Dieser nicht mißzuverstehenden Erklärung gegenüber blieb dem Abbe Joann nichts übrig, als sich zurückzuziehen. Trotzdem konnte er sich dazu nicht entschließen. Sah er seinen Bruder nicht, konnte er sich nicht mit diesem besprechen, so wurde jeder Fluchtversuch zur Unmöglichkeit. Schon wollte er seine Zuflucht zu Bitten nehmen, um den Commandanten zu einem anderen Beschlusse zu bestimmen, als die Thür sich aufthat.
Der Sergeant erschien auf der Schwelle.
»Sergeant, sagte der Major Sinclair zu ihm, Ihr werdet diesen Geistlichen aus dem Fort hinausführen, und er erhält nicht eher Zutritt, als bis ich nach ihm schicke.
- Die Schildwachen werden Ordre erhalten, Herr Commandant, antwortete der Sergeant. Ich habe Ihnen auch noch mitzutheilen, daß ein Expreßbote eben in Frontenac eingetroffen ist.
- Ein Courier von Quebec?.
- Ja, er überbringt diese Papiere.
- Geben Sie her, sagte der Major Sinclair.
Er entriß dem Sergeanten mehr das amtliche Schreiben, als er es dem Manne aus der Hand nahm.
Der Abbe Joann war todtenbleich geworden; er fühlte sich so schwach, daß seine Hinfälligkeit und die Farbenveränderung seines Gesichts dem Major hätten verdächtig erscheinen müssen, hätte dieser ihn im Augenblick beobachtet.
Das geschah aber nicht.
Die Aufmerksamkeit des Majors war völlig von diesem mit dem Wappen des Lord Gosford versiegelten Briefe, dessen Umschlag er eilig aufriß, in Anspruch genommen.
Er durchflog denselben, dann wandte er sich wieder zu dem Sergeanten.
»Führt diesen Geistlichen nach der Zelle Johanns ohne Namen, befahl er. Ihr laßt ihn mit dem Gefangenen allein, und wenn er wieder fortzugehen wünscht, so führt Ihr ihn nach dem Ausfallsthore.«
Es war der Befehl zur schleunigen Hinrichtung, den der General-Gouverneur eben nach Fort Frontenac geschickt hatte.
Johann ohne Namen hatte nur noch zwei Stunden zu leben.
Achtes Capitel
Joann und Johann
Der Abbe Joann verließ das Zimmer des Majors Sinclair gefaßter, als er es betreten hatte. Der Donnerschlag der so nahe bevorstehenden Hinrichtung vermochte ihn nicht zu erschüttern. Gott hatte ihm eben einen Gedanken gegeben -dieser Gedanke mußte zu gutem Ende führen.
Johann wußte noch nicht, daß jener Befehl in dieser Minute von Montreal eingetroffen war, und Joann fiel die schmerzliche Aufgabe zu, ihn davon zu unterrichten.
Doch nein, das wollte er nicht. Er wollte ihm verhehlen, daß der schreckliche Urtheilsspruch binnen zwei Stunden vollzogen werden sollte. Johann durfte davon nichts erfahren, wenn Joann auf das Gelingen seiner Pläne rechnen sollte.
An eine von langer Hand vorbereitete Flucht war offenbar ebensowenig zu denken, wie an einen Angriff gegen das Fort Frontenac. Der Verurtheilte konnte dem drohenden Tode nur durch sofortige Flucht entgehen. Befand er sich nach Verlauf von zwei Stunden noch in seiner Zelle, so würde er diese nur verlassen, um mitten in der Nacht am Fuße der Palissade durch die Kugeln zu fallen.
Wenn der Bruder des Abbe Joann des Letzteren Plan zustimmte, erschien dieser recht wohl durchführbar, und jedenfalls bot er das letzte Mittel, auf welches man unter den gegebenen Umständen zurückkommen konnte. Allerdings durfte Johann nichts davon wissen, daß der Major Sinclair eben den Befehl erhalten hatte, die Hinrichtung vollziehen zu lassen.
Von dem Sergeanten geleitet, stieg der Abbe Joann die Treppe wieder hinab. Die Zelle des Gefangenen lag an einer Ecke des Erdgeschosses in demselben Blockhause und am Ende eines Verbindungsganges, der längs des Hofes hinlief. Diesen finsteren Corridor mit seiner Fackel erleuchtend, hielt der Sergeant da vor einer niedrigen, von außen mit zwei Riegeln verschlossenen Thür an.
Als der Soldat diese öffnen wollte, trat er erst noch an den jungen Priester heran und sagte zu diesem mit gedämpfter Stimme:
»Sie wissen, daß ich Sie aus dem Fort zu führen habe, wenn Sie den Gefangenen wieder verlassen?
- Das weiß ich, antwortete der Abbe Joann. Warten Sie in diesem Gange und ich werde nach Ihnen rufen.«
Die Thür der Zelle öffnete sich.
Im Innern derselben und völlig im Dunklen, lag Johann auf einer Art Feldbett und schlief; er erwachte auch noch nicht von dem Geräusche, welches der Sergeant verursachte.
Dieser wollte ihn schon an der Schulter schütteln, als der Abbe Joann ihn mit einem Wink bat, davon abzulassen.
Der Sergeant befestigte die Fackel auf einem Tischchen, ging hinaus und schloß hinter sich leise die Thür.
Die beiden Brüder waren allein, der eine schlummernd, der andere auf den Knien liegend und betend.
Dann erhob sich Joann, betrachtete noch zum letzten Male dieses sein Ebenbild, dessen Leben ebensogut wie das seinige das Verbrechen des eigenen Vaters zu einer Kette von Elend und Trauer gemacht hatte.
Dann murmelte er die Worte.
»Herr, Herr mein Gott, steh' mir bei!«
Die Zeit war ihm viel zu knapp zugemessen, um sie, und wäre es nur wenige Minuten, vergeuden zu dürfen. So legte er die Hand auf die Schulter Johanns. Dieser erwachte, öffnete die Augen, richtete sich auf und rief, als er seinen Bruder erkannte:
»Du, Joann!.
- Leiser, Johann, sprich leiser! antwortete Joann; man könnte uns hören!«
Mit der Hand machte er ihm gleichzeitig ein Zeichen, daß die Thür von außen überwacht werde.
Abwechselnd näherten und entfernten sich im Vorgange die Schritte des Sergeanten.
Halb mit großer Wollendecke bekleidet, die ihn nur sehr nothdürftig gegen die Kälte schützte, erhob sich Johann jetzt geräuschlos.
Die beiden Brüder lagen in langer Umarmung.
Dann sagte Johann:
»Unsere Mutter?
- Ist nicht mehr im geschlossenen Hause!
- Sie ist nicht mehr da?.
- Nein!
- Und Herr de Vaudreuil nebst seiner Tochter, denen unser Haus Obdach geboten hatte?
- Das Haus stand völlig leer, als ich zum letzten Male nach St. Charles kam!
- Wann war das?
- Vor acht Tagen.
- Und seitdem weißt Du nichts von unserer Mutter, von unseren Freunden?
- Gar nichts!«
Was mochte denn geschehen sein? Hatte eine wiederholte Haussuchung doch zur Verhaftung Bridgets, des Herrn de Vaudreuil und seiner Tochter geführt? Oder hatte Clary, welche ihren Vater vielleicht nicht einen Tag länger unter dem Dache der Familie Morgaz lassen wollte, diesen trotz seiner Schwäche, trotz der Gefahren, die sie bedrohten, veranlaßt, von dort wegzugehen? War Bridget wohl auch selbst aus St. Charles entflohen, wo die Schande, die auf ihrem Namen lastete, jetzt bekannt geworden war?
Alles das ging Johann gleich einem Blitze durch den Kopf, und er wollte den Abbe Joann schon von den Vorfällen erzählen, die sich gelegentlich seines letzten Besuches im geschlossenen Hause zugetragen hatten, als dieser sich an sein Ohr neigend sagte:
»Höre mich an, Johann. Nicht als Bruder bin ich hier bei Dir, sondern nur als Priester, der seines Amtes bei einem Verurtheilten walten will. Nur unter dieser Bedingung hat mir der Commandant des Forts Zutritt in Deine Zelle gestattet. Wir haben keinen Augenblick zu verlieren. Du mußt auf der Stelle fliehen!.
- Auf der Stelle, Joann? Aber wie?
- Du legst meine Kleidung an und gehst in der Priestertracht hinaus. Wir sind einander ähnlich genug, als daß Jemand diese Verwechslung bemerken könnte. Uebrigens ist es ja Nacht, und Du wirst beim Ueberschreiten des Ganges und des innern Hofes schwerlich von einer Fackel so deutlich beleuchtet werden. Verbirgst Du das Gesicht ein wenig unter diesem Hute, so ist es unmöglich, daß Dich Jemand erkennt. Wenn wir die Kleidung gewechselt haben, halte ich mich ein wenig im Hintergrunde der Zelle und rufe nach dem Sergeanten. Dieser wird, wie verabredet, öffnen. Er hat Befehl, mich nach dem Ausfallsthore zu begleiten. Nun führt er eben Dich dorthin.