Seit seinem Eintreffen in Walhatta hatte sich der junge Schreiber als einer der wärmsten Anhänger des Abbe Joann erwiesen. Er fand in demselben nicht allein die ganze Gluth seines eigenen Patriotismus wieder, sondern er wurde auch ganz eigenthümlich berührt von der auffallenden Aehnlichkeit zwischen dem jungen Pater und Johann ohne Namen: fast dieselben Augen, dieselben feurigen Blicke, fast dieselbe Stimme und die gleichen Bewegungen! Er glaubte wirklich seinen Helden im Gewande eines Priesters wiederzusehen, glaubte ihn zu hören. War es nur eine Sinnestäuschung? Er hätte es nicht sagen können.
Seit zwei Tagen befand sich der Abbe Joann in der Mitte der Mahogannis, und diese verlangten nur, sich den Patrioten anzuschließen, welche ihre Streitkräfte in der Entfernung von etwa vierzig Lieues im Südosten, auf der Insel Navy, einer der Inseln des Niagara, zusammengezogen hatten.
Meister Nick sah sich also gezwungen, den Kriegern seines Stammes zu folgen.
In Walhatta wurden die nöthigen Vorbereitungen unmittelbar getroffen. Wenn die Mahogannis ihr Dorf verlassen hatten, wollten sie durch die angrenzenden Grafschaften ziehen, die Bevölkerung indianischen Stammes aufwiegeln, dann sich nach den Ufern des Ontario-Sees begeben und, bis zum Niagara weiter marschirend, sich den letzten Parteigängern der nationalen Sache anschließen.
Da unterbrach eine Nachricht diese Bewegung - wenigstens zeitweilig.
Am Abend des 9. December brachte ein von Montreal zurückkehrender Hurone die Nachricht mit, daß Johann ohne Namen, den die Agenten Gilbert Argall's an der Grenze von Ontario gefangen hätten, in das Fort Frontenac gebracht worden sei.
Die Wirkung dieser Nachricht kann man sich leicht vorstellen: Johann ohne Namen befand sich in der Gewalt der Königlichen!
Die Mahogannis waren wie vom Donner gerührt, und man denke sich erst die Aufregung, als der Abbe Joann, von dieser Verhaftung unterrichtet, ausrief:
»Mein Bruder!«
Dann fuhr er fort.
»Ich werde ihn vom Tode retten!
- Laßt mich mit Euch gehen! bat Lionel.
- Komm, mein Kind!« antwortete der Abbe Joann.
Siebentes Capitel
Das Fort Frontenac
Johann glich einem Geisteskranken, als er aus dem geschlossenen Hause geflohen war. Das mit so rauher Hand zerrissene Geheimniß seines Lebens, die schrecklichen Worte Rip's, welche Clary gehört haben mußte, der Umstand, daß Fräulein de Vaudreuil jetzt aufgeklärt worden war, daß ihr Vater und sie bei der Gattin und bei dem Sohne jenes Simon Morgaz Zuflucht gefunden - daß Herr de Vaudreuil dasselbe sehr bald erfahren mußte, wenn er es in seinem Zimmer nicht überhaupt schon gehört hatte - Alles das trieb ihn rein zur Verzweiflung. In diesem Hause hätte er auch keinen Augenblick mehr verweilen können. Ohne sich Sorge darum zu machen, was Herr und Fräulein de Vaudreuil widerfahren könne, ohne sich zu fragen, ob der schmachbedeckte Name seiner Mutter hinreichen würde, sie gegen jede weitere Verfolgung zu sichern, ohne sich vorzustellen, daß Bridget gewiß nicht mehr werde in dem Orte wohnen wollen, wo ihr Herkommen bekannt werden mußte, und von wo man sie ohne Zweifel vertreiben würde, war er sinnlos durch die dichten Wälder geeilt, die Nacht hindurch gelaufen, denn nirgendwo glaubte er sich weit genug entfernt von Denen, für die er von jetzt ab nur ein Gegenstand der Verachtung und des Schreckens sein konnte.
Und doch war sein Werk noch nicht vollendet! Seine Pflicht blieb es zu kämpfen, so lange er lebte! Er mußte sich tödten lassen, ehe sein wahrer Name bekannt werden konnte! War er erst todt, gefallen für das Vaterland, dann hatte er vielleicht wieder ein Anrecht, wenn auch nicht auf die Achtung, so doch auf das Mitleid seiner Nebenmenschen!
Allmählich begann wieder etwas Ruhe einzuziehen in das tieferregte Herz. Mit dem kalten Blute kehrte ihm auch die Thatkraft wieder, welche keine Anwandlung von Schwäche wieder lahmlegen sollte.
Auf seiner Flucht strebte er eiligst der Grenze zu, um die Patrioten wieder zu finden und einen neuen aufständischen Feldzug vorzubereiten.
Um sechs Uhr Morgens befand sich Johann schon vier Meilen von St. Charles, nahe dem rechten Ufer des St. Lorenzo und an der Grenze der Grafschaft Montreal.
Diesen von Reiterabtheilungen durchzogenen und von Polizeiagenten geradezu wimmelnden Landestheil mußte er natürlich möglichst bald hinter dem Rücken haben. Er hätte dazu den schräg durch die Grafschaft Laprairie führenden Weg einschlagen müssen, doch dieser wurde nicht weniger überwacht als der von Montreal. Am rathsamsten erschien es, dem Ufer des St. Lorenzo zu folgen, längs desselben bis zum Ontario-See vorzudringen und dann durch das Land im Osten von diesem bis zu den ersten amerikanischen Dörfern zu gelangen.
Johann entschied sich für diesen Plan, der immerhin viel Vorsicht erforderte, da er Schwierigkeiten gerade noch genug bot. Ihm kam es jedoch darauf an, selbst auf die Gefahr kürzerer oder längerer Verzögerungen hin, nur sein Ziel zu erreichen, und er durfte kein Gewicht darauf legen, seinen Fluchtplan je nach den Umständen ändern zu müssen.
In den Ufergrafschaften des Stromes standen zahlreiche Freiwillige auf der Lauer, die Polizei setzte unaufhörlich ihre strengen Haussuchungen noch fort, um die Hauptanführer der Aufständischen zu entdecken - mit diesen natürlich auch Johann ohne Namen, der in zahllosen Maueranschlägen die Summe lesen konnte, welche die Regierung für seinen Kopf zu zahlen anbot.
Unter solchen Verhältnissen sah sich der Flüchtling genöthigt, nur des Nachts seinen Weg fortzusetzen. Tagsüber verbarg er sich in zerfallenen Hütten oder unter fast undurchdringlichem Gebüsch und hatte daneben die größte Mühe, sich nur einige Nahrung zu verschaffen.
Unfehlbar wäre Johann Hungers gestorben, ohne die Hilfe mildherziger Landleute, welche aus Besorgniß, sich selbst bloßzustellen, ihn gern nicht fragten, wer er sei und woher er komme.
So hatte er unvermeidliche Verzögerungen, dafür hoffte Johann jenseits der Grafschaft Laprairie, wenn er sonst die Provinz erreicht hatte, die verlorene Zeit wieder einzuholen.
Während des 4. 5. 6. 7. und 8. December konnte Johann kaum zwanzig Lieues hinter sich bringen. In fünf Tagen -richtiger in fünf Nächten - hatte er sich fast noch gar nicht vom Ufer des St. Lorenzo entfernt und befand sich da in den mittleren Theilen der Grafschaft Beauharnais. Das Schwerste war indeß überwunden, denn die canadischen Kirchspiele des Westens und des Südens erwiesen sich in dieser Entfernung von Montreal weniger überwacht. Dennoch mußte Johann mehr und mehr erkennen, daß die Gefahren, was seine eigene Person betraf, nur noch gewachsen waren. - Starke Rotten von Polizisten folgten seinen Spuren an der Grenze der Grafschaft Beauharnais. Wiederholt gelang es seiner Kaltblütigkeit, dieselben auf falsche Fährten zu führen.
In der Nacht vom 8. zum 9. December sah er sich aber von einem Dutzend Männern eingeschlossen, welche den Befehl hatten, ihn todt oder lebend festzunehmen. Nachdem er sich mit übermenschlichem Muthe vertheidigt und verschiedene Polizeiagenten schwer verwundet, wurde er doch schließlich gefangen genommen.
Heute war es nicht Rip, sondern der Polizeichef Comeau, der sich Johanns ohne Namen bemächtigt hatte. Diese so lohnende und aufsehenerregende Affaire entging dem Leiter des Hauses Rip & Cie. - Das waren sechstausend Piaster, welche auf der Einnahmeseite des Hauptbuches der Firma fehlen mußten.
Die Nachricht von der Verhaftung Johanns ohne Namen hatte sich sofort in der ganzen Provinz verbreitet. Den anglo-canadischen Behörden lag ja selbst so viel daran, sie überall bekannt werden zu lassen. So gelangte dieselbe am nächsten Tage schon bis nach den Kirchspielen der Grafschaft Laprairie und erreichte im Laufe des 9. December auch das Dorf Walhatta.
Am nördlichen Ufer des Ontario-Sees, wenige Lieues von Kingston, erhebt sich das Fort Frontenac. Es beherrscht das linke Ufer des St. Lorenzo, durch den die Gewässer des Sees abfließen und dessen Lauf in dieser Gegend Canada und die Vereinigten Staaten von einander scheidet.