monate September und October umfaßt.
»Fischen wir noch heute Vormittag? fragte ihn Peter Harcher, oder segeln wir noch weiter den Strom hinauf?
- Ich denke, wir werfen die Schnuren bis zehn Uhr aus, antwortete Johann, und verkaufen unsere Beute dann gleich in Matane.
- Dann wollen wir nach der Monts-Spitze hinüber segeln, erklärte der Führer des »Champlain«. Dort ist das Wasser ergiebiger und wir kommen nach Matane mit dem Stillstand der Gezeiten.«
Die Schoten wurden angezogen, das Fahrzeug lufte an, und unterstützt durch die Brise glitt es, trotz entgegengesetzter Unterströmung, schräg auf, genannter Landspitze zu, welche an dem nördlichen Ufer des an dieser Stelle neun bis zehn Lieues (352/3 bis 40 Kilometer) breiten Stromes vorspringt.
Nach einstündiger Fahrt legte der »Champlain », dessen Focksegel gelöst war, bei, und man begann unter wenig Segeldruck und mäßiger Bewegung zu fischen.
Er befand sich hier inmitten einer prächtigen, von sorgfältig bebauten Feldern eingerahmten Bucht. Das cultivirte Land aber erstreckte sich nach Norden zu bis nach den ersten Wellenlinien der Laurentidenkette, und im Süden bis zu den Notre-Dame-Bergen, deren höchste Spitzen 1300 Fuß über die Meeresfläche aufragen.
Pierre Harcher und seine Brüder waren sehr geschickt in ihrer Arbeit, die sie stets auf dem Flusse übten. Inmitten der Stromschnellen und Barren von Montreal singen sie stets mittels Reißbündeln eine Menge Alsen (Maifische). In der Umgebung von Quebec dagegen erbeuteten sie Lachse und Forellen, welche zur Laichzeit die oberen, mehr süßen Gewässer aufsuchen. Es war nur sehr selten, daß ihre Fischzüge nicht recht ergiebig ausgefallen wären.
An diesem Vormittage wimmelte es geradezu von Seeforellen, so daß die Netze mehrmals zu reißen drohten. Gegen zehn Uhr entfaltete der »Champlain« denn auch wieder seine Segel und steuerte nach Matane in südwestlicher Richtung dahin.
Es empfahl sich auch mehr, nach dem südlichen Ufer des Flusses zu gehen, im Norden sind nämlich Flecken und Dörfer sehr dünn gesät und die Bevölkerung der öden Gegenden nur sehr spärlich. Das Gelände hier besteht eigentlich nur aus einer Anhäufung chaotischer Felsenmassen. Mit Ausnahme des Saguenay-Thales, durch welches der St. Jean-See abfließt und das wirklichen Alluvialboden hat, ist der Boden sehr unfruchtbar, abgesehen von den reichen Wäldern, welche das Land in großem Umfange bedecken.
Im Süden des Flusses dehnt sich dagegen ein gesegneter Landstrich aus, der reiche Ernten liefert. Hier finden sich blühende Dorfschaften und wie schon erwähnt ein wirkliches Panorama von Wohnstätten, das von der Mündung des St. Lorenzo bis nach Quebec hinaufreicht. Fühlen sich Lustreisende auch von den malerischen Reizen des Saguenay-Thales oder von der Malbaie angelockt, so besuchen die canadischen und amerikanischen Badereisenden - vorzüglich diejenigen, welche die brennende Hitze Neu-Englands nach der frischeren Gegend des großen Stromes verjagt - mit Vorliebe dessen südliche Ufer.
Hier, und zwar zuerst auf dem Markte von Matane, war es, wo der »Champlain« seine Ausbeute von Fischen zum Verkauf bot. Johann und zwei der Brüder Harcher, Michel und Tony, gingen von Thür zu Thür, um ihren Fang anzubieten. Niemand konnte es da auffallen, wenn Johann in einem Hause länger verweilte, als es ein derartiger Handel wohl bedingte; daß er in die Wohnungen eintrat und einige Worte, nicht mit den Dienstleuten, sondern mit dem Hausherrn wechselte. Ebenso konnte es ja kein Mensch bemerken, daß er in mancher mehr bescheidenen Wohnung zuweilen mehr Geld zurückgab, als seine Kameraden für ihre Waare lösen konnten.
So ging das mehrere Tage fort inmitten der Flecken des südlichen Ufers, in Rimouski, in Bic und Trois-Pistoles, wie auf dem Strand bei Caconna, einem damals bevorzugten Badeorte am St. Lorenzo.