Kurz nach Mitternacht bemerkte der auf dem Auslug stehende Pierre Harcher ein Feuer, welches stromaufwärts am Ufer leuchtete.
»Das ist offenbar das Signallicht eines heimtreibenden Schiffes, sagte Remy, der an seines Bruders Seite getreten war.
- Achtung auf die Netze! rief Jacques. Wir haben davon dreißig Faden draußen und sie wären verloren, wenn das Schiff unsern Curs kreuzte.
- So wollen wir nach Steuerbord abfallen, sagte Michel, zum Glück fehlt es ja nicht an Raum dazu.
- Nein, entgegnete Pierre, der Wind ist dazu zu flau und wir würden weggetrieben werden.
- Mir scheint es besser, die Netze gleich einzuziehen, meinte Tony, das wäre sicherer.
- Ja wohl, und deshalb keine Zeit verloren!« stimmte Remy bei.
Die Brüder Harcher beeilten sich ihre Fanggeräthschaften an Bord zu holen, als Johann sagte:
»Seid Ihr auch sicher, daß jenes ein Schiff ist, welches mit der Strömung herabtreibt?..
- Ich kann mir nichts anders denken, entgegnete Pierre. Jedenfalls nähert es sich ziemlich langsam und sein Licht schimmert ziemlich tief auf dem Wasserspiegel.
- Vielleicht ist es ein »Käfig«? meinte Jacques.
- Nun, wenn es ein Käfig wäre, antwortete Remy, hätten wir um so mehr Ursache, ihm auszuweichen. Dann könnten wir uns gar nicht mehr von demselben befreien. Vorwärts also, holt ein!«
Der »Champlain« wäre in der That in Gefahr gekommen, seine Netze einzubüßen, wenn die Brüder nicht rasch Hand angelegt hätten, diese hereinzuziehen, selbst ohne sich Zeit zu nehmen, die in den Maschen hängenden Fische daraus zu befreien. Kein Augenblick war zu verlieren, denn das betreffende Licht glänzte bereits in einer Entfernung von nur zwei Kabellängen.
»Käfige« nennt man in Canada jene aus sechzig bis siebzig »Cribs«, d.h. Abtheilungen, bestehenden Holzzüge oder Flöße, von denen jedes mindestens tausend Cubikfuß umfaßt. Von dem Tage an, wo der Eisgang die Beschiffung des Stromes gestattet, gleitet eine große Anzahl solcher Käfige von Montreal nach Quebec hinunter.
Sie kommen aus den endlosen Wäldern des Westens, jener unvergleichlichen Quelle des Wohlstandes für die Provinz Canada. Man stelle sich eine schwimmende, höchstens fünf bis sechs Fuß über das Wasser aufragende Masse vor, welche etwa einem Ponton ohne Mast ähnelt. Diese besteht aus an Ort und Stelle vierkantig und zwar mit der Axt bearbeiteten Stämmen oder auch aus Brettern und Planken, welche die längs der Chaudieres-Fälle am Ottawa-Flusse gelegenen Schneidemühlen liefern. Solcher Züge schwimmen von April bis Mitte October Tausende hinab, welche die Wasserfälle und Stromschnellen durch Gleiteinrichtungen umgehen, die sich auf dem Grunde enger seitlicher Canäle angebracht finden.
Ein Theil dieser Käfige legt schon in Montreal an und löscht hier die Ladung für nach den europäischen Häfen bestimmte Schiffe; der größere Theil aber geht bis Quebec selbst. Hier ist der Mittelpunkt des Handels mit Waldproducten, dessen Betrag sich zu Gunsten Canadas auf jährlich zwanzig bis fünfundzwanzig Millionen Mark beziffert.
Es versteht sich von selbst, daß diese Holzzüge die Schifffahrt auf dem Flusse nicht wenig belästigen, vorzüglich wenn sie dessen Mittelarme benutzen, welche nur von mäßiger Breite sind; ganz dem Ebbestrom, so lange dieser anhält, überlassen, gehorchen dieselben natürlich dem Steuer fast gar nicht. Es ist also Sache der Fischerboote und der anderen Fahrzeuge, jenen aus dem Wege zu gehen, wenn sie ernste Zusammenstöße und damit starke Havarien vermeiden wollen. Auch die Brüder Harcher mußten sich demnach beeilen, ihre in der Richtungslinie des Käfigs nachgeschleppten Netze einzuholen, da die Windstille sie verhinderte, jenem weiter auszuweichen.
Jacques hatte sich nicht getäuscht, es war ein solches ungeheures Floß, welches den Strom hinabglitt. Eine an dessen Vordertheil befestigte Laterne zeigte die Richtung, der es folgte, und es hatte sich schon bis auf zwanzig Faden genähert, als der »Champlain« mit dem Einziehen seiner Netze zu Ende war.
In diesem Augenblick begann eine klangvolle Stimme das alte Volkslied, das nach Roveillaud's Angabe zum wahren Nationalgesang, wenn auch mehr nur durch die Melodie als durch den Text geworden ist. In dem Sänger, dem Führer des Floßes, erkannte man leicht einen Canadier französischen Stammes, schon an der Betonung und der breiten Aussprache der Doppellaute. Er sang Folgendes:
Ich kam zurück ermüdet Vom lust'gen Hochzeitsschmauß, Und an der kühlen Quelle, Da ruht' ich sorglos aus.
Ohne Zweifel erkannte Johann die Stimme des Sängers, denn er näherte sich Pierre Harcher, gerade als der »Champlain« mittels einiger Ruderschläge ein wenig von dem Käfig abgebracht werden sollte.
»Lege an, sagte er zu ihm.
- Anlegen? antwortete Pierre verwundert.
- Ja!. Das ist Louis Lacasse.
- So werden wir aber mit ihm hinuntertreiben.
- Höchstens fünf Minuten lang, versicherte Johann. Ich habe blos wenige Worte mit ihm zu sprechen.«
Einen Augenblick später glitt Pierre Harcher, nachdem er die Ruderpinne umgelegt, längs des Holzzuges hin, an dem der »Champlain« mit seinem Vordertheile festgelegt wurde.
Der Führer des Floßes hatte, als er dieses Manöver sah, seinen Gesang unterbrochen und rief.
»Heda!. Kutter!. In Acht nehmen!
- Es ist keine Gefahr, Louis Lacasse! antwortete Pierre Harcher; der »Champlain« ist es.«
Mit einem Satze war Johann auf den Holzzug hinübergesprungen und hatte sich dessen Führer genähert, der ihn, als er ihn beim Lichte der Laterne erkannte, freundlichst begrüßte.
»Ich mache Ihnen mein »Compliment«, Herr Johann.
- Ich danke, Lacasse.
- Ich rechnete darauf, Ihnen unterwegs zu begegnen und hatte mich schon entschlossen, den »Champlain« beim nächsten Aufenthalt während der Fluth abzuwarten. Doch, da Sie nun hier sind.
- Ist Alles an Bord? fragte Johann.
- Alles, versteckt unter den Planken und Brettern!. Ist herrlich verstaut, versichere ich Sie! setzte Louis Lacasse hinzu, während er Stein und Schwamm hervorzog, um die Pfeife wieder anzuzünden.
- Sind die Zollbeamten da gewesen?
- Ja wohl.. In Vercheres!. Diese Maulwürfe haben eine ganze halbe Stunde lang hier herumgewühlt!. Gesehen haben sie nichts. Es war, als ob Alles in einer Lade verschlossen wäre.«
Louis Lacasse sprach das Wort »Lade« mit derselben Dehnung aus, wie »Compliment«, und wie das noch in einzelnen Provinzen Frankreichs Sitte ist.
»Wie viel? fragte Johann.
- Zweihundert Flinten.
- Und Säbel?
- Zweihundertfünfzig.
- Diese kommen.?
- Aus Vermont. Unsere Freunde, die Amerikaner, haben tüchtig gearbeitet, gekostet hat uns Alles nicht besonders viel. Sie hatten nur einige Mühe, die Ladung bis nach Fort Ontario zu schaffen, wo wir sie übernahmen. Jetzt gibt es keine Schwierigkeiten mehr.
- Und die Munition?.
- Drei Tönnchen Pulver und einige Tausend Kugeln. Wenn jede von diesen ihren Mann trifft, wird es in Canada bald keinen Rothrock mehr geben, da werden sie aufgezehrt von den »Froschessern«, wie uns die Angelsachsen nennen.
- Du weißt auch, fragte Johann, für welche Kirchspiele die Waffen und die Munition bestimmt sind?
- Vollkommen, versicherte der Fischer. Seien Sie ohne Sorge! Es ist keine Gefahr mehr, überrascht zu werden. Während der Nacht, wenn es tiefste Ebbe ist, werde ich meinen Käfig festlegen, und dann kommen Boote vom Ufer, um jedes seinen Theil abzuholen. Doch gehe ich nicht weiter, als bis Quebec hinunter, wo ich meine Hölzer an Bord des »Moravian« von Hamburg abzuliefern habe.
- Schon recht, antwortete Johann. Vor Quebec wirst Du auch deine letzten Flinten und letzten Pulvertonnen abgegeben haben.