Als Johann eintrat, ward ihm der herzlichste Empfang zutheil.
»Ich kann Ihnen nur wenig Stunden widmen, begann er.
- Nun wohl, antwortete der Advocat, so wollen wir sie verwenden, von der Vergangenheit und von der Gegenwart zu sprechen.
- Von der Vergangenheit. nein! erwiderte Johann. Von der Gegenwart. von der Zukunft. vor Allem von der Zukunft.«
Seit seinem Bekanntwerden mit ihm fühlte Sebastian Grammont heraus, daß Johann im früheren Leben von einem bedrückenden Leide heimgesucht worden sein müsse, dessen Ursache er nicht zu errathen vermochte. Selbst ihm gegenüber bewahrte Johann stets eine so scheue Zurückhaltung, daß er es vermied, seine Hand selbst darzubieten. Sebastian Grammont unterließ es auch, weiter in ihn zu dringen. Wenn es seinem Freunde sonst passend erschien, seine Geheimnisse zu entschleiern, würde er bereit sein, ihn zu hören.
Während der wenigen Stunden ihres Beisammenseins sprachen sie Beide über die politische Lage. Einerseits unterrichtete der Advocat Johann über die Stimmung im Parlamente; andererseits klärte Johann wieder Sebastian Grammont bezüglich der Maßregeln auf, welche in Erwartung einer bevorstehenden Erhebung schon getroffen waren, und vorzüglich über die Bildung einer Art Central-Comites in der Villa Montcalm, sowie über die Erfolge seiner Fahrt durch Ober- und Unter-Canada. Zur Vollendung der letzteren hatte er jetzt nur noch den Bezirk von Montreal zu bereisen.
Der Advocat lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit und sah eine gute Vorbedeutung in dem Fortschritte, welchen die nationale Sache binnen wenigen Wochen gemacht hatte. Gab es doch keinen Flecken, kein Dorf mehr, wo nicht Geld zum Ankauf von Waffen und Munition vertheilt worden wäre und das nicht mit Ungeduld auf das Zeichen zum Losschlagen geharrt hätte.
Johann erfuhr hier auch von den letzten, seitens der Behörde in Quebec beliebten Maßnahmen.
»Zunächst, lieber Johann, sagte Sebastian Grammont, hier ging das Gerücht, daß Sie vor etwa einem Monat hier gewesen wären. Verschiedene Haussuchungen wurden angestellt, Ihr Versteck zu entdecken, und selbst in meinem eigenen Hause, wo Sie sich, einer falschen Angabe nach, aufhalten sollten. Da suchten mich verschiedene Beamte und Agenten auf, unter Andern auch ein gewisser Rip.
- Rip! rief Johann mit halb erstickter Stimme, als ob dieser Name ihm die Lippen verbrannt hätte.
- Ja, der Chef des Hauses Rip & Cie. antwortete Sebastian Grammont. Vergessen Sie nicht, daß dieser Geheimagent ein höchst gefährlicher Mann ist.
- Gefährlich! murmelte Johann.
- Dem Sie vor allen Anderen zu mißtrauen haben, fuhr Sebastian Grammont fort.
- Zu mißtrauen! wiederholte Johann. Ja, ihm zu mißtrauen wie einem elenden Schurken!
- Kennen Sie ihn schon?
- Ich kenne ihn wohl, bestätigte Johann, der seine Aufregung wieder bemeistert hatte, doch er kennt mich noch nicht!.
- Das ist von Wichtigkeit,« sagte Sebastian Grammont, etwas betroffen über das Benehmen seines Gastes.
Johann gab dem Gespräch bald eine andere Richtung und fragte den Advocaten über die Politik des Parlaments in den letzten Wochen.
»In der Kammer, antwortete Sebastian Grammont, ist die Opposition jetzt ganz besonders heftig. Papineau und Cuvillier, Viger, Quesnel, Bourdages und Andere unterlassen es nie, die Maßnahmen der Regierung anzugreifen. Lord Gosford würde die Kammer jedenfalls gern vertagen; er fühlt aber recht wohl, daß das nur das Land zum Aufstand drängen hieße.
- Gott gebe, daß er es nicht eher thut, als bis wir bereit dazu sind, fiel Johann ein. Wenn nur die Einzelführer die Entwickelung der Dinge nicht etwa überstürzen!.
- Sie werden Meldung erhalten, Johann, und werden gewiß nichts unternehmen, was Ihre Pläne durchkreuzen könnte. Jedenfalls sind indeß, in Erwartung einer möglichen Erhebung, welche binnen kurzer Frist ausbrechen könnte, seitens des
General-Gouverneurs gewisse Maßregeln getroffen. Sir John Colborne hat die ihm zur Verfügung stehenden Truppen zusammengezogen, um sie gegebenen Falls schnell nach den wichtigsten Punkten der Grafschaften des St. Lorenzo werfen zu können, wo der Kampf, wie man meint, zuerst entbrennen müsse.
- Da, aber gleichzeitig an zwanzig anderen Punkten - so hoffe ich wenigstens, antwortete Johann. Es kommt wesentlich darauf an, daß die ganze canadische Bevölkerung sich an dem nämlichen Tage und zu gleicher Stunde erhebt, und daß die Bureaukraten gleich durch die Masse erdrückt werden. Käme es nur zu einem örtlichen Aufstande, so würde dieser schon im Anfange erstickt werden. Gerade um diesen allgemein zu machen, hab' ich die Kirchspiele im Westen und im Osten besucht und will ich noch nach denen in der Mitte des Landes gehen. Noch diese Nacht denke ich weiter zu reisen.
- Reisen Sie ab, Johann, vergessen Sie aber nicht, daß die Soldaten und die Freiwilligen Sir John Colborne's in der Hauptsache rings um Montreal, unter dem Commando der Obersten Gore und Witherall, verstreut liegen. Daselbst wird es gewiß zum schrecklichsten Zusammenstoß kommen.
- Dafür wird auch Alles darauf zugeschnitten sein, gleich mit dem ersten Knattern der Gewehre einen bestimmten Vortheil zu erringen, antwortete Johann. Gerade das Comite in der Villa Montcalm ist am besten in der Lage, eine gemeinsame Action zu erzielen, und ich kenne die Thatkraft des Herrn de Vaudreuil, der jenes leitet. Außerdem haben die glühendsten Söhne der Freiheit den Städten, Flecken und Dörfern der Grafschaften Vercheres, St. Hyazinthe und Laprairie, welche Montreal benachbart sind, das Feuer ihrer Begeisterung mitgetheilt.
- Und von allen Seiten wird dasselbe noch angefacht, versicherte Sebastian Grammont. Oeffentlich und unter vier Augen, in ihren Predigten wie in jedem Gespräche, geben selbst unsere Geistlichen ihrer Entrüstung über die englische Tyrannei Ausdruck. In der Cathedrale zu Quebec selbst hat sich ein junger Prediger nicht gescheut, das Nationalgefühl wachzurufen, und seine Worte fanden einen so lauten Widerhall, daß der Polizeiminister jenen verhaften lassen wollte. Lord Gosford hingegen, der mit den canadischen Geistlichen behutsam umgegangen zu sehen wünschte, hat sich dieser Gewaltmaßregel widersetzt und nur durch den Bischof bewirkt, daß jener die Stadt verlassen mußte, so daß dieser der Mission jetzt in der Grafschaft Montreal obliegt. Er ist ein wirklicher Volkstribun der Kanzel von hinreißender Beredsamkeit, der keine Rücksichtnahme auf die eigene Person kennt und der sich keinen Augenblick überlegen würde, unserer Sache Freiheit und Leben zu opfern.
- Er ist noch jung, sagten Sie, dieser Geistliche? fragte Johann.
- Kaum dreißig Jahre alt.
- Zu welchem Orden gehört er?
- Zu dem des heiligen Sulpice.
- Und sein Name?
- Der Abbe Joann.«
Sebastian Grammont hätte glauben mögen, daß dieser Name in Johanns Geiste eine Erinnerung wachrief, denn der junge Mann verhielt sich einige Augenblicke schweigend. Dann nahm er Abschied von dem Advocaten, obgleich ihm dieser anbot, bis zum nächsten Tage unter seinem Dache zu rasten.
»Ich danke Ihnen, mein lieber Grammont, sagte er, es liegt mir aber daran, meine Genossen vor Mitternacht wieder zu treffen. Wir müssen mit steigender Fluth abfahren.
- So gehen Sie mit Gott, Johann, antwortete der Advocat. Ob Ihr Unternehmen nun gelingt oder nicht, in jedem Fall sind und bleiben Sie einer Derjenigen, die für unser Land das Meiste gethan haben!
- Nichts werde ich gethan haben, so lange dieses noch unter dem Joche Englands seufzt, rief der junge Patriot, und wenn mir dessen Befreiung, selbst mit dem Opfer meines Lebens, nicht gelingen sollte.
- So würden Sie doch dessen ewige Dankbarkeit verdienen, fiel ihm Sebastian Grammont ins Wort.