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- Ja, bestätigte der junge Geistliche. Wenn Gott auch vergeben kann, so weiß ich doch, daß das den Menschen versagt ist, und so lange die Ehre noch eine sociale Anforderung bleibt, wird unser Name zu denen gehören, welche die Verachtung der Allgemeinheit trifft.

- Man wird also niemals vergessen können?. sagte Bridget, die ihre Söhne auf die Stirn küßte, als hätte sie das untilgbare Schandmal darauf verlöschen wollen.

- Vergessen! rief Johann. Geh' nur einmal nach Chambly, Mutter, und Du wirst sehen, ob die Vergessenheit.

- Johann, unterbrach ihn Joann schnell, schweig still!

- Nein, Joann. unsere Mutter muß es wissen!. Sie hat Seelenstärke genug, um Alles zu hören, und ich kann ihr nicht die Hoffnung auf Wiedererlangung allgemeiner Achtung, welche unmöglich ist, lassen!«

Und mit leiser Stimme, in abgebrochenen Worten, berichtete er, was nur wenige Tage vorher in dem Flecken Chambly, der Wiege der Familie Morgaz, und vor den Ruinen seines Vaterhauses geschehen war.

Bridget hörte ihm zu, ohne daß eine Thräne ihre Augen netzte. Sie hatte schon das Weinen verlernt.

Doch sollte es denn wahr sein, daß eine solche Lage ohne Ende andauern konnte? War es möglich, daß die Erinnerung an einen Verrath unvergeßlich und daß die Verantwortung für ein Verbrechen auch auf Unschuldigen lasten blieb? Stand es denn im menschlichen Bewußtsein geschrieben, daß der Fleck, der auf den Namen einer Familie gefallen, niemals wieder verwischt werden konnte?

Eine kurze Zeit wurde zwischen der Mutter und den beiden Söhnen kein Wort gewechselt; sie sahen einander nicht einmal an, und ihre Hände hatten sich von einander gelöst. Alle litten schrecklich. Ueberall also, nicht allein in Chambly, würden sie Parias sein, »Outlaws«, welche die Gesellschaft von sich stößt, welche sie sozusagen außerhalb der Gemeinschaft der Menschen hinstellt.

Gegen drei Uhr nach Mitternacht dachten Johann und Joann daran, ihre Mutter zu verlassen. Sie wollten jedenfalls wieder fortgehen, ohne die Gefahr, gesehen zu werden. Ihre Absicht ging auch dahin, sich gleich vor der Ortschaft zu trennen. Es schien von Wichtigkeit, daß sie Niemand zusammen auf der Straße sah, auf welcher sie durch die ganze Grafschaft zogen. Niemand sollte wissen, daß die Thür des geschlossenen Hauses sich diese Nacht vor den einzigen Besuchern, welche je seine Schwelle überschritten, geöffnet hatte.

Die beiden Brüder hatten sich erhoben. Im Augenblicke einer Trennung, welche vielleicht ewig andauern sollte, empfanden sie es doppelt, wie die Bande der Familie sie aneinander knüpften. Zum Glück hatte Bridget keine Ahnung davon, daß auf den Kopf Johanns ein Preis ausgesetzt war.

Wenn das auch Joann bekannt war, so hatte diese schreckliche Nachricht mindestens noch nicht in die Einsamkeit des geschlossenen Hauses zu dringen vermocht. Johann wollte seiner Mutter natürlich nichts davon sagen; was hätte es auch nützen können, deren Schmerzen noch zu verschlimmern, und hätte Bridget es zu anderem Zwecke erfahren, als um die Angst und Sorge, ihren Sohn niemals wiederzusehen, nur noch zu vergrößern?

Der Augenblick der Trennung war gekommen.

»Wohin wendest Du Dich, Joann? fragte Bridget.

- Nach den Kirchspielen im Süden, antwortete der junge Priester. Dort denke ich die Stunde abzuwarten, mich meinem Bruder anzuschließen, wenn dieser sich an die Spitze der canadischen Patrioten gesetzt hat.

- Und Du, Johann?

- Ich begebe mich nach dem Pachthofe zu Chipogan, in der Grafschaft Laprairie, erklärte Johann. Dort werd' ich meine Genossen finden, und dort müssen wir noch die letzten Maßregeln besprechen... inmitten jener reinen Familienfreuden, die uns versagt sind, meine geliebte Mutter! Die braven Leute daselbst haben mich wie einen Sohn aufgenommen.. Sie würden ihr Leben für das meinige hingeben!. Und doch, wenn sie erführen, wer ich bin, welchen Namen ich trage.! Ach, wie elend sind wir doch, wir, deren Berührung schon als eine Schande gilt!. Sie werden aber nichts erfahren. weder sie noch irgend Jemand!«

Johann war auf den Stuhl zurückgesunken und preßte, vernichtet von einer Last, die er alle Tage schwerer fühlte, die Hände vor das Gesicht.

»Steh' auf, Bruder, sagte Joann. Sieh, das bringt Dir Versöhnung, daß Du stark genug bist, um leiden zu können!. Komm', steh' auf, wir wollen weiterziehen!

- Und wann werde ich Euch wiedersehen, Kinder? fragte Bridget.

- Hier nicht mehr, liebste Mutter, antwortete Johann. Wenn wir obsiegen, so verlassen wir alle Drei dieses Land. und gehen weit, weit weg. wo Niemand uns erkennen kann. Wenn wir Canada seine Unabhängigkeit wiedergeben, so soll es doch nimmer erfahren, was es den Söhnen Simon Morgaz' schuldet. Nein. niemals!

- Und wenn Alles verloren ist? fuhr Bridget fort.

- Dann, meine gute, liebste Mutter, dann sehen wir uns weder in diesem Lande, noch in einem anderen wieder. dann sind wir nicht mehr unter den Lebenden!«

Die beiden Brüder warfen sich zum letzten Male in die Arme ihrer Mutter. Dann öffnete sich die Thür und schloß sich wieder.

Noch etwa hundert Schritte machten Johann und Joann auf der Landstraße zusammen, dann trennten sie sich mit einem letzten Blicke auf das geschlossene Haus, in dem eine Mutter für ihre Söhne betete.

Zehntes Capitel

Der Pachthof zu Chipogan

Der Pachthof von Chipogan, gegen sieben Lieues von dem Flecken Laprairie in der gleichnamigen Grafschaft gelegen, bedeckte eine mäßige Bodenerhebung am rechten Ufer eines kleinen Wasserlaufes, der nach dem St. Lorenzo abfloß. Hier besaß Herr de Vaudreuil ein recht einträgliches, zwischen vier-und fünfhundert Acker großes Landgut, welches der Farmer Thomas Harcher bewirtschaftete.

Vor dem Pachthofe, auf der Seite nach dem Flüßchen zu, dehnten sich weite Ländereien und ein Damenbrett von grünenden Wiesen von helldurchsichtigen Hecken umgeben aus, wie solche im Vereinigten Königreiche unter dem Namen »Fences« bekannt sind. Es war der wirkliche Teppich regelmäßiger sächsischer oder amerikanischer Zeichnung in aller geometrischen Strenge. Große Vierecke und darin wieder kleinere Vierecke mit Umzäunungen umrahmten schöne Culturen, welche Dank dem nährkräftigen, schwärzlichen Humus des Bodens vorzüglich gediehen. Dieser Humus, dessen Dicke drei bis vier Fuß beträgt, ruht gewöhnlich auf einer Thonschicht, und fast in derselben Weise ist in Canada der ganze Erdboden bis zu den Abhängen der Laurentiden zusammengesetzt.

Zwischen den mit peinlichster Sorgfalt cultivirten Vierecken wuchsen verschiedene Sorten Getreide, wie sie der Landmann auch meist in Mitteleuropa anbaut, nämlich Roggen, Mais, Reis, Hanf, Hopfen, Tabak u.s.w. Hier wucherte auch wilder Reis, der fälschlicher Weise »wilder Hafer« genannt wird. Dieser kam vorzüglich längs der immer nassen Ränder des kleinen Wasserlaufes vor und lieferte übrigens gekocht eine ganz ausgezeichnete Suppe.

Mit saftigem Grase bestandene Weideplätze dehnten sich hinter dem Pachthofe aus bis zum Saume der hohen Gehölze, welche eine leichte Bodenwelle bedeckten und sich über Gesichtsweite hinaus verloren. Diese Weiden reichten so bequem aus zur Ernährung der Hausthiere, welche die Farm zu Chipogan aufzog, daß Thomas Harcher noch eine weit größere Menge Rinder hätte gegen geringes Entgelt aufnehmen können. Hier tummelten sich Ochsen, Kühe, Stiere, Schafe und Schweine, ohne die kräftigen Pferde canadischer Race zu zählen, welche von den amerikanischen Züchtern so gesucht sind.

In der Nähe der Farm waren die Wälder von nicht geringer Bedeutung. Sie bedeckten früher das ganze Grenzgebiet bis zum St. Lorenzo von seiner Mündung an bis zu der Gegend der Seen. Seit langen Jahren schon hatte die Hand des Menschen hier aber so manche Lichtung geschaffen. Und wie viele stolze Bäume, deren Gipfel sich zuweilen bis zu hundertfünfzig Fuß in die Lüfte erhebt, fallen noch immer unter den Schlägen der Tausende von Aexten und stören die Ruhe jener endlosen Wälder, in denen es von Meisen, Spechten, Amseln, Nachtigallen, Lerchen, Paradiesvögeln mit glänzendem Gefieder wimmelt und wo auch liebliche Canarienvögel, welche leider in den canadischen Provinzen stumm sind, in hellen Schaaren umherflattern. Die »Lumbermen«, die Holzfäller, betreiben hier ein einträgliches, aber bedauerliches Geschäft, indem sie Eichen, Ahornbäume, Eschen, Nußbäume, Erlen, Birken, Ulmen, Kastanienbäume, Weißbuchen, Fichten und Weiden umlegen, welche zersägt oder viereckig behauen die Reihen von Käfigen bilden, die den Lauf des Stromes hinabgleiten. Wenn gegen Ende des 18. Jahrhunderts einer der bekanntesten Helden Cooper's, Nathaniel Bumpoo, Falkenauge, Lange Flinte oder Lederstrumpf genannt, schon über diese Niedermetzelung von Bäumen klagte, würde er nicht heutzutage über diese unerbittlichen Waldverwüster dasselbe sagen, was man über die Landwirthe sagt, welche die Fruchtbarkeit des Bodens durch einen wirklichen Raubbau zu Grunde richten: sie haben das Land gemordet?