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Die Insassin gab beim Erscheinen der beiden Männer gar keine Verwunderung zu erkennen. Diese drückten sie in die Arme und kamen ihr überhaupt mit rein kindlicher Zärtlichkeit entgegen.

Es waren Johann und Joann, jene Frau aber ihre Mutter, Bridget Morgaz. Niemand hätte daran gezweifelt, daß diese unglückliche Familie Canada verlassen habe, um in irgend einer Provinz Nord- oder Südamerikas oder gar in einem fernen Winkel Europas ein verborgenes Dasein zu fristen. Die von dem Verräther erlangte Geldsumme mußte ausreichen, ihm ein bequemes Leben zu sichern, wohin er sich auch zurückziehen mochte. Nahm er dann einen falschen Namen an, so entging er auch der Verachtung, die seinem eignen Namen in der ganzen Welt folgte.

Der Leser weiß schon, daß diese Vermuthungen irrige waren. Eines Abends hatte Simon Morgaz sich mit eigener Hand gerichtet, und kein Mensch ahnte, daß sein Leichnam an einer verlorenen Stelle des Nordufers am Ontario-See ruhte.

Bridget Morgaz, Johann und Joann hatten die ganze Furchtbarkeit ihrer Lage schnell begriffen. Waren die Mutter und die Söhne auch völlig schuldlos an dem Verbrechen des Gatten und Vaters, so herrschte auch gegen sie gewiß ein so grausames Vorurtheil, daß sie nirgends Mitleid und Vergebung gefunden haben würden. In Canada, wie an jedem anderen Punkte der Welt, mußte ihr Name allein ein nie schweigender, einstimmiger Vorwurf für sie bleiben. Sie beschlossen also auf diesen Namen zu verzichten, ohne an die Annahme eines anderen nur zu denken. Wozu hatten die Unglücklichen, denen das Leben nur noch Schmach und Schande zu bringen versprach, das auch nöthig?

Die Mutter und die Söhne entwichen aber doch nicht sofort aus dem Vaterlande. Ehe sie Canada verließen, hatten sie noch eine Aufgabe zu erfüllen, und dieser Aufgabe wollten sie sich, selbst um den Preis des Lebens, alle Drei widmen.

Ihre einzige Absicht ging nämlich dahin, das wieder gut zu machen, was Simon Morgaz an seinem Vaterlande verbrochen hatte. Ohne jenen von dem hinterlistigen Rip veranstalteten Verrath hätte die Verschwörung von 1825 die beste Aussicht auf Erfolg gehabt. Nach Gefangennahme des Gouverneurs und der englischen Truppenführer hätten die wenigen Soldaten der franco-canadischen Bevölkerung, die sich in Masse zu erheben bereit war, kaum Widerstand leisten können. Eine ehrlose Handlung hatte aber das Geheimniß der Verschwörung preisgegeben, und Canada war unter den Händen seiner Bedrücker geblieben.

Johann und Joann wollten also das durch den Verrath ihres Vaters unterbrochene Werk wieder aufnehmen. Bridget, deren muthige Entschlossenheit ganz der schrecklichen Lage gewachsen war, wies sie selbst darauf hin, daß das der einzige Zweck ihres Lebens sein könne. Sie verstanden das, die beiden Brüder, die jener Zeit erst siebzehn und achtzehn Jahre zählten. Und sie widmeten sich mit Leib und Seele dieser Aufgabe der Vergeltung.

Bridget Morgaz, von Anfang an entschlossen, nur von dem zu leben, was ihr von dem früheren Vermögen übrig blieb -wollte nichts von dem im Taschenbuche des Selbstmörders vorgefundenen Geld behalten. Diese Summe konnte und sollte zu nichts Anderem verwendet werden, als für die Bedürfnisse der nationalen Sache. So entstand das geheimnißvolle, den Händen des Meister Nick übergebene Depot. Ein Rest wurde zurückbehalten, um von Johann unmittelbar unter die Reformer vertheilt zu werden.

So hatten die Comites 1831 und 1835 die nöthige Summe zum Ankauf von Waffen und Schießbedarf erhalten, und 1837 wurde der Ueberrest jener zur Aufbewahrung gegebenen Summe dem Comite in der Villa Montcalm zugewendet und den Händen des Herrn de Vaudreuil anvertraut. Das war Alles, was von dem Preise des Verräthers noch übrig geblieben war.

In dem Hause zu St. Charles, wohin ihre Mutter sich zurückgezogen, sahen die Söhne sie im Geheimen, wenn ihnen das möglich wurde. Schon seit mehreren Jahren hatte Jeder seinen eigenen Weg eingeschlagen, um das nämliche Ziel zu erreichen.

Joann, der Aeltere, hatte sich gesagt, daß für ihn doch jedes irdische Glück verwelkt sei; unter dem Einflusse religiöser Vorstellungen, welche dem Allen entsprang, hatte er Priester, aber streitbarer Priester werden wollen. Er war in den Orden des heiligen Sulpice mit der Absicht eingetreten, die unwiderruflichen Rechte seiner Heimat mit dem Worte lebendig zu erhalten. Eine natürliche Beredtsamkeit im Verein mit einem glühenden Patriotismus zog die Bevölkerung der kleinen Städte und des Landes zu ihm heran. In der letzten Zeit war sein Ruhm nur noch gewachsen und stand eben jetzt auf der höchsten Stufe.

Johann hatte sich der reformatorischen Bewegung zwar nicht mit der Macht der Rede, aber mit der That angeschlossen.

Obwohl der Aufstand 1831 ebensowenig geglückt war, wie der von 1835, so hatte sich sein Ansehen doch keineswegs vermindert. Die große Menge betrachtete ihn als den geheimnißvollen Anführer der Söhne der Freiheit. Er erschien zur Stunde, wo er mit seiner Person eintreten mußte, und verschwand ebenso, um sein Werk weiterzuführen. Der Leser weiß, zu welch' hohem Ansehen er sich in der Partei der liberalen Opposition emporgeschwungen hatte. Es schien fast, als ob die Sache der Unabhängigkeit in den Händen eines einzelnen Mannes, jenes Johann ohne Namen, wie er sich selbst nannte, läge und als ob die Patrioten von ihm allein das Zeichen zu einem neuen Aufstande erwarteten.

Die Stunde desselben war schon nahe. Noch einmal, bevor sie sich in dieses Unternehmen einließen, hatten Johann und Joann, welche der Zufall in Chambly zusammengeführt hatte, sich nach dem geschlossenen Hause begeben wollen, um ihre Mutter - vielleicht zum letzten Male - wiederzusehen.

Jetzt waren sie nun da, bei ihr, und saßen an ihrer Seite. Sie hielten ihre Hand und sprachen mit gedämpfter Stimme. Johann und Joann erklärten ihr, wie die Dinge jetzt lagen. Der Kampf mußte entsetzlich werden, wie jeder Verzweiflungskampf.

Durchdrungen von den Empfindungen, von denen ihr Herz überwallte, gab sich Bridget der Hoffnung hin, daß das Verbrechen des Vaters endlich durch die Söhne seine Sühne finden werde. Dann nahm sie das Wort:

»Mein Johann und mein Joann, sagte sie, ich muß wohl Eure Hoffnungen theilen, muß wohl an den Erfolg glauben.

- Ja, Mutter, wir dürfen daran glauben, antwortete Johann. Binnen wenigen Tagen wird die Bewegung ausbrechen.

- Und Gott gebe uns den Sieg, der jeder gerechten Sache zukommt, setzte Joann hinzu.

- Ja, Gott leihe uns seine Hilfe, erwiderte Bridget, und vielleicht werde ich endlich das Recht haben zu beten für.«

Bisher war niemals, nein, niemals ein Gebet gekommen über die Lippen dieser unglücklichen Frau für die Seele Desjenigen, der einst ihr Gatte gewesen war.

»Mutter, sagte Joann, meine liebste Mutter.

- Und Du, mein Sohn, unterbrach ihn Bridget, hast Du jemals für Deinen Vater gebetet, der Du Diener des vergebenden Gottes bist?«

Joann senkte den Kopf ohne zu antworten.

Bridget fuhr fort:

»Meine Kinder, bisher habt Ihr Eure Schuldigkeit gethan, vergeßt aber nicht, wenn Ihr Euch opfert, so habt Ihr nur Eure Pflicht erfüllt. Und selbst, wenn unser Land Euch einmal unsere Unabhängigkeit verdankt, so darf der Name, den wir früher trugen, der Name Morgaz.

- Doch nicht mehr existiren, meine Mutter, vollendete Johann den Satz, für ihn giebt es keine Rehabilitation. Man kann ihm die Ehre nicht wieder geben, so wenig, wie man die Patrioten wieder zum Leben erwecken kann, die der Verrath unseres Vaters dem Schaffot überlieferte. Was wir, Joann und ich, thun, das geschieht nicht, um die an unserem Namen haftende Schmach abzuwaschen. Das, das wäre unmöglich!. Nein, für einen Handel wie diesen bemühen wir uns nicht. Unsere Bestrebungen gehen nur dahin, das unserem Lande geschehene Unrecht wieder gut zu machen, nicht das, welches uns selbst getroffen hat. nicht wahr, Joann?